Adipositas: Erfolge multimodaler Behandlung

Juni 2020

Zusammenfassung

Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen stellen eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. Evaluierte interdisziplinäre ambulante Therapieprogramme gibt es in Österreich nur wenige. In der vorliegenden Arbeit wird über die 2-Jahres-Ergebnisse des Projektes INFORM Individuell, das an den beiden Salzburger Kinder- und Jugendabteilungen seit 2012 angeboten wird, berichtet. Es zeigen sich (i) eine anhaltende signifikante und relevante Reduktion des geschlechts- und alterskorrigierten Body-Mass-Index, (ii) eine Verbesserung assoziierter metabolischer kardiovaskulärer Riskofaktoren, (iii) eine Reduktion des adipositas-spezifischen Suchtverhaltens, (iv) eine Besserung der Adipositas-spezifischen Lebensqualität, sowie (v) eine Besserung salutogener und pathogener Kognitionen. Wenngleich Verbesserungen der Bewegungsmotivation und der Ernährungsvorlieben für Deftiges und Gesundes nicht erreicht werden konnten, so können die hierin dargestellten Ergebnisse angesichts der durch die Literatur belegten Schwierigkeit dauerhafter Gewichtsabnahme durch konservative Maßnahmen als Erfolg gewertet werden.

 

Einleitung

Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist mit Stigmatisierung, Diskriminierung, psychischen Auffälligkeiten, Defiziten in sozialen Fertigkeiten und schulischen Problemen, Unzufriedenheit mit dem Körper und Beeinträchtigung des Selbstwertes sowie in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität assoziiert (Swallen et al. 2005). Rezente Daten der Childhood Obesity Surveillance Initiative (COSI) zeigen für 8- bis 9-jährige Schulkinder, dass der Anteil an Buben mit Übergewicht und Adipositas bereits um die 30% beträgt. Bei Mädchen der entsprechenden Altersgruppe reicht die Prävalenz je nach Region von rund 21% bis 29% (Weghuber et al 2017). Ein erhöhtes Körpergewicht besteht dabei häufig ab dem Vorschulalter und persistiert überwiegend über die Kindheit hinaus auch im Erwachsenenalter bestehen (Geserick et al. 2018).

Bedingt durch die Zunahme von Adipositas in Kindheit und Jugend gab es zahlreiche Bemühungen, Erwachsene und Kinder bei der Gewichtsabnahme anzuleiten. In umfangreichen Metaanalysen konnte gezeigt werden, dass multidisziplinäre Interventionen bei Kindern jeden Alters zu einer moderaten Reduktion des alters- und geschlechtskorrigierten Body Mass Index (BMI) führen (Ells et al 2018). Hervorzuheben ist jedoch, dass Lebensstilinterventionen effektiver sind, je jünger die Kinder sind. Für die meisten Maßnahmen fehlt allerdings der Nachweis der Nachhaltigkeit der erzielten Effekte (Ells et al. 2018).

Auf Grund der eindeutigen Aussagen von Metanalysen über die geringen Chancen langfristiger Gewichtsabnahmen wurde daher bereits 2001 das neue Paradigma „Health at any Size“ (Miller & Jacob, 2001) proklamiert und die Prüfung von anderen Parametern als nur des Gewichts gefordert. So zeigte sich, dass eine Lebensstilintervention zu einer Verbesserung von BMI-SDS-Werten, Blutdruck, Dyslipidämie und Glukosestoffwechselstörungen beitrug (Dobe et al. 2011). Es zeigte sich aber auch, dass unter anderem soziodemografische Merkmale der TeilnehmerInnen einen Einfluss auf den Erfolg ausüben. Wer genau von einer Intervention profitiert, wurde ebenfalls untersucht: Teilnehmerinnen, die aus sozioökonomisch und bildungsmäßig begünstigten Gruppen stammen (Müller, Asbeck, Mast, Langnäse, & Grund, 2001; Plachta-Danielzik et al., 2012) bzw. Teilnehmer aus dieser Oberschicht unabhängig vom Geschlecht (Dobe et al., 2011). Es wurde klar, dass die Veränderung des Ess- und Bewegungsverhaltens so gravierender Umstellungen bedarf, dass man belasteten Eltern und Kindern zuvor Unterstützung in den genannten Problemen zukommen lassen muss.

Neue Ansätze verlangten auch neue Operationalisierungen für die Bereiche Ernährung und Bewegung. Es zeigte sich neben der Operationalisierung von pathogenen Variablen wie etwa ‚Kontrolle des Essverhaltens‘ („ich darf auf keinen Fall Schokolade essen“) auch die Notwendigkeit, der Messung der salutogenen Denkmuster (Genuss am Essen, flexible Steuerung etc.) gerecht zu werden. Das bedeutet auch eine Abkehr von bisherigen ‚frequency lists’, die (bei bekanntem ‚under-reporting‘ Adipöser) Häufigkeit und Menge des Verzehrs unerwünschter Speisen erfassen, hin zur Entwicklung von Ernährungsvorlieben bzw. im Sportbereich: weg vom Zwang hin zu Spaß und Machbarem.

Publikationen, die Vergleiche mit anderen Abhängigkeiten (Sport, Alkohol, Nikotin, Drogen) nachweisen konnten (Ardelt-Gattinger & Meindl, 2010; Ardelt-Gattinger, Meindl, et al., 2011; Ardelt-Gattinger, Miller, Ring-Dimitriou, Weghuber, & Neubauer, 2011), unterstützten den Ansatz „übermäßiges Essen“ als Sucht-bedingt zu betrachten. Allerdings zeigte sich in einer Evaluationsstudie nur bariatrisch behandelter Personen, dass diese „Sucht“werte eng mit Gewichtsabnahme assoziiert sind, d.h., dass sie auch ohne spezifische Suchtbehandlung massiv sinken, was wiederum die Lebensqualität verbessert (Ardelt-Gattinger, Miller, & Weiner, 2013).

 

Methodik

Teilnehmer. Die Projekt-TeilnehmerInnen wurden aus >400 Kindern und Jugendlichen, die an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Salzburg zur Durchuntersuchung wegen Übergewicht bzw. Adipositas vorstellig wurden, rekrutiert. Patienten am Standort Schwarzach wurden nicht in die vorliegende Analyse eingeschlossen. Allen Familien wurde die Teilnahme grundsätzlich angeboten, ca. 25% entschieden sich für eine Teilnahme. Dies ist ein im Vergleich zu den Vorprojekten relativ hoher Prozentsatz (s. auch entsprechende Berichte des INFORM-Projektes, das durch Gruppentherapie und damit auch in Bezug auf die Rekrutierung assoziierte Probleme gekennzeichnet war). Kinder bzw. Jugendliche, die im Beobachtungszeitraum keine Betreuung im Projekt wünschten und bei denen vollständige medizinische, psychologische, bewegungspsychologische und ernährungsbezogene Datensätze zum Zeitpunkt der Erstvorstellung und im Verlauf vorlagen, dienten als Kontrollgruppe („Usual care“). In die Auswertung des Effektes des Therapiekonzeptes „INFORM individuell“ wurden gemäß einer Intention-to-treat-Analyse 90 Kinder (50 Intervention, 40 „usual care“, s. Tab. 1) aufgenommen.

Alle Teilnehmer und mindestens ein Elternteil stimmten schriftlich der Auswertung ihrer Daten zu. Für die Studie liegt ein positives Votum der lokalen Ethikkommission vor.

Untersuchungen. Bei allen Teilnehmern wurden umfangreiche anthropometrische und metabolische Parameter erhoben, die Körperzusammensetzung, der viszerale und subkutane Fettanteil sowie der prozentuelle Pankreas- und Leberfettgehalt mittels MRI gemessen (Staaf et al 2017, s. Tab. 1). Die Untersuchung der Steuerungsvariablen des Ess- und Bewegungsverhaltens, der Lebensqualität und der häufigsten Komorbidität bzw. Risiken von Adipositasbehandlungen, nämlich der Essstörungen, erfolgte mit dem Evaluationssystem AD-EVA (Ardelt-Gattinger & Meindl, 2010).

Design. Die Studie wurde als prä-post-Studie mit Kontrollgruppe angelegt.

Ziele und Durchführung des Projekts. Ziel ist ein salutogener, Eltern-zentrierter Ansatz. Es wird versucht, allen Familien unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund eine Projekt-Teilnahme zu ermöglichen und Familien mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund nicht von vornherein auszuschließen. Der Wechsel des Fokus von Krankheit auf Gesundheit, unabhängig vom Körpergewicht, spiegelt sich im salutogenen Ansatz der psychologischen Intervention von „INFORM individuell“ wider.

Zu Beginn steht eine umfassende Diagnostik aus den Disziplinen Medizin, Psychologie, Diätologie & Sportpsychologie sowie anschließend ein ebenso umfassendes Gesundheitscoaching, welches die Aspekte vermittelt und trainiert, die Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und Adipositas und deren Familien zu einer Änderung benötigen.

Theorie-geleitete Annahmen. Eine Teilnahme am Projekt sollte dazu beitragen, dass sich medizinische Variablen und jene kognitiven Steuerungsmechanismen ändern, die das Essverhalten steuern, sowie die mit Gewichtsabnahme assoziierte Sucht (Ardelt-Gattinger et al., 2013) nach übermäßigem Essen. Zudem erhielten die TeilnehmerInnen die Möglichkeit, einmal wöchentlich an einem körperlichen Trainingsprogramm (modifiziertes Boxtraining) teilzunehmen. Dies sollte zu einer Änderung der Bewegungsmotivation bzw. Steigerung der körperlichen Fitness beitragen.

Statistik. Die statistische Auswertung erfolgte mittels SPSS Version 18.0 für Windows.

Interventionen. Das Gesundheitscoaching findet in einem Beratungsraum an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Salzburg statt. Die KlientenInnen erscheinen dort ambulant über 1 Jahr verteilt zu den insgesamt 8 psychologischen und 3 diätologischen Einheiten. Zweit weitere diätologische Einheiten finden im Sinne einer „aufsuchenden Betreuung“ bei den Familien zu Hause statt. Ferner treffen sich die zuständigen PsychologInnen, DiätologInnen und MedizinerInnen zu regelmäßigen Intervisionen (im Regelfall nach den Psychologie-Sitzungen I, V und VIII, s. Abb.1).

Vorgehensweise und Inhalte. Inhalte dieser Einheiten sind wie folgt.

Lernziele:

  • Erhöhung des Selbstwerts
  • Problemlösen
  • Motivations- und Kommunikationsfähigkeiten
  • Fertigkeiten zum Selbstmanagement
  • Verständnis der Suchtdynamik
  • Vermeidung von Verboten durch erlaubniserteilende Alternativen
  • Fertigkeit einen Mikrokosmos in der bewegungsarmen Überflussgesellschaft zu schaffen
  • Basales Ernährungswissen
  • Steuerung des Essverhaltens der Kinder durch adäquate Vorratshaltung und Anbot günstiger Alternativen
  • Fertigkeiten der Zubereitung

 

Techniken:

Schulung der Eltern bzw. Jugendlichen basierend auf systemischen Interventionen, klassischer und kognitiver Verhaltenstherapie zu

  • Salutogene Vorgehensweisen
  • Verstehen des Regelkreises der Sucht
  • Statt Verboten – Bieten von erlaubniserteilenden Alternativen
  • Kenntnis (und Anwendung) der Gesetze klassischen und operanten Konditionierens (einschließlich Selbstverstärkung), Modelllernen
  • Basales Wissen um Wirksamkeit von Ernährungsumstellung und Erhöhung der Bewegungsfrequenz im Sinne von „Verhältnisse am Teller ändern“ und Bewegung „in den Alltag integrieren“
  • Aufbau von intrinsischer Motivation zu günstigem Essen und ausreichender Bewegung durch Schaffung positiver Erlebnisse (Genuss, Freude, Spaß …).

 

Ergebnisse

Adipositas-Behandlung Tab.1

Tab.1

Interpretation

Die Auswertung des Adipositastherapiekonzeptes „INFORM individuell“ zeigt signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bezüglich des alters- und geschlechtskorrigierten Body Mass Indizes (BMI sds). Dieser nimmt bei der Therapiegruppe signifikant ab, während er bei der Kontrollgruppe signifikant ansteigt. Die beiden Gruppen unterscheiden sich dementsprechend auch signifikant bei der Abschlussuntersuchung, d.h. 1 Jahr nach Abschluss der Therapie. Das Design der Untersuchung war mit Therapiegruppe und Kontrollgruppe angelegt, allerdings kann man letztere nicht als Kontrollgruppe im klassischen Sinne (keine Intervention) bezeichnen. Vielmehr handelt es sich bei der Kontrollgruppe um eine „Usual Care-Gruppe“, die lediglich ein basale medizinische und diätologische Betreuung erhielten.

Bei der Glukosetoleranz (120 min Glukose im oralen Glukosetoleranztest) zeigt sich in der Therapiegruppe eine signifikante Besserung im Vergleich zur Kontrollgruppe, die ihrerseits auch eine Verbesserung aufweist. Ob dies bei Letzterer im Sinne einer Wirksamkeit der „Usual Care“ oder einer statistischen „Regression zum Durchschnitt“ zu interpretieren ist, bleibt offen. Die Therapiegruppe zeigt zudem eine signifikante Besserung der Hypertriglyceridämie.

Bei den kognitiven Steuerungsmechanismen des Ess- und Bewegungsverhaltens treten sehr signifikante Veränderungen bei den „Suchtwerten“, d.h. dem „Craving nach und Abhängigkeit von übermäßigem Essen“ in der Therapiegruppe auf. Vergleicht man die Summenwerte des Fragebogens mit jenen in den Normtabellen, so haben die Kinder der Therapiegruppe auf der 5-stufigen Skala (im Skalensinn 1= niedrig) bei der Abschlussuntersuchung Werte von 2.1. Verglichen mit den Normtabellen von 4400 Kindern entspricht dies den Werten von Normalgewichtigen.

Noch stärker ist dies bei der „Adipositas-bezogenen Lebensqualität“, d.h. all jenen Problemen, die durch die Diskriminierung adipöser Menschen auftreten, der Fall. Hier konnte in der Therapiegruppe eine signifikante Verbesserung erreicht werden, während die Kontrollgruppe keine günstige Entwicklung dieser Variablen aufweist. Dies zeigt vermutlich am besten den nun international immer stärker betonten Schwerpunkt des Therapiekonzeptes: der „Individualisierung der Therapie“, d.h. exakt an den Herausforderungen und Problemen des einzelnen Kindes/Jugendlichen zu arbeiten.

Die am stärksten mit dem Verhalten korrelierten salutogenen und pathogenen Kognitionen ändern sich in der Therapiegruppe in unterschiedlichem Ausmaß: hier kommt es bei den Parametern „positive Grundeinstellung zu Bewegung“ und „Verführbarkeit durch Geruch und Anblick von Speisen“ zu (hoch)signifikanten stärkeren Verbesserungen im Vergleich zur Kontrollgruppe, bei „Umsetzen von Empfehlungen“ ist dies als Trend zu sehen. Die Ernährungspräferenzen in Beziehung auf „Gesundes“ zeigen sich nur bei der Therapiegruppe per Trend nach Intervention höher, während die Vorliebe für Snacks bei beiden Gruppen mit einem Trend abnehmen.

Vorklinische wie klinische Essstörungen bleiben bei beiden Gruppen sehr niedrig, sodass man hier eindeutig sagen kann, dass durch die Sensibilisierung fürs Essen keine Schäden in dieser Hinsicht aufgetreten sind.

Negativ zu bewerten ist, dass bestimmte erwünschte Verbesserungen in beiden Gruppen nicht eingetreten sind. Im Vordergrund stehen die Bewegungsmotivation und die mangelnde Veränderung der Ernährungsvorlieben für Deftiges und Gesundes, sowie ein immer noch erhöhtes Emotionsessen. Hier muss man sich allerdings das Bild der etwa 250 Einflussfaktoren der Adipositas vor Augen halten. Die Bewegungsräume und günstigen Bewegungsangebote sind nicht gewachsen. Die Kinder sind nach der Maßnahme immer noch adipös und weder im schulischen Umfeld noch unter Freunden änderten sich die häufig ausgeprägten adipositas-spezifischen Vorurteile in diesen zwei Jahren. Es bedarf gerade in den schwierigen Jugendjahren wohl noch mehr Unterstützung, um sein Selbstbewusstsein zu stärken, sich emotional und auch psychosomatisch besser zu fühlen. Umso höher ist es einzuschätzen, dass sich die Suchtwerte auf niedrigem Niveau befinden und damit einer bewegungsarmen Überflussgesellschaft etwas mehr entgegensetzen können als zuvor.

Eine langfristige Betreuung von Menschen mit Adipositas als einer chronisch kranken Bevölkerungsgruppe ist in Österreich – wie in so gut wie allen anderen europäischen Ländern (WHO 2019) – nur unzureichend umgesetzt. In der Pädiatrie gab und gibt es einige innovative Ansätze. So wurden beispielsweise in Deutschland Rehabilitationsmaßnahmen zur initialen Basisschulung und Gewichtsreduktion mit einer nachfolgenden ambulanten Nachbetreuung verknüpft. Hier zeigte sich allerdings, dass eine getrennte Finanzierung von Rehabilitation und ambulanten Schulungsprogrammen ein Hemmnis für eine integrierte Gesamtversorgung darstellt. Bei Kindern und Jugendlichen muss die in der Initialphase einer Therapie begonnene Lebensstiländerung langfristig durch den Patienten und die Familie fortgeführt werden. Dies erfordert eine langfristige therapeutische Begleitung der Patienten und deren Familien, um anfängliche Behandlungserfolge langfristig abzusichern. Ein erfolgversprechendes Konzept für eine „Behandlungskette für adipöse Kinder und Jugendliche“ hat die deutsche Konsensusgruppe Adipositasschulung für Kinder und Jugendliche e.V.(R) (KgAS) in ihrem aktualisierten Trainermanual vorgestellt (2019). Patientenselbsthilfe wird bei chronischen Erkrankungen als wichtiger Baustein in einem multimodalen langfristigen Konzept angesehen. Der Einsatz von elektronischen Kommunikationsformen (diverse Apps, Facebookgruppen u.a.) zur Begleitung langfristiger Verhaltensveränderung wurde in Modellprojekten beschrieben und könnte zukünftig zum Einsatz kommen (Bischoff et al 2017).

Weiters muss berücksichtigt werden, dass Patienten mit extremer Adipositas zwar die höchste Morbiditätslast aufweisen, jedoch medizinisch schwer zu erreichen und zu behandeln sind. Die extreme Adipositas hat bei Jugendlichen in Bezug auf eine langfristige Gewichtsreduktion im Rahmen konservativer Behandlungsprogramme eine schlechte Prognose (Steinbeck et al 2018). Grundsätzlich stehen daher bei dieser speziellen Subgruppe andere Ziele wie eine Verbesserung von psychiatrischen und somatischen Komorbiditäten, die Vermeidung/Beseitigung einer Behinderung, die Sicherung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit und Ermöglichung der vollen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie die Reintegration in Schule oder Ausbildung und Entwicklung beruflicher Perspektiven im Vordergrund.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass (i) eine anhaltende signifikante und relevante Reduktion des geschlechts- und alterskorrigierten Body-Mass-Index, (ii) eine Verbesserung assoziierter metabolischer kardiovaskulärer Risikofaktoren, (iii) eine Reduktion des Adipositas-spezifischen Suchtverhaltens, (iv) eine Besserung der adipositas-spezifischen Lebensqualität, sowie (v) eine Besserung salutogener und pathogener Kognitionen erreicht werden konnte. Verbesserungen der Bewegungsmotivation und der Ernährungsvorlieben für Deftiges und Gesundes konnten nicht erreicht werden. Als limitierend muss jedoch erwähnt werden, dass eine zeitlich befristete Maßnahme der chronischen Erkrankung „Adipositas“ nicht gerecht wird, für die eine langfristige, vielleicht sogar lebenslange, Weiterbetreuung notwendig ist.

 

Titel der Originalarbeit:

Multimodale Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Übergewicht oder Adipositas im Bundesland Salzburg – interdisziplinäre Ergebnisse der 2-Jahres-Nachuntersuchung

Eng.: Multidimensional treatment of children and adolescents with overweight and obesity in Salzburg – interdisciplinary 2-year follow up

 

Autoren:

Christopher Dalus 1,3, Katharina Maruszczak 1,3, Katharina Mörwald 1,3, Brigitte Böhm-Klabischnig 3, Christoph Kreuzer 3, Bernarda Lukic 3, Josef Riedler 2, Eva Mitteregger 2, Sabine Geiersberger 3,4, Susanne Ring-Dimitriou 5, Elisabeth Ardelt-Gattinger 6, Daniel Weghuber 1,3

1 Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg

2 Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, Kardinal Schwarzenberg´sches Krankenhaus

3 Obesity Academy Austria, Salzburg

4 Clinical Research Center Salzburg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg

5 Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft, Paris Lodron Universität Salzburg

6 Fachbereich Psychologie, Paris Lodron Universität Salzburg

 

Korrespondierender Autor:

a.o. Univ. Prof. Dr. Daniel Weghuber

Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde

Paracelsus Medizinische Privatuniversität

Müllner Hauptstrasse 48

5020 Salzburg

 

Literatur:

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