Fingerschweiß: Das Stoffwechselprofil liegt auf der Hand

November 2021

Übli­cher­weise werden Stoff­wechsel oder Schad­stoff­be­lastung des Men­schen über die Analyse von Blut, Plasma oder Urin bestimmt. Wis­sen­schafter der Uni­ver­sität Wien haben nun eine neue Methode mit einer wesentlich ein­fa­cheren Pro­ben­nahme und vielen Anwen­dungs­mög­lich­keiten ent­wi­ckelt: die Analyse von Fingerschweiß.

Damit der Tem­pe­ra­tur­haushalt funk­tio­niert und der Körper nicht über­hitzt, wird täglich eine gar nicht so kleine Menge Flüs­sigkeit aus­ge­schwitzt. Die Hände gehören zu den Regionen mit einer besonders hohen Dichte an Schweiß­drüsen. Und Schweiß besteht nicht nur aus Wasser, sondern enthält die ver­schie­densten Sub­stanzen – kör­per­eigene und auf­ge­nommene. Diese Tat­sache hat sich das Team um Chris­topher Gerner von der Fakultät für Chemie der Uni­ver­sität Wien zunutze gemacht und eine Methode ent­wi­ckelt, dem Fin­ger­schweiß Infor­ma­tionen über Stoff­wechsel, Schad­stoffe und anderes mehr zu entlocken.

In der in „Nature Com­mu­ni­ca­tions“ ver­öf­fent­lichten Arbeit werden die Auf­nahme und die Ver­stoff­wechslung von Koffein sowie dessen ent­zün­dungs­hem­mende Effekte bei­spielhaft beschrieben. In einer wei­teren Studie konnten die Wis­sen­schafter bereits zeigen, dass sich aus Fin­ger­schweiß auch Inhalts­stoffe aus Nahrung und Medi­ka­menten bis hin zu Umwelt­schad­stoffen und deren Ver­stoff­wechslung bestimmen lassen.

Lebens­mittel werden im Magen-​Darm-​Trakt verdaut. Die Moleküle, ob stabil oder enzy­ma­tisch ab- und umgebaut, wandern ins Blut und ver­teilen sich im ganzen Körper. Erstaun­li­cher­weise findet man sehr vieles von dem, was an kleinen Mole­külen im Blut trans­por­tiert wird, auch im Schweiß. „Im Fin­ger­schweiß kann man Bio­mo­leküle wie Meta­bolite (Stoff­wech­sel­pro­dukte, Anm. d. Red.) sehr präzise messen, prä­ziser als etwa im Speichel“, sagt Chris­topher Gerner, ana­ly­ti­scher Che­miker der Uni­ver­sität Wien und Leiter der Joint Meta­bolome Facility der Uni­ver­sität Wien und Medi­zi­ni­schen Uni­ver­sität Wien.

Der wich­tigste Vorteil gegenüber Blut- oder Uri­n­ana­lysen bestünde in der sehr ein­fachen, risiko- und schmerz­losen Pro­ben­ge­winnung. Die Gewinnung der Schweiß­proben erfolgt durch ein spe­zi­elles Fil­ter­papier, das nur eine Minute zwi­schen Daumen und Zei­ge­finger gehalten zu werden braucht. Die im Schweiß ent­hal­tenen Moleküle werden dann vom Papier extra­hiert und mittels mas­sen­spek­tro­me­tri­scher Ana­lysen innerhalb weniger Minuten ana­ly­siert. So könnten Zeit­ver­läufe der Ver­stoff­wech­selung ver­folgt werden, wie es bisher noch nicht möglich war.

Stoffwechselprozesse werden sichtbar

In der aktu­ellen Studie ver­ab­reichten die For­scher ihren Test­per­sonen Kaffee oder Koffein-​Kapseln. Die ent­spre­chenden Zeit­rei­hen­ana­lysen zeigten indi­vi­duell unter­schied­liche Ver­läufe der Ver­stoff­wech­selung. Unter Anwendung von Methoden der Bio­in­for­matik konnten schließlich indi­vi­duelle Profile in Bezug auf die Auf­nahme und Ver­stoff­wech­selung von Koffein erstellt werden und sogar auf die Akti­vität von Leber­en­zymen geschlossen werden.

Der Stoff­wechsel ist ein höchst dyna­mi­scher Prozess. Daher sind Zeit­rei­hen­ana­lysen, wie sie nun erstmals über die Fin­ger­schweiß­me­thode am Men­schen unkom­pli­ziert ermög­licht wurden, sehr wichtig. Aus der Methode könnten sich ver­schiedene Anwen­dungen für die medi­zi­nische Praxis ableiten lassen, die unter anderem zur leich­teren Erkennung mancher Erkran­kungen oder zur Unter­stützung kli­ni­scher Studien bei­tragen könnten. Ver­schiedene Ansätze werden in Zusam­men­arbeit mit der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­sität Wien im AKH bereits erprobt.

Individuelle Signaturen

In einer beglei­tenden Studie hatte das Team der Joint Meta­blome Facility bereits weitere Bei­spiele dafür gebracht, welche Daten aus Fin­ger­schweiß ablesbar sind: „Man kann damit unmit­telbar ver­folgen, was jemand gegessen hat“, so Stu­di­en­au­torin Julia Brunmair. „Es ist zum Teil auch ver­blüffend: Nach dem Konsum von Erd­beeren war etwa ein nicht mehr zuge­las­senes Insek­tizid nach­weisbar. Nach kon­su­mierten Orangen konnten wir – im Fall von Bio-​Orangen – gesunde Fla­vo­noide und – im Fall von nicht-​biologischem Anbau – zudem ent­spre­chende Pes­tizide nachweisen.“

Auch Niko­tin­konsum und Stoff­wechsel konnten die For­scher über Nikotin und Anatabin im Fin­ger­schweiß von Test­per­sonen unmit­telbar nach­weisen. Es ist nicht nur messbar, wie stark ein Mensch Fremd­stoffen aus­ge­setzt ist, sondern auch, wie der Orga­nismus darauf reagiert. Die For­scher nehmen an, dass im Fin­ger­schweiß tau­sende Meta­bolite greifbar sind, wobei bisher rund 250 iden­ti­fi­ziert und mit Stan­dards veri­fi­ziert wurden. „Hier werden in abseh­barer Zeit noch sehr viele hin­zu­kommen“, so Brunmair.

„Das Ver­fahren hat sich als hoch emp­findlich erwiesen und zeigt neue Mög­lich­keiten auf, indi­vi­duelle Stoff­wech­sel­pro­zesse sichtbar zu machen, um per­so­na­li­sierte Dia­gnostik und The­rapie zu begleiten“, sagt Chris­topher Gerner. Es könnte etwa Ärzten helfen zu beur­teilen, ob Medi­ka­mente so wie vor­ge­schrieben ein­ge­nommen wurden und auch, ob die erwar­teten Kon­zen­tra­ti­ons­werte im Körper tat­sächlich erreicht wurden. Eine solche Compliance-​Kontrolle könnte spe­ziell für kli­nische Studien relevant sein.

 

Red./K. Gruber

 

Lite­ratur:

Brunmair J, Nie­der­staetter L, Neu­dit­schko B et al. Finger Sweat Ana­lysis Enables Short Interval Meta­bolic Bio­mo­ni­toring in Humans. Nat Commun 2021; 12: 5993, DOI: 10.1038/s41467-021–26245‑4