Chronobiologie von Ernährung und Stoffwechsel

November 2016

Lebende Orga­nismen weisen nicht nur eine chemisch-​morphologische, sondern auch eine Zeit­struktur auf. Diese Zeit­struktur mani­fes­tiert sich im Auf­treten rhyth­mi­scher Phä­nomene die kenn­zeichnend für alle bio­che­mi­schen und phy­sio­lo­gi­schen Funk­tionen sind. 

Wolfgang Marktl

 

Die bio­lo­gische Rhyth­mi­zität bezieht sich einer­seits auf die mor­pho­lo­gische Ebene, was bedeutet, dass funk­tio­nelle Rhythmen im Bereich der Gene, von Zellen, Organen und Geweben, dem gesamten Orga­nismus bis hin zu Popu­la­tionen nach­ge­wiesen werden können. Eine zweite Ebene betrifft unter­schied­liche Peri­oden­längen der Rhythmen von Mil­li­se­kunden bis in den Bereich von Jahren. Es besteht eine Zuordnung zwi­schen den Peri­oden­längen und der funk­tio­nellen Bedeutung der Rhythmen. Der bio­lo­gi­schen Rhyth­mi­zität kommt die Aufgabe der endo­genen und exo­genen Syn­chro­ni­sation zu. Endogene Syn­chro­ni­sation wird mit den Rhythmen mit einer Peri­oden­länge von weniger als 24 Stunden in Zusam­menhang gebracht und dient somit der Auf­recht­erhaltung einer zeit­lichen Ordnung zwi­schen den rhyth­mi­schen phy­sio­lo­gi­schen Funk­tionen. Rhythmen mit einer Peri­oden­länge von 24 Stunden und darüber haben die Aufgabe der exo­genen Syn­chro­ni­sation, d.h. der opti­malen Ein­passung der endo­genen phy­sio­lo­gi­schen Rhythmen an die Rhythmen der natür­lichen Umwelt. Der von Jürgen Aschoff geprägte Satz, wonach der Mensch ein rhyth­misch geglie­dertes Wesen in einer rhyth­misch geglie­derten Umwelt ist, bringt dies klar zum Ausdruck. 

Die Zeit­struktur des mensch­lichen Orga­nismus ist gene­tisch deter­mi­niert. Die Syn­chro­ni­sation der endo­genen Rhythmen mit den exo­genen Rhythmen der Umwelt wird durch rhyth­mische Signale aus der Umwelt bewerk­stelligt. Nach einem Vor­schlag von Aschoff werden diese rhyth­mi­schen Signale aus der Umwelt mit dem Begriff „Zeit­geber“ bezeichnet. Die Zeit­geber legen die Form und Periode der endo­genen Rhythmen fest und gewähr­leisten damit deren optimale Anpassung an die Anfor­de­rungen der Umwelt. Für den Men­schen spielen der Hell-​Dunkel-​Wechsel und soziale Ein­flüsse die wich­tigste Rolle als Zeit­geber. Wie aber vor allem in den letzten Jahren gezeigt werden konnte, unter­liegen die Gene der peri­pheren Zelle aber auch der Zeit­ge­ber­wirkung einer regel­mä­ßigen Nah­rungs­zufuhr (1). Dieser Ein­fluss des Nah­rungs­auf­nah­me­zyklus ist besonders in der Leber aus­ge­prägt und spielt bei anderen peri­pheren Organen wie z.B. der Lunge eine nur unter­ge­ordnete Rolle (2). Als Mecha­nismen für die Ver­mittlung der Zeit­ge­ber­wirkung der Nah­rungs­zufuhr werden Insulin, die Akti­vität der AMP-​Kinase und die Kern­tem­pe­ratur bzw. die nah­rungs­in­du­zierte Ther­mo­genese dis­ku­tiert. Die Tabelle 1 gibt einen Über­blick über ver­schiedene ernährungs- und stoff­wech­se­l­as­so­zi­ierte Funk­tionen, bei denen bio­lo­gische Rhythmen eine Rolle spielen. Alle diese rhyth­mi­schen Pro­zesse können unter basalen Bedin­gungen nach­ge­wiesen werden, sie werden aber durch Umwelt­fak­toren beein­flusst und modi­fi­ziert, wie sie in der Tabelle 2 auf­ge­listet sind. 

Chronobiologie der Nahrungsaufnahme

Der Zeit­punkt der Nah­rungs­zufuhr kann das Kör­per­ge­wicht, die Plas­ma­kon­zen­tra­tionen ver­schie­dener Hormone, die Kör­per­kern­tem­pe­ratur, den Blut­druck, die Sub­strat­oxi­dation und die gesamte oxi­dierte Sub­strat­menge beein­flussen. Der Spit­zenwert der Oxi­dation von Koh­len­hy­draten und Fetten tritt nach einer Mor­gen­mahlzeit rascher auf als nach einer iden­ti­schen Mahlzeit am Abend. Die ther­mogene Wirkung der Pro­teine ist nach einer Mor­gen­mahlzeit deut­licher aus­ge­prägter als nach einer Abend­mahlzeit. Die bekannte Tat­sache, dass abend­liche Mahl­zeiten eher zu einer Gewichts­zu­nahme führen als mor­gend­liche wird auch von den Ergeb­nissen der Chro­no­bio­logie unter­stützt (2). Hormone und Trans­mitter, die bei der Regu­lation von Hunger und Sät­tigung eine Rolle spielen, weisen eine cir­ca­diane Rhyth­mi­zität auf. So ist die Lep­tin­kon­zen­tration im Plasma während der Nacht hoch und geht mit einer Abnahme des Hungers einher, hin­gegen während des Tages niedrig mit einem dem­entspre­chend stär­keren Hun­ger­gefühl (2).

Chronobiologie der Verdauung

Motorik und Sekretion im Magen-​Darm-​Trakt unter­liegen tages­rhyth­mi­schen Schwan­kungen, die zum Teil auch in der Phar­ma­ko­the­rapie berück­sichtigt werden. Grund­sätzlich zeigen Motorik und Sekretion im Magen-​Darm-​Trakt ein gegen­sätz­liches cir­ca­dianes Ver­halten. Die inter­di­gestive und digestive Motorik ist in der Nacht geringer als am Tag (3). Die basale Magen­säu­re­pro­duktion ist am höchsten am Abend und am nied­rigsten am Morgen. Dies wird mit der Akti­vität der para­sym­pa­thi­schen Inn­ner­vation in Zusam­menhang gebracht, weil dieser Cir­ca­di­an­rhythmus nach Vago­tomie erlischt. Der basale Rhythmus der Magen­säu­re­se­kretion wird aller­dings durch die Nah­rungs­zufuhr stark über­lagert. Nah­rungs­zufuhr am Tag führt zu einer deut­li­cheren Magen­se­kre­ti­ons­stei­gerung als während der Nacht. 

Circadianes System & endokrine Kontrolle des Stoffwechsels

Die Mehrzahl jener Hormone, die an der Regu­lation des Ener­gie­stoff­wechsels beteiligt sind, weisen cir­ca­diane Rhythmen auf. Bei­spiele dafür sind Insulin, Glu­cagon, Adi­ponectin oder Leptin. Eine Störung der Cir­ca­di­an­rhythmen dieser Regu­la­toren ist mit Adi­po­sitas, Hyper­in­su­linämie, Dys­li­pi­dämie, einem erhöhten Risiko für Dia­betes Typ 2 und cardio-​vasculäre Erkran­kungen ver­bunden (4). Die cir­ca­dianen Rhythmen von Glukose und Insulin im Plasma werden vom Nucleus supra­chi­as­ma­ticus im Hypo­tha­lamus geregelt und ver­schwinden bei Läsion dieser Struktur. Diese Rhythmen weisen auch eine enge Beziehung zu Ver­än­de­rungen der Nah­rungs­zufuhr und des Ver­haltens auf. Der täg­liche Anstieg der Plas­maglu­ko­se­kon­zen­tration hängt mit der sym­pa­thi­schen und para­sym­pa­thi­schen Inner­vation der Leber zusammen. 

Das Stoff­wech­sel­gleich­ge­wicht steht in Beziehung zur Inte­gration des Glukose- und Fett­stoff­wechsels auf Orga­nebene und ist damit auch von einer zeit­lichen Syn­chro­ni­sation ver­schie­dener peri­pherer Oszil­la­toren z.B. in Lunge, Leber oder Mus­ku­latur abhängig. 

Die Cir­ca­di­an­rhythmen der Insulin- und Glu­ca­go­n­se­kretion aus dem endo­krinen Pan­kreas hängen mit der Nah­rungs­zufuhr und dem Koh­len­hy­drat­stoff­wechsel zusammen. Die Insu­lin­kon­zen­tration im Plasma steigt vor dem Beginn der Akti­vi­täts­pe­riode noch vor der ersten Nah­rungs­zufuhr an, während im Gegensatz dazu der Anstieg der Plas­maglu­ca­go­n­se­kretion gegen Ende der Akti­vi­täts­pe­riode erfolgt. Der cir­ca­diane Rhythmus der Insu­lin­se­kretion bleibt bei Fasten oder bei Zufuhr kleiner, über den Tag ver­teilter Nah­rungs­mengen erhalten. Bei Zer­störung des Nucleus supra­chi­as­ma­ticus gehen jedoch sowohl der Rhythmus von Insulin als auch jener von Glu­kagon ver­loren. Diese beiden Rhythmen werden daher einer­seits vom Hypo­tha­lamus, ande­rer­seits von der Nah­rungs­zufuhr regu­liert. Auch die Emp­find­lichkeit der Ziel­organe gegenüber Insulin ist tages­zeit­ab­hängig. Eine Störung der Rhyth­mi­zität ver­ändert die Glu­ko­se­ho­möo­stase und die Insu­lin­emp­find­lichkeit mit der Folge einer erhöhten Wahr­schein­lichkeit für die Ent­wicklung meta­bo­li­scher Stö­rungen wie Dia­betes Typ 2 oder car­dio­vas­cu­lärer Erkran­kungen. Stö­rungen der Zeit­struktur des Orga­nismus können einer­seits zu Adi­po­sitas und Stoff­wech­sel­stö­rungen führen, ande­rer­seits führen diese Stö­rungen zu einer Ver­än­derung der Syn­chro­ni­sierung und Abfla­chung der Amplitude der Clock-​Gene in ver­schie­denen peri­pheren und zen­tralen Oszillatoren. 

Chronobiologie des Glukosestoffwechsels

Die Glukose- und die Insu­lin­kon­zen­tration im Plasma weisen zu Beginn der Akti­vi­täts­pe­riode den höchsten Wert auf. Bei Nah­rungs­karenz nehmen die Kon­zen­tra­tionen dieser beiden Para­meter erwar­tungs­gemäß ab. Dabei erlischt der Cir­ca­di­an­rhythmus der Plas­maglu­ko­se­kon­zen­tration, jener der Insu­lin­kon­zen­tration bleibt jedoch erhalten. Daraus kann die Schluss­fol­gerung gezogen werden, dass der Cir­ca­di­an­rhythmus der Plas­ma­in­su­lin­kon­zen­tration nicht von der Plas­maglu­ko­se­kon­zen­tration abhängig ist, sondern wahr­scheinlich von zen­tral­ner­vösen Instanzen gesteuert wird. 

Die Glu­ko­se­to­leranz zeigt einen ähn­lichen Verlauf wie die Plas­maglu­ko­se­kon­zen­tration. Zu Beginn der Akti­vi­täts­phase ist die Glu­ko­se­to­leranz besser als am Ende der Akti­vi­täts­phase (5,6,7). Dies betrifft sowohl die Reaktion auf eine orale als auch auf eine intra­venöse Glu­ko­se­zufuhr. Das cir­ca­diane Ver­halten der Glu­ko­se­to­leranz wird auf einen dem­entspre­chenden Rhythmus der Insu­lin­emp­find­lichkeit zurück­ge­führt. Damit kann auch die Tat­sache in Über­ein­stimmung gebracht werden, dass beim ruhenden Men­schen am Morgen bevorzugt Glukose, am Abend hin­gegen bevorzugt Fett uti­li­siert wird. Aus diesem tages­zeit­ab­hän­gigen Ver­halten der Glu­ko­se­to­leranz wird die Schluss­fol­gerung abge­leitet, dass die hohe Plas­maglu­ko­se­kon­zen­tration in den Mor­gen­stunden bei gleich­zeitig hoher Insu­lin­emp­find­lichkeit den Orga­nismus optimal auf die Akti­vi­täts­pe­riode mit der Not­wen­digkeit einer raschen Ener­gie­be­reit­stellung einstellt. 

Im Zusam­menhang damit ist auch eine Studie von Kräuchi et al (8) von Interesse, in der der Effekt einer koh­len­hy­dratreichen Mahlzeit in den Morgen- bzw. Abend­stunden auf die cir­ca­diane Pha­senlage der Kern­tem­pe­ratur, der Herz­fre­quenz und des Mela­to­n­in­ge­halts im Speichel unter­sucht wurde. Nach abend­licher Gabe einer koh­len­hy­dratreichen Mahlzeit waren die Kör­per­kern­tem­pe­ratur und die Herz­fre­quenz im Ver­gleich zu einer mor­gend­lichen iden­ti­schen Koh­len­hy­drat­auf­nahme sta­tis­tisch signi­fikant höher, der Mela­to­n­in­gehalt im Speichel hin­gegen ver­mindert. Die Nah­rungs­zufuhr wird von den Autoren als interner Zeit­geber auf­ge­fasst, auf den ver­schiedene cir­ca­diane Systeme unter­schiedlich reagieren. 

Chronobiologie des Fettstoffwechsels

Zwi­schen 7 und 21 Prozent der aktiven Gene, die im weißen und braunen Fett­gewebe expri­miert werden, folgen einem tages­rhyth­mi­schen Muster (2). Damit tritt neben den qua­li­ta­tiven und quan­ti­ta­tiven Gesichts­punkten auch der Zeit­faktor im Zusam­menhang mit dem Fett­gewebe und der Adi­po­sitas in Erscheinung. Adi­po­sitas kann nach wie vor als Ungleich­ge­wicht zwi­schen Ener­gie­zufuhr und ‑ver­brauch defi­niert werden. Die damit in Zusam­menhang ste­henden Vor­gänge der Ver­dauung, der Resorption und des Stoff­wechsels werden durch die cir­ca­diane Rhythmik beein­flusst. Die cir­ca­dianen Rhythmen der Lipolyse und Lipo­genese zeigen eine Prä­do­minanz der Lipolyse während der Nacht, die für die Fet­t­uti­li­sation ver­ant­wortlich ist. Dadurch wird die Fre­quenz der Hun­ger­si­gnale her­ab­ge­setzt und die Not­wen­digkeit der Nah­rungs­auf­nahme redu­ziert (2). Während des Tages domi­niert hin­gegen die Lipo­genese. Beim Men­schen wurde beschrieben, dass bei einer Mahl­zei­ten­zufuhr, die nicht der Pha­senlage der Lipo­pro­te­in­li­pa­se­ex­pression folgt, eine Tendenz besteht, zir­ku­lie­rende freie Fett­säuren in ekto­pi­schen Geweben zu depo­nieren wodurch eine „Lipo­to­xi­zität“ auf­tritt (2). Folgen davon sind hepa­tische, mus­kuläre und pan­krea­tische Com­or­bi­di­täten und das Auf­treten eines meta­bo­li­schen Syn­droms. Alle diese Daten weisen auf die Bedeutung der Tageszeit bei der Nah­rungs­auf­nahme hin. Diese cir­ca­diane Rhyth­mi­zität ist nicht nur auf den zen­tralen Schritt­macher im Nucleus supra­chi­as­ma­ticus des Hypo­tha­lamus zurück­zu­führen, sondern es spielen dabei auch oszil­la­to­rische Akti­vi­täten in ver­schie­denen peri­pheren Geweben eine Rolle. Mitt­ler­weile ist nach­ge­wiesen, dass in den Adi­po­cyten Clock-​Gene vor­handen sind und dass die Expression dieser Clock-​Gene in ver­schie­denen patho­lo­gi­schen Situa­tionen  ver­ändert ist. Bei Adi­po­sitas und Dia­betes weisen die Adi­po­kinine Leptin, Adi­ponectin und Resistin eine deutlich abge­schwächte bis nicht mehr nach­weisbare Rhyth­mi­zität auf (2).

Im Zusam­menhang mit dem cir­ca­dianen Schlaf­muster und dem Fett­stoff­wechsel exis­tiert eine Hypo­these, wonach die cir­ca­diane Rhythmik zwi­schen dem Schlaf-​Wachverhalten, d.h. auch zwi­schen Schlaf und Nah­rungs­auf­nahme zum Teil mit der Rate an Lipo­genese während der Akti­vi­täts­phase und Lipolyse während der Ruhe­phase zusam­men­hängt (9).

Die Hormone Pro­lactin und Cor­tisol spielen eine wichtige Rolle bei der Regu­lation der täg­lichen und sai­so­nalen Änderung der Fett­depots und bei der gegen­sei­tigen Abstimmung von Stoff­wechsel, Repro­duktion und Ver­halten (10). Die hepa­tische Lipo­genese erfolgt bei bestimmten tie­ri­schen Orga­nismen in der 2. Hälfte der Akti­vi­täts­pe­riode. Pro­lactin sti­mu­liert die Zu- oder Abnahme des Fett­depots in Abhän­gigkeit davon, ob es in höheren Kon­zen­tra­tionen während den täg­lichen Zeit­räumen von lio­po­ge­ne­ti­schen oder lipo­ly­ti­schen Akti­vi­täten vor­handen ist. Diese Zeit­räume einer unter­schied­lichen Emp­find­lichkeit werden durch die täg­liche Pho­to­pe­riode fest­gelegt und über die Cor­ti­cos­te­roide ver­mittelt. Der zeit­liche Syn­er­gismus der cir­ca­dianen Rhythmen der Cor­ti­cos­te­roide und von Pro­lactin schließt eine Beziehung zwi­schen den Sen­si­ti­vi­täts­rhythmen der Zellen, die in den Lipid­stoff­wechsel invol­viert sind, und dem cir­ca­dianen Rhythmus von Pro­lactin ein. Die kumu­la­tiven Effekte ver­schie­dener zeit­licher hor­mo­neller Muster sind ver­ant­wortlich für die sai­so­nalen Schwan­kungen des Fett­depots. Der zeit­liche Syn­er­gismus der Cor­ti­cos­te­roide und von Pro­lactin kon­trol­liert weitere phy­sio­lo­gische Funk­tionen, die Repro­duktion und das Ver­halten. Dieser zeit­liche Syn­er­gismus kann z.B. durch Stress beein­flusst werden. Die Wie­der­holung einer bestimmten Art von Stress zu bestimmten Tages­zeiten könnte die hor­mo­nellen Bezie­hungen beein­flussen und eine Ver­än­derung im Fett­stoff­wechsel her­bei­führen. Das Ver­ständnis der Kon­trolle der Kör­per­fett­speicher kann daher nicht nur auf der Basis quan­ti­ta­tiver und qua­li­ta­tiver Fak­toren im Zusam­menhang mit der Zufuhr von Makro­nähr­stoffen erfolgen, sondern muss auch die Zeit­struktur lebender Orga­nismen berücksichtigen. 

Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme & circadianer Rhythmus der endogenen Cholesterinbiosynthese

Zum Ein­fluss des Zeit­punkts der Nah­rungs­auf­nahme auf den cir­ca­dianen Rhythmus der endo­genen Cho­le­ste­rin­bio­syn­these wurden Unter­su­chungen durch­ge­führt. In einer Studie von Cella et al. (11) wurde die endogene Cho­le­ste­rin­bio­syn­these bei zwei unter­schied­lichen Zeit­punkten der Nah­rungs­auf­nahme ver­glichen. Erfolgte die Nah­rungs­zufuhr um 7h, 11h50 und 16h40 (Basis­be­dingung) so lag das Maximum der endo­genen Cho­le­ste­rin­bio­syn­these zwi­schen 2200h und 0200 und das Minimum um 11h30. Erfolgte hin­gegen die Mahl­zei­ten­zufuhr um 13h30, 18h20 und 23h10, so trat am ersten Tag das Maximum der Cho­le­ste­rin­syn­these um 6 Stunden ver­zögert auf, wobei der Zeit­punkt der mini­malen Syn­these keine Ver­än­derung aufwies. Am 2. und 3. Tag ver­schob sich das Maximum der Cho­le­ste­rin­syn­these noch weiter und trat erst 8,6 Stunden später auf, dabei ver­schob sich auch der Zeit­punkt der mini­malen Cho­le­ste­rin­syn­these um 6,5 Stunden. Der cir­ca­diane Rhythmus der endo­genen Cho­le­ste­rin­bio­syn­these wird daher vom Zeit­punkt der Nah­rungs­auf­nahme beeinflusst. 

Ein wei­terer inter­es­santer Befund dieser Studie war, dass unter der Basis­be­dingung eine streng negative Kor­re­lation zwi­schen dem cir­ca­dianen Rhythmus der endo­genen Cho­le­ste­rin­bio­syn­these (Maximum während der Nach­stunden) und jenem der Cor­ti­sol­se­kretion (Maximum während der Mor­gen­stunden) fest­zu­stellen ist. Diese Kor­re­lation geht bei Ver­schiebung des Zeit­punktes der Nah­rungs­zufuhr ver­loren, weil das Maximum der endo­genen Cho­le­ste­rin­syn­these auf einen spä­teren Tages­zeit­punkt ver­schoben wird, während sich bezüglich des Zeit­musters der Cor­ti­sol­se­kretion keine Änderung ergibt. 

Jahreszeitabhängigkeit von Parametern der Ernährung und des Stoffwechsels

Einige Bei­spiele für jah­res­zeit­ab­hängige Para­meter des Stoff­wechsels und der Ernährung sind in der Tabelle 3 ange­führt. Einige zusätz­liche Bemer­kungen sollen die Bedeutung cir­can­nualer Schwan­kungen von Stoff­wech­sel­pa­ra­metern illus­trieren. So ist die Akti­vität der Lipo­pro­te­in­lipase im Fett­gewebe und der Mus­ku­latur im Winter höher als im Sommer, wobei dieser Unter­schied im Fett­gewebe deut­licher aus­ge­prägt ist als in der Mus­ku­latur. Die Insu­lin­kon­zen­tration im Nüch­tern­plasma ist im Herbst ungefähr doppelt so hoch wie im Frühjahr. Es exis­tieren auch Hin­weise für einen cir­can­nualen Rhythmus der Glu­ko­se­to­leranz und der Insu­lin­kon­zen­tration. Ein signi­fi­kanter Anstieg des Ver­hält­nisses von Glukose zu Insulin kann im Herbst im Ver­gleich zum Frühjahr beob­achtet werden. Die Insu­lin­re­aktion auf eine orale Glu­ko­se­zufuhr ist im Frühjahr schwächer und lang­samer als im Herbst. Schließlich ist die HbA1-Kon­zen­tration im Sommer ca. 0,4 Prozent nied­riger als im Winter, was auf eine schlechtere Insu­lin­re­aktion im Winter hinweist. 

Von nicht uner­heb­licher prak­ti­scher Bedeutung ist auch die Tat­sache, dass die Cho­le­ste­rin­kon­zen­tration Im Plasma eine deut­liche Jah­res­zeit­ab­hän­gigkeit auf­weist, wie dies auch in der Abbildung 1 zum Aus­druck kommt. Als Ursachen für diese Jah­res­zeit­ab­hän­gigkeit wird eine hepa­tische Über­pro­duktion oder eine Abnahme der LDL-​Rezeptoraktivität diskutiert. 

Die Daten stammen aus einer Studie an Kur­pa­ti­enten der frü­heren Arbeits­gruppe des Ver­fassers der vor­lie­genden Über­sichts­arbeit (12). Der in der Abbildung auf­schei­nende Begriff „Cholesterin-​Ausgangswerte“ besagt, dass die Bestimmung der Plas­macho­le­ste­rin­kon­zen­tration bei den Teil­neh­me­rinnen und Teil­nehmern der Studie vor Beginn der Kur erfolgt und somit kein Ein­fluss der dar­auf­fol­genden Kur bestand. 

Schlussfolgerung und Zusammenfassung

Der Faktor Zeit findet in der kon­ven­tio­nellen Medizin nicht aus­rei­chend Beachtung. Dies ist u.a. auch deshalb zu kri­ti­sieren, weil Gesundheit und Krankheit nicht nur auf chemisch-​morphologischer Basis beur­teilt werden sollten, sondern auch der Zeit­struktur des mensch­lichen Orga­nismus dabei Auf­merk­samkeit geschenkt werden muss. Unter dem Begriff der Zeit­struktur ist das Auf­treten rhyth­mi­scher Phä­nomene zu ver­stehen, die ein Kenn­zeichen der Lebens­vor­gänge aller Orga­nismen sind. Die rhyth­mi­schen Funk­tionen beziehen sich einer­seits auf unter­schied­liche mor­pho­lo­gische Ebenen und ande­rer­seits darauf, dass phy­sio­lo­gische Rhythmen unter­schied­liche Peri­oden­längen auf­weisen. Kenn­zeichen des gesunden Orga­nismus ist eine gute Syn­chro­ni­sation der Rhythmen innerhalb des Orga­nismus sowie im Hin­blick auf die zeit­liche Abstimmung mit den rhyth­mi­schen Anfor­de­rungen der natür­lichen Umwelt. Stö­rungen der Zeit­struktur stehen mit Funk­ti­ons­be­ein­träch­tigung und Krankheit in Verbindung. 

Im Bereich von Ernährung und Stoff­wechsel spielt die Beachtung der Zeit­struktur u.a. bei der Nah­rungs­auf­nahme, Ver­dauung, dem Ener­gie­haushalt, dem Kohlenhydrat- und Fett­stoff­wechsel sowie bei der endo­krinen Regu­lation der Stoff­wech­sel­vor­gänge eine Rolle. Eine Miss­achtung der Gesetz­mä­ßig­keiten der Chro­no­bio­logie von Ernährung und Stoff­wechsel kann in eine kausale Beziehung zu stoffwechsel- und ernäh­rungs­ab­hän­gigen Erkran­kungen gebracht werden. 

 

Ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Marktl, GAMED-​Wiener Inter­na­tionale Aka­demie für Ganz­heits­me­dizin, Sana­to­ri­umstr. 2, 1140 Wien, E‑mail: marktl@gamed.or.at

 

Lite­ratur:

1)       Stephan FK: The „Other“ Cir­cadian System: Food as a Zeit­geber. J.Biol. Rhythms, (2002), 17 , 284–292.

2)      Gar­aulet M, Madrid JA: Chro­no­bio­lo­gical aspects of nut­rition, meta­bolic syn­drome and obesity. Adv.Drug Deliv. Rev. doi 10 1016/j.addr. 2010.05.005.

3)      Sanders SW a. Moore JG: Gas­tro­in­testinal Chro­no­phar­ma­cology and The­ra­peutic Impli­cation. Pharmac.Ther. (1992), 54, 1–15.

4)      Stub­ble­field JJ a. Green CB: Mammalian Cir­cadian Clocks and Meta­bolism: Navi­gating Nut­ri­tional Chal­lenges an a Rhythmic World. In: LM Gunz ed. Cir­cadian Clocks: Role in Health and Disease. Springer (2016) p. 153 – 174. 

5)      Agishi Y, Hil­de­brandt G: Chro­no­bio­lo­gische Gesichts­punkte zur Phy­si­ka­li­schen The­rapie und Kur­ort­be­handlung. Wiss. Schrif­ten­reihe d. Inst.f.Rehab. u.Baln.Bad Wil­dungen, Bd.2, Kovac, (1997).

6)      La Fleur SE, Kalsbeek A, Wortel J, Fekkes ML a. Buijs RM: A Daily Rhythm in Glucose Tole­rance. A Role for the Supra­chi­as­matic Nucleus. Dia­betes (2001) 50, 1237–1243.

7)      Cor­ne­lissen G: When You Eat Matters: 60 Yeras of Franz Halberg’s Nut­rition Chro­nomics. The Open Nutri­ceu­ticals J. (2012), Suppl 1‑M2, 16–44.

8)      Kräuchi K, Cajochen Chr., Werth E. a. Wirz-​Justice: Alteration of Internal Cir­cadian Phase Rela­ti­onships after Morning versus Evening Carbohydrate-​Rich Meals in Humans. J.Biol. Rhythms (2002), 17, 364–376.

9)      Danguir J: The rela­ti­onship between food and sleep. In. Handbook of Phy­siology Vol. II, Envi­ron­mental Phy­siology. Eds. MJ Fregly a. CM Blatteis. Oxford Univ. Press, 1996, p. 1375 – 1387. 

10)   Meier AH a. Burns JT: Cir­cadian Hormone Rhythms in Lipid Regu­lation. Amer.Zool. (1976) 16, 649–659.

11)   Calla LK, van Cauter E, a. Schoeller DA: Effect of meal timing on diurnal rhythm of human cho­le­sterol syn­thesis. Am.J.Physiol. (1995), 269, E 878 – E 883. 

12)  G. Strauss-​Blasche, C. Ekmek­cioglu, V. Lei­betseder, W. Marktl,
Sea­sonal Variation of Lipid-​Lowering Effects of Complex Spa Therapy.
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