Neue Argumente für ein gutes Frühstück

Dezember 2020

Ein ausgiebiges Frühstück könnte im Kampf gegen Übergewicht und zu hohe Blutzuckerwerte helfen. Das lässt eine deutsche Studie hoffen, die zeigt, dass beim Frühstück doppelt so viel Energie umgesetzt wird wie beim Abendessen – die nahrungsinduzierte Thermogenese also höher ist. Der süße Geschmack der Saccharose könnte zu einer länger anhaltenden Sättigung beitragen, lässt eine weitere Studie vermuten.

Nahrungsinduzierte Thermogenese

Welche Rolle spielt die Tageszeit, zu der eine Mahlzeit aufgenommen wird, bei der Verbrennung der verzehrten Kalorien? Forscher sind der Bedeutung der Tageszeit für den nahrungsinduzierten Energieumsatz seit Jahren auf der Spur – mit teils widersprüchlichen Ergebnissen. Eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte, randomisierte Blindstudie hat kürzlich untersucht, ob die nahrungsinduzierte Thermogenese (NIT) – also der Energieverbrauch, der bei der Verdauung, Speicherung und beim Transport der aufgenommenen Nahrung anfällt – bei identischen Mahlzeiten tageszeitlich variiert. Darüber hinaus wollten die Forscher von der Sektion für Psychoneurobiologie der Universität zu Lübeck unter der Leitung von Prof. Kerstin Oltmanns erfahren, ob eine mögliche tageszeitliche Variation des Energieumsatzes von der Menge aufgenommener Kalorien abhängt; ob also diese Regulation im Vergleich zu hochkalorischen Mahlzeiten auch nach kalorienarmer Nahrungszufuhr erhalten bleibt.

Kalorienverwertung morgens vs. abends

Dafür erhielten 16 normalgewichtige Männer zunächst über drei Tage hinweg ein niederkalorisches Frühstück (11% des individuellen täglichen Kilokalorienbedarfs) und ein hochkalorisches Abendessen (69%). Im zweiten Versuch erhielten sie umgekehrt ein hochkalorisches Frühstück und ein niederkalorisches Abendessen.

Zur Messung der nahrungsinduzierten Thermogenese wurde die indirekte Kalorimetrie herangezogen. Dabei wird die freigesetzte Wärmemenge indirekt über den Sauerstoffverbrauch berechnet, um so auf den Energieumsatz schließen zu können. Darüber hinaus haben die Forscher auch den Glukosestoffwechsel der Teilnehmer beobachtet sowie das Auftreten von Hungergefühlen und ihren Appetit auf Süßigkeiten miteinander verglichen.

Höhere Thermogenese nach Frühstück

Die beeindruckenden Resultate fasst die Ernährungswissenschafterin und Studienleiterin Juliane Richter in einer Presseaussendung wie folgt zusammen: „Die Ergebnisse zeigen, dass eine identische Kalorienzufuhr sowohl nach hoch- als auch nach niederkalorischen Mahlzeiten zu einer 2,5-fach höheren NIT am Morgen im Vergleich zum Abend führt.“ Weiters sei der Anstieg des Blutzucker- und Insulinspiegels bei den Probanden nach dem Frühstück deutlich geringer als nach dem Abendessen gewesen. Um Übergewicht oder Blutzuckerspitzen bei Diabetes mellitus zu vermeiden, würden die Forscher nach diesen Ergebnissen selbst bei kalorienarmer Ernährung ein ausgiebiges Frühstück einem üppigen Abendessen vorziehen.

Während der Studie habe das niederkalorische Frühstück übrigens auch zu verstärkten Hungergefühlen während des gesamten Tages geführt, so Richter. Selbst nachmittags nach dem Mittagessen hatten die Teilnehmer mit einem „kleinen“ Frühstück noch öfters Hunger – und einen besonderen Appetit auf Süßigkeiten, wie Oltmanns ergänzt. Das erkläre das Bedürfnis, im Tagesverlauf öfter zu Snacks zu greifen; durch ein großes Frühstück werde dieses Bedürfnis reduziert.

Relevanz auch bei Diäten

Aus den Ergebnissen schließen die Forscher, dass der menschliche Energieumsatz, also die Kalorienverbrennung, nach einer Mahlzeit grundsätzlich am Morgen deutlich höher ist als nach einer Mahlzeit am Abend. Dieser Tagesrhythmus ist laut Oltmanns genetisch bedingt und betrifft möglicherweise auch den Rohumsatz. Das nachzuweisen ist aber äußerst schwierig, denn: „Wenn wir Probanden den ganzen Tag nüchtern lassen würden, wäre das vollkommen unphysiologisch und wir könnten keine Schlüsse daraus ziehen. Bekämen die Probanden zu essen, wäre wieder nur eine Auswertung in Verbindung mit den aufgenommenen Kalorien möglich.“

Der in der Studie festgestellte Tagesrhythmus bleibt auch bei niederkalorischer Ernährung erhalten – das bedeutet, auch bei Diäten. Ein Umstand, der Oltmanns zu weiteren Untersuchungen inspiriert: „Übergewichtige lassen häufig das Frühstück weg, weil sie abnehmen möchten, und essen abends eine große Hauptmahlzeit, wenn der Hunger übermächtig wird.“ Die Wissenschafterin möchte deshalb in einer Folgestudie nachweisen, dass Übergewichtige bereits dadurch abnehmen, dass sie dieselbe Kalorienmenge hauptsächlich in der ersten Tageshälfte zuführen.

Woran liegt‘s?

„Den Mechanismus, der hinter der tageszeitlich unterschiedlichen Thermogenese steckt, kennen wir noch nicht“, räumt Oltmanns ein. Theoretisch könnte es damit zusammenhängen, dass die Nährstoffe unterschiedlich vom Darm aufgenommen oder verwertet werden. Eine Hypothese besagt, dass die Mitochondrien – die Kraftwerke in unseren Zellen – abends weniger arbeiten als morgens. „Aber hier bewegen wir uns noch im Bereich der Spekulationen“, so die Forscherin.

Und woher kommt der verstärkte Heißhunger auf Süßes? Eine Antwort auf diese Frage liefert eventuell eine andere aktuelle Studie von österreichischen und deutschen Wissenschafterinnen an der Universität Wien. Sie wollten mehr über die bisher kaum erforschten molekularen (Geschmacks)Mechanismen herausfinden, über die Zucker unabhängig von seinem Energiegehalt die Nahrungsaufnahme beeinflusst.

Macht Süßes satt?

Der durchschnittliche Österreicher konsumiert jährlich etwa 33 Kilogramm Zucker; in Deutschland sind es 34 Kilogramm pro Kopf. Doch warum ist Zucker derart beliebt und was bedeutet es im Hinblick auf unser Körpergewicht, oder ganz konkret: Trägt die Geschmackswahrnehmung von Zucker vielleicht zur Sättigung bei? Dieser Frage gingen Veronika Somoza, Direktorin des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München und auch an der Uni Wien tätig, und Barbara Lieder, Leiterin des Christian Doppler Labors für Geschmacksforschung an der Uni Wien, in ihrer Studie nach. Sie haben untersucht, welche Rolle die Aktivierung des Süßgeschmacksrezeptors bei der Sättigungsregulation spielt.

Dafür erhielten 27 gesunde Männer zwischen 18 und 45 Jahren in einer verblindeten Studie eine zehnprozentige Glukose- oder Saccharoselösung (also Traubenzucker oder Haushaltszucker) oder eine dieser beiden Zuckerlösungen nach Hinzufügen von 60 ppm Lactisol. Der Hintergrund: Lactisol vermindert die Süßgeschmackswahrnehmung, indem er an eine Untereinheit des Süßrezeptors bindet. Alle Testlösungen mit und ohne Lactisol wiesen den gleichen Energiegehalt auf.

Nachdem die Teilnehmer die jeweilige Testlösung getrunken hatten, durften sie nach einer Wartezeit von zwei Stunden so viel frühstücken, wie sie wollten. Kurz vor und während dieser Wartezeit erfolgte in regelmäßigen Abständen eine Blutabnahme und eine Messung der Körpertemperatur.

Ohne Süße der Saccharose: 100 Kilokalorien mehr

Die Probanden nahmen nach dem Trinken der lactisolhaltigen Saccharoselösung ca. 13 Prozent mehr Energie aus dem Frühstück auf als nach dem Trinken derselben Lösung ohne Lactisol. Das entspricht einem Unterschied von etwa 100 Kilokalorien. Die Saccharoselösung mit Lactisol, die den süßen Geschmack in der Wahrnehmung verringerte, führte bei den Teilnehmern zu einer niedrigeren Körpertemperatur und zu weniger Serotonin im Blut – einem Gewebshormon, das unter anderem für seine appetithemmende Wirkung bekannt ist.

Laut Lieder deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Saccharose unabhängig von seinem Energiegehalt die Sättigungsregulation und die Energieaufnahme moduliert – und zwar über den Süßgeschmacksrezeptor. Nach Gabe der lactisolhaltigen Glukoselösung und der puren Glukoselösung wurden dahingehend keine Unterschiede beobachtet. Warum ist das so? Der Erstautorin der Studie, Kerstin Schweiger, zufolge liegt es vermutlich daran, „dass Glukose und Saccharose den Süßrezeptor auf unterschiedliche Weise aktivieren.“ Die Autoren gehen zudem davon aus, dass es zusätzlich Süßrezeptor-unabhängige Mechanismen gibt, die diese Beobachtung erklären.

Um den Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum, Geschmacksrezeptoren und Sättigungsregulation auf molekularer Ebene zu klären, sei noch viel Forschung notwendig, erklärt Somoza. Besonderes Interesse könnte dabei in Zukunft den Süßrezeptoren im Verdauungstrakt zukommen – über die Funktion, die sie dort ausüben, ist noch recht wenig bekannt.

 


Take-Home-Messages

  • Bei gleicher Kalorienzufuhr morgens und abends ist der Energieumsatz nach dem Frühstück 2,5-mal so hoch wie beim Abendessen.
  • Ein niederkalorisches Frühstück führt zu vermehrten Hungergefühlen während des Tages mit besonderem Appetit auf Süßes.
  • Saccharose (Haushaltszucker) beeinflusst über seinen süßen Geschmack das Sättigungsempfinden und die Energieaufnahme.

 

Red/Marlene Weinzierl

 

Literatur:

Richter J, Herzog N, Janka S, et al. Twice as High Diet-Induced Thermogenesis After Breakfast vs Dinner On High-Calorie as Well as Low-Calorie Meals. J Clin Endocrinol Metab 2020; 105: 1–11

Schweiger K, Grüneis V, Treml J, et al. Sweet Taste Antagonist Lactisole Administered in Combination with Sucrose, But Not Glucose, Increases Energy Intake and Decreases Peripheral Serotonin in Male Subjects. Nutrients 2020; 12: 31

 

Mehr über den Zusammenhang von Ernährung und Zeitstruktur erfahren Sie hier: „Chronobiologie von Ernährung und Stoffwechsel„.