Das Mikrobiom in Quarantäne

Juli 2020

Um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, haben sich die Österreicher für Wochen in Isolation begeben. Wie hat sich unser Ernährungsverhalten durch Social Distancing verändert, warum beeinflusst das unser psychisches Wohlbefinden und welche Rolle spielt unser Darmmikrobiom dabei? Wir haben bei zwei renommierten Mikrobiomforschern nachgefragt.

Priv.-Doz. DDr. Sabrina Mörkl von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Univ.-Prof. Dr. Peter Holzer vom Lehrstuhl für Pharmakologie des Otto-Loewi-Forschungszentrums, beide an der Medizinischen Universität Graz, geben Einblicke, wie sich das Mikrobiom in der Quarantäne die Zeit vertrieben haben könnte.

Wie hat sich die COVID-19-Krise auf das Ernährungsverhalten der Österreicher ausgewirkt?

Mörkl: Ein positiver Punkt ist sicher, dass die Menschen wieder mehr Nahrungsmittel selbst zubereiten. Es gibt meines Wissens eine noch laufende Studie der Uni Salzburg, im Zuge derer sich Prof. Jens Blechert vom Zentrum für Kognitive Neurowissenschaften damit beschäftigt, wie sich das Ernährungsverhalten und die Stimmung der Menschen während der COVID-19-Krise verändert. Die meisten Leute geben an, durch die Coronakrise mehr zuhause zu kochen und darauf zu achten, sich gesünder zu ernähren. Sie nehmen sich mehr Zeit dafür, ziehen öfter das Internet zurate und schaffen regelmäßiger drei Mahlzeiten am Tag.

Also weniger Fast Food und mehr gesunde Ernährung. Gibt es Hinweise, dass es auch den Gegentrend gegeben hat?

Mörkl: Insgesamt gab es schon einen Trend zu gesünderem Essen, da aber viele andere Stressbewältigungsmechanismen – etwa Sozialkontakte und Gruppensportarten – während der Coronazeit nicht verfügbar waren, könnte diese Krisenzeit dazu beigetragen haben, dass die Leute zwischendurch häufiger zum Kühlschrank gegangen sind und zu Süßigkeiten gegriffen haben. Und dass eventuell auch mehr Alkohol getrunken wurde…

Wie verändert sich das Mikrobiom, wenn man plötzlich auf gesunde, hochwertige Nahrungsmittel umsteigt oder umgekehrt auf Fertigprodukte und wenig Nahrhaftes?

Mörkl: Das hat massive Effekte. Polyphenole, Carotinoide, Vitamine und Ballaststoffe in Obst und Gemüse – das alles hat Einfluss auf das Darmmikrobiom. Es schlägt sich in einer höheren Diversität der Darmbakterien nieder. Je vielfältiger das ist, was man zuführt, umso vielfältiger ist auch die Bakterienwelt – und das ist ein Zeichen für Gesundheit. Auch für die psychische. Es gibt Arbeiten, die zeigen, dass etwa eine mediterrane Diät präventiv für viele psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angsterkrankungen ist. Werden hingegen Fertigprodukte mit vielen Emulgatoren, Konservierungsstoffen oder Süßstoffen verzehrt, dann beschädigt das die Darmbarriere, es können Entzündungsvorgänge ausgelöst werden und im Langzeitverlauf wirkt es sich möglicherweise negativ auf die Psyche aus.

Holzer: Mit dem, was wir essen, ernähren wir auch unser Mikrobiom, so auch bei fett- und zuckerreicher Ernährung. Epidemiologische Studien aus Australien und Spanien, wo Jugendliche, die sich vorwiegend mit Junk-Food ernährten, mit Jugendlichen verglichen wurden, die mediterrane Kost zu sich nahmen, zeigten, dass das Risiko, eine Depression zu entwickeln, in der Junk-Food-Gruppe größer war. Bestätigt wird dies durch Studien mit Mäusen mit einer Hochfettdiät: Sie entwickelten eine Veränderung des emotional-affektiven Verhaltens, wurden sozusagen depressiv. Industriell erzeugte Nahrungsmittel bewirken, dass das Mikrobiom daraus noch mehr Energie extrahiert, was zur Gewichtszunahme und in weiterer Folge wahrscheinlich auch zu metabolischen Erkrankungen führt.

Wie beeinflusst die soziale Isolation abgesehen von der Ernährung das menschliche Wohlbefinden?

Mörkl: Die ersten Daten internationaler Studien und aus Salzburg zeigen, dass das Stresserleben der Probanden vor und nach „Corona“ ungefähr gleich, aber die depressive Stimmung verstärkt war. Besonders schwierig war es sicherlich für Leute, die alleine leben und für Menschen mit vorbestehenden psychischen Erkrankungen. Isolation zieht nicht nur psychische Auswirkungen nach sich, sondern führt auch zur Verarmung des Mikrobioms. Mit je mehr Leuten man täglich in Kontakt ist, umso reicher ist die innere bakterielle Artenvielfalt. So hat beispielsweise die Wisconsin Longitudinal Study gezeigt, dass Eheleute und WG-Bewohner eine höhere innere Artenvielfalt aufweisen als alleine lebende Personen und man anhand der bakteriellen Darmbesiedelung sogar feststellen kann, welche Leute zusammenleben.

Sind Depressionen also auf mikrobieller Ebene ansteckend?

Mörkl: Nicht ansteckend, aber möglicherweise übertragbar. Man hat im Rahmen von Studien zu fäkalen Mikrobiota-Transplantationen (FMT) gesehen, dass Ratten, die eine Stuhltransplantation von einem depressiven Patienten erhielten, in weiterer Folge selbst depressive Verhaltensweisen zeigten. Es veränderte sich auch der Tryptophan-Kynurenin-Stoffwechsel, also der Serotonin-Haushalt bei diesen Tieren. Grundsätzlich gilt: Je größer und je variabler die Keimwelt, desto besser. Daher ist es wahrscheinlich für die Gesundheit vorteilhafter, mit jemandem zusammenzuleben als alleine in Isolation zu sitzen – sowohl aus mikrobieller als auch aus psychiatrischer Sicht…

Holzer: Die Frage ist auch: Was ist gesund? Wichtig ist ein gewisses Gleichgewicht. Aber das Mikrobiom ist so individuell, dass Sie und ich ein ganz unterschiedliches Mikrobiom haben werden und trotzdem beide gesund sein können. Deshalb ist es auch so schwer, Fehlregulierungen festzustellen, geschweige denn Therapiemaßnahmen abzuleiten.

Auf welche Weise wirkt psychischer Stress auf das Mikrobiom?

Mörkl: Negativer Stress verändert das Mikrobiom in der Zusammensetzung, aber auch in der Diversität, und das wiederum wirkt über die Darm-Gehirn-Achse auf neurologische und psychische Vorgänge. Durch die Veränderung der Darmbakterien kann es zum Beispiel zentral zu erhöhter Inflammation kommen. Aus Tierstudien weiß man, dass es auch Auswirkungen im Cortisolmetabolismus gibt, also bei der Stressregulation, und das wiederum wirkt sich darauf aus, wie man isst.

Holzer: Das Darmmikrobiom ist metabolisch sehr aktiv und seine Stoffwechselprodukte können Signale an den ganzen Körper inklusive das Gehirn aussenden – über Darmhormone, Neurone oder Zytokine oder indem sie selbst über den Blutkreislauf dorthin gelangen. Man nimmt an, dass das auch bei kurzkettigen Fettsäuren wie Butyrat oder Propionat der Fall ist, die entstehen, wenn nicht verdauliche, faserreiche Kost mithilfe des Mikrobioms verdaut wird. Bei experimentellen Studien mit Mäusen hat man herausgefunden, dass keimfreie Mäuse mit wenigen kurzkettigen Fettsäuren Veränderungen in der Mikroglia des Gehirns aufweisen. Durch eine Behandlung mit diesen Fettsäuren sind die Änderungen zumindest teilweise reversibel.

Viele Erkenntnisse haben wir primär aus Mäusestudien. Eine aufsehenerregende Studie hat bereits 2004 gezeigt, dass keimfreie Mäuse auf Stressparadigmen wesentlich empfindlicher reagieren als Mäuse mit einer Darmflora. Man hat daraus auf die Bedeutung für die Stresssensibilität beim Menschen geschlossen. Hier muss man aber aufpassen, denn Stressparadigmen, die man bei Mäusen anwendet, entsprechen nicht jenem Stress, dem wir als Mensch unterliegen. Bei uns sind es psychosoziale Gegebenheiten, Berufsstress usw., das lässt sich in Mäusen kaum nachbilden. Und dann kommen noch verschiedene Lebensumstände und Ernährungsgewohnheiten hinzu…

Mörkl: Die Darm-Gehirn-Achse ist ein bidirektionales Kommunikationssystem. Stress hängt auch mit der Ernährung zusammen und das kann zu einem Teufelskreis werden. Im Stress reagieren Menschen anders, essen umso mehr oder auch umso weniger. Dadurch, dass viele Menschen während der COVID-19-Quarantäne zuhause waren, hatten damit einhergehende Veränderungen der Ernährung sicherlich Folgen im Hinblick auf die Mikrobiomausstattung.

Also beeinflusst nicht nur die Ernährung das Mikrobiom, sondern umgekehrt auch das Mikrobiom das Ernährungsverhalten?

Mörkl: Durchaus. Das vermehrte Verlangen nach Essen – Craving – wird durch das Mikrobiom gesteuert und vice versa. Studien mit dem Hungerhormon Ghrelin weisen darauf hin, dass man je nach Zusammensetzung des Mikrobioms Lust auf bestimmte Lebensmittel bekommt.

Holzer: Die oben erwähnten kurzkettigen Fettsäuren wirken auf die Darmschleimhaut ein und können natürlich auch vermehrt Darmhormone produzieren. Im Dickdarmbereich sind das z. B. Glucagon-like Peptide 1 bzw. 2 (GLP-1 und GLP-2) sowie das Peptid YY. Sie regulieren die Nahrungsaufnahme über den Hypothalamus. Wir reden hier eher von Sättigungshormonen, die den Appetit etwas reduzieren. Hier ist aber noch sehr vieles Spekulation.

Was ist mit jenen, die ihre Home-Office-Zeiten großzügig über den Tag verteilt und dementsprechend öfter spät gegessen haben – welche Rolle spielt das für das Mikrobiom?

Mörkl: Es ist generell spannend, dass je nachdem, welche Mikrobiomzusammensetzung beim Mensch vorhanden ist, unterschiedliche Nährstoffe aufgenommen werden und sogar eine unterschiedliche Kalorienanzahl extrahiert wird. Das heißt, Menschen nehmen von derselben Mahlzeit ganz verschiedene Stoffe auf und beziehen unterschiedlich viel Energie aus derselben Nahrung. Das hängt aber auch von der Tageszeit ab, zu der man etwas isst. In den alten Abnehmbüchern hieß es: Die Gesamtbilanz der Kalorien zählt. Die meisten Menschen neigen aber dazu, bei einer Mahlzeit am Abend mehr Energie aufzunehmen und dann eher zuzunehmen, obwohl eigentlich dieselbe Kalorienmenge verzehrt wurde. Diesen Unterschied gibt es möglicherweise auch, weil die Darmbakterien in einer tageszeitlichen Rhythmik oszillieren. Nimmt man eine Stuhlprobe am Abend, dann zeigt das Mikrobiom eine andere Zusammensetzung als in einer Morgenprobe. Aus Tierstudien weiß man, dass am Abend gewisse Bakterien wie Laktobazillen vermehrt produziert werden. Dadurch entstehen Neurotransmitter wie die Gamma-Aminobuttersäure (GABA). Über diese Botenstoffe wirkt das Mikrobiom dann auf den 10. Gehirnnerv, den Nervus vagus, was zentrale Effekte haben kann, die psychisch sehr interessant sind, beispielsweise, dass man am Abend eher müde wird.

Viele Leute hatten während des Lockdowns plötzlich mehr Zeit für sportliche Betätigung. Was sagt das Mikrobiom dazu?

Mörkl: Wir haben in einer Studie an der MedUni Graz im Jahr 2017 Probandinnen aus unterschiedlichen BMI-Gruppen untersucht und mit einer Gruppe von Athletinnen verglichen. Wir konnten sehen, dass die Alpha-Diversität, also die bakterielle Artenvielfalt, bei den Sportlerinnen am höchsten war. Am geringsten war sie bei Patientinnen mit Anorexia nervosa und bei übergewichtigen Teilnehmerinnen. Eine weitere interessante Untersuchung vom Duke Medical Centre in Großbritannien hat ergeben, dass Sportinterventionen eine signifikant antidepressive Wirkung haben und gleich wirksam sein können wie das meisteingesetzte Antidepressivum Sertralin. Untersucht wurden dafür Frauen und Männer über 50 mit einer Depression. Eine Gruppe erhielt Sertralin, das als Serotoninwiederaufnahmehemmer eingesetzt wird, und die zweite Gruppe machte Ausdauertraining für vier Monate – kein Marathon, aber zwei- bis dreimal pro Woche 30 Minuten schnelles Gehen oder Joggen, sodass man leicht schwitzt.

Solche Studien legen dar, warum es so wichtig ist, in der Psychiatrie mehrere Therapieansätze zu kombinieren. Neben der Medikation sollte man zusätzlich auf körperliche Bewegung achten. Bei unseren stationären Patienten gibt es ein verpflichtendes Morgensportprogramm. Ich würde allen meinen Patienten mit psychischen Erkrankungen regelmäßiges Ausdauertraining empfehlen.

Es dauert nur wenige Tage, bis sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms durch ein anderes Umfeld oder neue Ernährungsgewohnheiten verändert. Ist es denkbar, dass die COVID-19-Zeit für das Mikrobiom auch langfristige Folgen hat?

Mörkl: Man vermutet, dass durch COVID-19 sogenannte postvirale Syndrome entstehen könnten, sodass die Pandemie möglicherweise auch Langzeitauswirkungen auf die Psyche hat. Bis jetzt wissen wir nur, dass eine bereits vor der COVID-19-Krise bestehende psychiatrische Erkrankung durch die Krise negativ beeinflusst werden kann. Depressive haben erneute Episoden, es sind mehr Angststörungen neu aufgetreten usw. Das ist natürlich auch im Hinblick auf das Mikrobiom interessant. Derzeit haben wir an der MedUni Graz eine Studie laufen, im Rahmen derer wir die psychischen Akut- und Langzeitfolgen evaluieren: Wie hat sich der Alltag verändert, auch hinsichtlich Ernährung, und wie steht es um die Anpassungsfähigkeit und Resilienz der Menschen. Für die zweite Phase im August suchen wir noch Teilnehmer (siehe unten).

Welche Rolle spielen Tiermodelle für die Forschung zum menschlichen Mikrobiom?

Holzer: In vielen Fällen können bei Untersuchungen am Menschen keine kausalen Zusammenhänge hergestellt werden. Experimentelle Studien an Mäusen sind die eine Sache. Der Mensch als Patient mit Krankheiten ist die andere. Das Mikrobiom von Mäusen ist im Groben von der Zusammensetzung her zwar jenem des Menschen ähnlich, detailliert betrachtet findet man aber doch große Unterschiede. Die Ergebnisse von Mausstudien können daher nicht direkt auf die Biologie des Menschen übertragen werden. Sie helfen aber, Ideen zu entwickeln, welche Zusammenhänge bestehen könnten.

Vielen Dank für das Gespräch!

 


 

Take-Home-Messages

  • Sozialkontakte, psychischer Stress und Sporteln haben ebenso wie das Ernährungsverhalten großen Einfluss auf die Zusammensetzung unserer Darmflora.
  • Das Mikrobiom wirkt u. a. auf den Cortisolmetabolismus und reguliert damit nicht nur das Stressaufkommen mit, sondern auch die Lust auf bestimmte Lebensmittel.
  • Isolation hat psychische Auswirkungen und führt auch zur Verarmung des Mikrobioms, das unter anderem emotional-affektive und kognitive Vorgänge beeinflusst.
  • Das Risiko, eine Depression zu entwickeln, scheint bei Junk-Food-Konsumenten erhöht zu sein.

 


 

Red / Marlene Weinzierl

 

Studienteilnehmer gesucht

Studie der MedUni Graz: „Psychische Auswirkungen von COVID-19-Akut- und Langzeitfolgen sowie Resilienzfaktoren in der österreichischen Bevölkerung während einer Pandemie“

Zum Fragebogen (Teilnahme ab August 2020 möglich)

Medizinische Universität Graz, Forschungsgruppe „Nutritional Psychiatry“

Ansprechpersonen: Sabrina Mörkl, sabrina.moerkl@medunigraz.at, Tel: 0316 385 81743; Julia Riegebauer, julia.riegebauer@stud.medunigraz.at

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