Kurzdarmsyndrom mit Darmversagen

Dezember 2020

Der komplexen Problematik des Kurzdarmsyndroms mit Darmversagen widmete sich kürzlich ein Webinar der Arbeitsgemeinschaft Klinische Ernährung (AKE) mit einem breitgefächerten Programm mit unter anderem ausgewählten Aspekten der Ernährungstherapie. Dabei kamen das Flüssigkeitsmanagement und die Supplementierung von Gallensäuren zur Sprache.

Der Begriff Kurzdarmsyndrom bezeichnet ein Darmversagen nach ausgedehnter Resektion mit der Unfähigkeit, aufgrund einer eingeschränkten resorptiven Kapazität des Darms, die Protein-, Energie-, Flüssigkeits- und Mikronährstoffbilanz mit einer konventionellen Diät aufrechtzuerhalten (Lamprecht et al 2014).

Eine Darmresektion kann aufgrund angeborener Anomalien oder erworbener Ursachen notwendig werden, wobei vaskuläre und entzündliche Erkrankungen sowie weitere Ursachen, z.B. Trauma oder Tumore, in Frage kommen. Nach der postoperativen Anatomie werden drei Typen des Kurzdarmsyndroms unterschieden (siehe Abb. 1). Die Prävalenz wird einer deutschen Untersuchung zufolge auf 34 Patienten pro einer Million Einwohner geschätzt (von Websky 2014).

 

Kurzdarmsyndrom

Folgen wie die osmotische und/oder sekretorische Diarrhoe, die verminderte Nährstoff- und Flüssigkeitsaufnahme und die vermehrten intestinalen Nährstoff- und Flüssigkeitsverluste machen das Kurzdarmsyndrom zu einem komplexen Krankheitsbild, das ein interdisziplinäres Zusammenspiel medizinischer Therapien und ernährungstherapeutischer Ansätze erfordert.

Nach der Darmresektion werden drei Phasen unterschieden, wobei deren Dauer und Ausprägung – und damit die erforderlichen (ernährungs)therapeutischen Maßnahmen – stark von individuellen Faktoren abhängen. Zwischen diesen Phasen gibt es keine festen biologisch oder funktionell definierten Abgrenzungspunkte.

In der auf die Resektion folgenden Hypersekretionsphase mit einer durchschnittlichen Dauer von vier bis sechs Wochen kommt es zu erheblichen Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten. Die intravenöse Substitution von Flüssigkeit, Elektrolyten, Spurenelementen und Vitaminen bei ständiger Kontrolle der Serumelektrolytkonzentrationen ist erforderlich, ebenso eine totale parenterale Ernährung. (Edler et al 2004) In der etwa einen bis zu 18 Monate dauernden Adaptionsphase kann je nach individuellen Gegebenheiten eine Reduktion des parenteralen Supports erfolgen und mit einem oralen Kostaufbau begonnen werden. In der stabilen Phase ist mit keinen weiteren Verbesserungen der Resorptionsleistung mehr zu rechnen.

Flüssigkeitssubstitution

Dem Thema Flüssigkeitssubstitution im Rahmen des AKE-Webinars widmete sich Dr. Stefanie Dabsch von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie an der Meduni Wien: „Ein gutes Flüssigkeitsmanagement hat einen bedeutenden Einfluss auf die Lebensqualität von Patienten mit Kurzdarmsyndrom und kann dazu beitragen Langzeitfolgen zu verhindern.“ Von zentraler Bedeutung dabei sei eine engmaschige Betreuung und ein Fokus auf die parenterale Zufuhr ganz besonders in der ersten Phase. Betreuer müssten wissen, wieviel und was getrunken und auch wieviel Harn ausgeschieden wird.

In der Hypersekretionsphase kommt es aufgrund der gastralen Hypersekretion und der eingeschränkten resorptiven Kapazität zu hohen Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten. „In der Hypersekretionsphase ist in jedem Fall eine parenterale Flüssigkeitssubstitution mit isotonen Lösungen notwendig, und das in einer Größenordnung von 6 bis 8 Liter pro Tag, wobei Elektrolyte zusätzlich zur parenteralen Ernährung erforderlich sind“, beschreibt Dabsch die Anforderungen.

In dieser ersten Phase sei es am schwierigsten, einen ausgeglichenen Flüssigkeitshaushalt zu erreichen. Da die Patienten häufig unter quälendem Durst leiden, müssten sie gut über die Bedeutung einer sehr restriktiven oralen Flüssigkeitsaufnahme aufgeklärt werden. Dabsch: „Bei ausreichender parenteraler Zufuhr und einer sehr geringen oralen Flüssigkeitsaufnahme von wenigen Schlucken am Tag nimmt das Durstgefühl meist ab.“ Eine hohe Trinkmenge führt zu vermehrter Dünndarm- und Magensekretion und damit auch vermehrter Ausscheidung. So kann eine Trinkmenge von z.B. einem halben Liter zur Ausscheidung von einem ganzen Liter über das zumeist vorhandene Stoma führen.

Die Bedeutung isotoner Lösungen erklärt sich aus der Physiologie der Flüssigkeitsaufnahme. Einer der wichtigsten Transporteure ist der Natrium-Glukose-Cotransporter 1 (SGLT-1), der nur funktioniert, wenn Natrium und Glukose vorhanden sind. Diese werden aktiv aufgenommen, Wasser folgt passiv. Hypotone Lösungen wie Wasser ohne Zusätze gelangt zu einem wesentlich geringen Anteil in den Kreislauf. Auch hypertone Lösungen wie unverdünnte Säfte sollten vermieden werden, da sie zusätzlich dem Körper Wasser entziehen.

Isotone Getränke können gut selbst zubereitet werden, betont Dabsch. Das Grundrezept sind 40 g Glukose und ca. 1,5 g Kochsalz auf 1 Liter Wasser. Die Glukose kann zum Beispiel durch 60 ml Dicksaft ersetzt werden, statt einem Liter Wasser eignen sich auch langgezogener Schwarztee oder Tee aus getrockneten Heidelbeeren. Da Salz häufig nicht gut toleriert wird können Kochsalztabletten hilfreich sein.

Supplementierung von Gallensäuren

Diese Thematik wurde von Priv.-Doz. Dr. Christine Kapral vom Ordensklinikum Linz diskutiert. Gallensäuren sind für die Resorption von Fettsäuren und fettlöslichen Vitaminen essenziell. Im Zug der enterohepatischen Zirkulation werden sie zu 95% im terminalen Ileum resorbiert und gelangen über die Pfortader zurück in die Leber um neuerlich ausgeschieden zu werden. Um 100 g Fett zu resorbieren, sind 20 g Gallensäuren erforderlich, d.h. der gesamte Pool von 2 bis 4 g zirkuliert bis zu 10-mal pro Tag – bei jeder Mahlzeit 2- bis 3-mal. Ein sehr kleiner Teil von 3 bis 4% der Gallensäuren gelangt ins Kolon, wo sie bakteriell metabolisiert werden und sekretorisch wirken und ausgeschieden werden. Diese Verluste werden von der Leber ausgeglichen.

„Bei größeren Verlusten wird die Gallensäuresynthese in der Leber entsprechend angekurbelt und bei limitierter Ileum-Resektion kann das durchaus ausreichen, um den Gallensäureverlust zu kompensieren“, erläutert Kapral. Allerdings wirken die vermehrten Gallensäuren im Kolon sekretorisch. Diese sekretorische Diarrhoe kann durch den Gallensäurebinder Cholestyramin therapiert werden. Bei schweren Formen des Kurzdarmsyndroms wie Typ I und Typ II, wo ein Großteil des Ileums fehlt, können Gallensäuren aber nicht rückresorbiert werden. Kapral: „Übersteigen die Verluste die Syntheseleistung der Leber, sinkt der gesamte Gallensäurepool, es kommt zu einem Mangel von Gallensäuren im Darmlumen und aufgrund der unzureichenden Mizellenbildung zur Steatorrhoe.“ Ein Therapieansatz des dekompensierten Gallensäureverlusts ist die Supplementierung mit Gallensäuren, um die Fettresorption und damit die Versorgung mit Kalorien zu verbessern.

Zur Supplementierung von Gallensäuren kommt einerseits natürliche Rindergalle in Frage und andererseits die synthetisch hergestellte Gallensäure Cholyl-Sarkosin. Zur Rindergalle ist anzumerken, dass sie empfindlich auf bakterielle Metabolisierung im Dickdarm ist und daher potenziell sekretorisch wirkt. Außerdem ist sie für die Indikation bei Kurzdarm nicht zugelassen. Letzteres gilt auch für Cholyl-Sarkosin, das allerdings gegen eine bakterielle Metabolisierung im Dickdarm resistent ist und daher nicht sekretorisch wirkt.

Die Wirksamkeit oral verabreichter konjugierter Gallensäuren wurde unter anderem in einer US-amerikanische Kurzzeitstudie mit einer 57-jährige Patienten mit hohem Jejunostoma, die von parenteraler Ernährung abhängig war und an rezidivierender Kathetersepsis litt, nachgewiesen (Gruy-Kapral et al 1999). Sowohl mit Rindergalle als auch Cholyl-Sarkosin in den Dosierungen von 6 und 12 g pro Tag konnte der Fettoutput im Ileostoma bei gleichbleibender Stuhlmenge deutlich reduziert werden. Nach einigen Wochen konnte das Gewicht von 36 auf 44 Kilo gesteigert werden.

Auch eine österreichische Studie an 4 Patienten mit Kurzdarmsyndrom bei erhaltenem Kolon zeigte Behandlungserfolge mit Cholyl-Sarkosin sowie Rindergalle (Kapral et al 2004). Bei allen Teilnehmern konnte die Fettresorption verbessert und eine Gewichtszunahme erzielt werden.

Fallbericht 1: Eine 53-jährige Patientin mit Kolon teilweise in situ und GLP-2-Therapie seit 2 Jahren konnte der parenterale Support zwar reduziert, aber nicht abgesetzt werden. Die Patientin hatte mehrfache Port-Infekte mit schweren Sepsisverläufen. Die Behandlung mit Cholyl-Sarkosin (10 Kapseln à 400mg pro Tag) ermöglichte, die parenterale Ernährung abzusetzen. Die Situation ist seit zwei Jahren stabil. Während des Corona-Shutdowns im Frühjahr 2020 war Cholyl-Sarkosin kurzfristig nicht lieferbar, was zu einem vorübergehenden Gewichtsverlust geführt hat.

Fallbericht 2: Eine 57-jährige Patienten mit Kolon großteils in situ und oraler Autonomie litt trotz Kalzium-Gabe an rezidivierenden Oxalat-Nierensteinen. Unter Ausschöpfung aller Therapieoptionen konnte das Gewicht konstant gehalten werden. Nach Beginn einer Behandlung mit Cholyl-Sarkosin konnte die Häufigkeit von Nierenkoliken deutlich reduziert werden.

Kapral zusammenfassend: „Die Gallenersatztherapie bei Kurzdarmsyndrom ist ein wichtiger Ansatz im therapeutischen Spektrum beim dekompensierten Gallensäurenverlust verbunden mit Steatorrhoe. Cholyl-Sarkosin ist bei allen Formen des Kurzdarmsyndroms möglich, Rindergalle nur dann, wenn kein Kolon vorhanden ist. Die Gallensäuren verbessern die Fettresorption, wahrscheinlich auch die Resorption fettlöslicher Vitamine und essenzieller Fettsäuren. Cholyl-Sarkosin ist wahrscheinlich auch bei Oxalatnierensteinen bei Kolon in situ hilfreich, da dadurch weniger freie Fettsäuren im Kolon mit Oxalat um Kalzium konkurrieren. Oxalat kann so besser an Kalzium binden und ausgeschieden werden und weniger freies Oxalat wird vom Kolon resorbiert. Einschränkend ist zu sagen, dass die Studienlage insgesamt sehr dürftig ist. Die Medikamente sind nicht zugelassen, sind schwer verfügbar, insgesamt teuer und die Bewilligung ist nicht immer ganz einfach zu bekommen.

Red/Karin Gruber

 

Literatur:

Lamprecht G, Pape UF, Witte M, et al. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. in Zusammenarbeit mit der AKE, der GESKES und der DGVS: Klinische Ernährung in der Gastroenterologie (Teil 3) Chronisches Darmversagen. Aktuel Ernährungsmed 2014; 39: e57–e71

Edler J, Eisenberger AM, Hütterer E, et al. Das Kurzdarmsyndrom Teil 3: Ernährungsmedizinische und medikamentöse Therapie. J Gastroenterol Hepatol Erkr 2004; 2: 27–35

Gruy-Kapral C, Little KH, Fordtran JS, et al. Conjugated bile acid replacement therapy for short-bowel syndrome. Gastroenterology 1999; 116: 15–21

Kapral C, Wewalka F, Praxmarer V, et al. Conjugated bile acid replacement therapy in short bowel syndrome patients with a residual colon. Z Gastroenterol 2004; 42: 583–589

Stichworte:

Buchtipp

Ernährung

Dieser Ratgeber führt durch den Dschungel der Ernährungsempfehlungen und hilft, die jeweils individuelle gesunde Ernährungsform zu finden.

Mehr Information