Viel trinken? Meist nicht gesund

Juni 2019

Wasser ist schlicht und einfach lebens­not­wendig und bekanntlich auch gut gegen Durst. Aber ist Wasser wirklich so ein All­heil­mittel, als das es neu­er­dings vielfach ange­priesen wird? Ist die Was­ser­flasche wirklich ein unver­zicht­barer stän­diger Begleiter? Heißt das neue Volks­leiden Dehy­drat­ation? Und muss man wirklich „trinken lernen“? Viermal nein. Ein Beitrag nach Vor­trägen von Univ.-Prof. Dr. Wilfred Druml von der Uni­ver­si­täts­klinik für Innere Medizin I der Meduni Wien.

Um die Nach­teile und Kom­pli­ka­tionen eines Flüs­sig­keits­mangels geht es hier nicht, auch nicht um die häufige Dehy­drat­ation älterer Men­schen oder eine Unter­ver­sorgung von Klein­kindern, sondern um neu­er­dings heftig pro­pa­gierte spe­zi­fische positive Effekte einer über­höhten Auf­nahme von Flüs­sigkeit. Eine erhöhte Flüs­sig­keits­zufuhr ist als eine Flüs­sig­keits­zufuhr defi­niert, die über jene mit dem natür­lichen Durst­emp­finden ein­her­ge­hende bzw. die Mahl­zeiten und Neben­mahl­zeiten ver­bundene Zufuhr hinausgeht.

Eine hohe – vielen Emp­feh­lungen zufolge weit über­höhte – Auf­nahme von Wasser soll eine ganze Reihe von Beschwerden und Krank­heiten aus der Welt schaffen, zu einem neuen und bes­seren Lebens­gefühl ver­helfen und schlechte Laune end­gültig ver­treiben. Die Nieren sollen unter­stützt und die Ent­giftung gefördert werden, Wachheit, Auf­merk­samkeit, Wohl­be­finden und Leis­tungs­fä­higkeit sollen steigen. Positive Wir­kungen auf die Haut sollen sich ein­stellen, der Blut­druck sinken, die Gewichts­re­duktion soll ein­facher werden (was durchaus im Bereich des Mög­lichen liegt), die Lebens­er­wartung steigen (was noch nach­zu­weisen wäre).

Wasser ent­wi­ckelt sich immer mehr zu einem Mil­li­ar­den­markt, das Motto „Viel trinken“ zu einem Life-​Style-​Faktor und Bestandteil eines „gesunden“ oder manchmal viel­leicht auch etwas gesund­heits­wahn­haften Lebens­stils. Eine wis­sen­schaft­liche Basis für eine über den phy­sio­lo­gi­schen Bedarf bezie­hungs­weise das Durst­emp­finden hin­aus­ge­hende Auf­nahme von Flüs­sigkeit fehlt bis auf einige wenige spe­zi­fische Zustands­bilder aller­dings. Von einer „Volks­krankheit“ Dehy­drat­ation kann keine Rede sein. Für die meisten Men­schen gibt es also keinen Grund, mehr Flüs­sigkeit auf­zu­nehmen, als dem natür­lichen Durst­emp­finden ent­spricht. Der Gesundheit tut man damit nichts Gutes, das Gegenteil ist eher wahr­scheinlich. Darauf deuten die Ergeb­nisse einer Reihe von Studien hin.

Kein Nutzen für Nieren

Palmer et al. haben unter­sucht, inwieweit die Flüs­sig­keits­zufuhr mit der Gesamt­mor­ta­lität, der kar­dio­vas­ku­lären Mor­ta­lität sowie der Nie­ren­funktion asso­ziiert ist (Palmer SC. et al., Nephrol Dial Trans­plant 2004; 29: 1377–1384). Die Flüs­sig­keits­menge lag zwi­schen <2 und >3 Liter pro Tag. Die Aus­wertung der Daten der mehr als 3.800 Stu­di­en­teil­nehmer hat gezeigt, dass die höhere Flüs­sig­keits­zufuhr mit keinen posi­tiven Effekten auf Gesamt­mor­ta­lität bzw. kar­dio­vas­kuläre Mor­ta­lität ver­bunden war. Zwi­schen nor­maler und erhöhter Flüs­sig­keits­zufuhr bestand kein signi­fi­kanter Unterschied.

Gibt es bei Pati­enten mit ein­ge­schränkter Nie­ren­funktion einen Zusam­menhang zwi­schen der auf­ge­nommen Flüs­sigkeit und der Nie­ren­funktion? In einer Studie von Hebert et al. wurde die Beziehung zwi­schen der glome­ru­lären Fil­tra­ti­onsrate (GFR) und der durch­schnitt­lichen 24-​Stunden-​Harnmenge bei Pati­enten poly­zys­ti­scher Nie­ren­er­krankung (PKD) vs. Pati­enten ohne PKD unter­sucht (Hebert LA et al., Am J Kidney Dis 2003; 41: 962–972). Die GFR hat mit zuneh­mender Harn­menge in beiden Gruppen (PKD- und nicht-​PKD-​Patienten) abge­nommen. Der Abfall der GFR war bei den­je­nigen Stu­di­en­teil­nehmern am höchsten, die am meisten Flüs­sigkeit zu sich genommen hatten. Anhaltend hohes Urin­vo­lumen und geringe Osmo­la­lität sind demnach als unab­hängige Risi­ko­fak­toren für eine schnellere Pro­gression der Nie­ren­in­suf­fi­zienz zu betrachten, so die Autoren.

Clark et al. unter­suchten in einer Pilot­studie, wie sich 1 bis 1,5 Liter zusätz­licher Flüs­sigkeit täglich auf den 24-​Stunden-​Harn von Pati­enten mit chro­ni­scher Nie­ren­er­krankung Stufe 3 aus­wirken (Clark WF et al., BMC open 2013; 9: e93226). Nach 6 Wochen zeigten sich in der Inter­ven­ti­ons­gruppe im Ver­gleich zur Kon­troll­gruppe zwar eine Zunahme des Harn­vo­lumens, aber keine signi­fi­kanten Unter­schiede hin­sichtlich Nie­ren­funktion, Lebens­qua­lität, Elek­tro­lyt­kon­zen­tration oder glome­ru­lärer Fil­tra­ti­onsrate. Die Erhöhung der Flüs­sig­keits­zufuhr wurde daher als sicher ange­nommen. Die in der Folge mit ins­gesamt rund 600 Pati­enten über einen Zeitraum von 12 Monaten durch­ge­führte Studie hat ergeben, dass die Trink­menge das Fort­schreiten der Erkrankung nicht signi­fikant beein­flusst (Clark WF et al. JAMA 2018; 319: 1870–1879). Die Teil­nehmer der Inter­ven­ti­ons­gruppe waren ange­halten, 1 bis 1,5 Liter mehr Flüs­sigkeit zu sich zu nehmen als gewohnt. De facto lagen die jewei­ligen Trink­mengen bei 2,8 bzw. 2,0 Liter pro Tag. Bei erhöhter Flüs­sig­keits­zufuhr wurden etwas nied­rigere Kreatinin-​Werte gemessen, die glome­ruläre Fil­tra­ti­onsrate hatte sich jedoch in Abhän­gigkeit von der Trink­menge durchwegs ver­schlechtert (Tab. 1). Hin­sichtlich anderer Para­meter wie Lebens­qua­lität oder kar­dio­vas­kuläre Ereig­nisse zeigte sich kein Unterschied.

Mag­pantary et al. sind der Frage nach­ge­gangen, ob sich eine erhöhte Flüs­sig­keits­auf­nahme bei Nie­ren­pa­ti­enten positiv auf das Organ aus­wirkt. Sie unter­suchten den Effekt einer erhöhten Flüs­sig­keits­auf­nahme bei trans­plan­tierten Nie­ren­pa­ti­enten über 12 Monate (Mag­pantary L. et al, J Ren Nutr 2011; 21: 499–505). Die Inter­ven­ti­ons­gruppe bekam 4 Liter Flüs­sigkeit pro Tag und die Kon­troll­gruppe 2 Liter. Nach 12 Monaten zeigte sich, dass die Flüs­sig­keits­menge keinen signi­fi­kanten Ein­fluss auf die glome­ruläre Fil­tra­ti­onsrate bzw. Nie­ren­funktion hatte. Es gibt daher keine Begründung für eine erhöhte Flüs­sig­keits­zufuhr bei Pati­enten nach Nierentransplantationen.

Mythos: Eine erhöhte Flüs­sig­keits­auf­nahme fördert die Entgiftung.

Die Annahme, dass eine erhöhte Flüs­sig­keits­zufuhr die Nie­ren­funktion ver­bessere und damit die Ent­giftung steigere ist FALSCH, da die end­gültige Harn­menge erst im distalen Tubulus (Sam­melrohr) durch ADH (Anti­di­ure­tische Hormon), aber nicht durch die Nie­ren­funktion oder Fil­tration bestimmt wird. Eine über­höhte Flüs­sig­keits­auf­nahme geht vielmehr mit einer sin­kenden Ent­gif­tungs­leistung einher. Eine über­höhte Flüs­sig­keits­zufuhr hat damit keine posi­tiven gesund­heit­lichen Wir­kungen in dieser Hin­sicht – die Was­ser­menge hat mit der Nie­ren­funktion nichts zu tun.

Mythos: Eine erhöhte Flüs­sig­keits­auf­nahme steigert das Blutvolumen.

Die Annahme, dass eine erhöhte Flüs­sig­keits­zufuhr das Blut­vo­lumen erhöhe und damit Leis­tungs­fä­higkeit, Konzentra­tion, Wachheit usw. ver­bessere, ist FALSCH. Das Blut­vo­lumen wird unab­hängig von der akuten exo­genen Zufuhr extrem eng durch den dyna­mi­schen Flüs­sig­keits­aus­tausch zwi­schen Inters­titium und Intra­va­salraum re­guliert und erfordert keine per­ma­nente exogene Zufuhr. „Freies“ Wasser kann das Blut­vo­lumen nicht steigern. Ein gesunder Orga­nismus besitzt aus­rei­chende und mächtige Mecha­nismen, um das Blut­vo­lumen selbst­ständig zu regu­lieren und ver­sucht dies auch mit allen Mitteln.

Mögliche negative Effekte

Eine erhöhte bzw. über­höhte Flüs­sig­keits­zufuhr kann abge­sehen von einer Ver­rin­gerung der glome­ru­lären Fil­tra­ti­onsrate einige weitere negative Effekte mit sich bringen. Dazu gehören

  • die Induktion einer Hyper­vo­lämie mit Organ­funk­ti­ons­stö­rungen von Herz, Lunge, Niere usw.,
  • eine Hypo­na­trämie,
  • eine Erhöhung des Blut­drucks und der
  • Verlust wich­tiger Sub­stanzen wie Schild­drü­sen­hormone und Vitamine.

Abge­sehen davon können mit zu viel Trinken weitere Nach­teile ver­bunden sein wie zum Bei­spiel eine erhöhte Expo­sition gegenüber manchen Schad­stoffen in Wasser, erhöhte Kosten, das Risiko einer erhöhten Zufuhr von Energie aus gesüßten Getränken und schließlich – auch nicht zu ver­nach­läs­sigen – Unan­nehm­lich­keiten in Zusam­menhang mit häu­figem Urinieren.

Individueller Flüssigkeitsbedarf

Die optimale Trink­menge hängt von einer Reihe extrin­si­scher und intrin­si­scher Fak­toren ab, ist schwierig zu defi­nieren und es liegen relativ wenige Daten vor. Ein Zuviel ist glei­cher­maßen schädlich wie ein Zuwenig, womit das Ver­hältnis zwi­schen auf­ge­nom­mener Menge und damit ver­bun­denem Risiko einer U‑Kurve folgt. Bei gesunden Per­sonen ver­läuft die Kurve flach, Abwei­chungen vom Optimum in die eine oder andere Richtung haben keinen gra­vie­renden Ein­fluss auf die phy­sio­lo­gi­schen Vor­gänge. Ver­schiedene Erkran­kungen ver­ringern die Toleranz gegenüber abwei­chenden Flüs­sig­keits­mengen deutlich und die Kurve ver­läuft steiler. Spe­zi­elles Augenmerk auf eine aus­rei­chende Flüs­sig­keits­zufuhr ist zum Bei­spiel bei Nie­ren­er­kran­kungen, Herz­in­suf­fi­zienz oder Leber­zir­rhose zu legen – und in höherem Alter. Im Alter kommt es zu einer deut­lichen Beein­träch­tigung des Durst­ge­fühls. Ältere Men­schen trinken häufig viel zu wenig. In einer Studie von Rolls et al 1990 wurde das Durst­emp­finden von älteren Erwach­senen, d.h. Über-​65-​Jährigen, im Ver­gleich zu jün­geren, d.h. 30-​jährigen Erwach­senen unter­sucht. Ergebnis: Nach 24 Stunden ohne Was­ser­auf­nahme haben die Jün­geren innerhalb von zwei Stunden etwa doppelt so viel Wasser ge­trunken wie die Älteren (Rolls BJ, Phillips PA, Nutr Rev 1990; 48: 137; siehe Abb.1).

Wann viel Wasser gut tut

Es gibt durchaus Zustands­bilder, bei denen eine erhöhte Flüs­sig­keits­zufuhr sinnvoll sein kann. Dazu gehören eine Neigung zu Harn­steinen oder Harn­wegs­in­fek­tionen, poly­zys­tische Nie­ren­er­kran­kungen, even­tuell auch Adi­po­sitas. In einer Studie von Hooten et al 2018 wurde unter­sucht, ob eine erhöhte Trink­menge das wie­der­holte Auf­treten von Harn­wegs­in­fek­tionen redu­zieren kann. Die Inter­ven­ti­ons­gruppe bekam über 12 Monate zusätzlich 1,5 Liter Flüs­sigkeit pro Tag (Hooton TM. Et al, JAMA Intern Med, 2018; 178: 1509–1515). In der Inter­ven­ti­ons­gruppe kam es nach der 2. Episode zu einer deut­lichen Reduktion der Anfäl­ligkeit gegenüber Harn­wegs­in­fek­tionen (siehe Abb. 2) und auch deren Schwere.

Borghi et al haben unter­sucht, ob durch eine erhöhte Was­ser­auf­nahme die Inzidenz für Harn­steine redu­ziert werden kann (Borghi L. et al, J Urol 1996; 155: 839–843). Es zeigte sich in der Inter­ven­ti­ons­gruppe eine geringere Inzidenz für ein erneutes Auf­treten eines Harn­steins, als im Ver­gleich zur Kontrollgruppe.

Fazit
  • Viel Trinken im Sinn einer über­höhten Flüs­sig­keits­zufuhr ist (meist) nicht gesund. Die optimale Flüs­sig­keits­auf­nahme wird über das natür­liche Durst­emp­finden bzw. durch die mit Mahl­zeiten ver­bundene Zufuhr aus­rei­chend sichergestellt.
  • Die optimale Trink­menge hängt von zahl­reichen inneren und äußeren Fak­toren ab und ist dem­entspre­chend variabel.
  • Mög­liche negative Effekte einer über­höhten Flüs­sig­keits­zufuhr: Ver­rin­gerung der glome­ru­lären Fil­tra­ti­onsrate, Hyper­vo­lämie, Hypo­na­trämie, Blut­druck­an­stieg, Verlust von Sub­stanzen wie Schild­drü­sen­hormone oder Vitamine.
  • Sinnvoll kann eine erhöhte Flüs­sig­keits­zufuhr z.B. bei Harn­wegs­in­fek­tionen, Harn­steinen, poly­zys­ti­schen Nie­ren­er­kran­kungen sein.
  • Spe­zi­elles Augenmerk auf eine aus­rei­chende Flüs­sig­keits­zufuhr ist v.a. bei Klein­kindern zu legen und auf­grund des nach­las­senden Durst­emp­finden in höherem Alter.

Fallmann K, Widhalm K; ÖAIE: Vortrag im Rahmen des ÖAIE-​Jubiläumssymposiums 2019

Gruber K: Redak­tio­nelle Bear­beitung und Vortrag Nut­rition 2019