Um die Nachteile und Komplikationen eines Flüssigkeitsmangels geht es hier nicht, auch nicht um die häufige Dehydratation älterer Menschen oder eine Unterversorgung von Kleinkindern, sondern um neuerdings heftig propagierte spezifische positive Effekte einer überhöhten Aufnahme von Flüssigkeit. Eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr ist als eine Flüssigkeitszufuhr definiert, die über jene mit dem natürlichen Durstempfinden einhergehende bzw. die Mahlzeiten und Nebenmahlzeiten verbundene Zufuhr hinausgeht.
Eine hohe – vielen Empfehlungen zufolge weit überhöhte – Aufnahme von Wasser soll eine ganze Reihe von Beschwerden und Krankheiten aus der Welt schaffen, zu einem neuen und besseren Lebensgefühl verhelfen und schlechte Laune endgültig vertreiben. Die Nieren sollen unterstützt und die Entgiftung gefördert werden, Wachheit, Aufmerksamkeit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit sollen steigen. Positive Wirkungen auf die Haut sollen sich einstellen, der Blutdruck sinken, die Gewichtsreduktion soll einfacher werden (was durchaus im Bereich des Möglichen liegt), die Lebenserwartung steigen (was noch nachzuweisen wäre).
Wasser entwickelt sich immer mehr zu einem Milliardenmarkt, das Motto „Viel trinken“ zu einem Life-Style-Faktor und Bestandteil eines „gesunden“ oder manchmal vielleicht auch etwas gesundheitswahnhaften Lebensstils. Eine wissenschaftliche Basis für eine über den physiologischen Bedarf beziehungsweise das Durstempfinden hinausgehende Aufnahme von Flüssigkeit fehlt bis auf einige wenige spezifische Zustandsbilder allerdings. Von einer „Volkskrankheit“ Dehydratation kann keine Rede sein. Für die meisten Menschen gibt es also keinen Grund, mehr Flüssigkeit aufzunehmen, als dem natürlichen Durstempfinden entspricht. Der Gesundheit tut man damit nichts Gutes, das Gegenteil ist eher wahrscheinlich. Darauf deuten die Ergebnisse einer Reihe von Studien hin.
Kein Nutzen für Nieren
Palmer et al. haben untersucht, inwieweit die Flüssigkeitszufuhr mit der Gesamtmortalität, der kardiovaskulären Mortalität sowie der Nierenfunktion assoziiert ist (Palmer SC. et al., Nephrol Dial Transplant 2004; 29: 1377-1384). Die Flüssigkeitsmenge lag zwischen <2 und >3 Liter pro Tag. Die Auswertung der Daten der mehr als 3.800 Studienteilnehmer hat gezeigt, dass die höhere Flüssigkeitszufuhr mit keinen positiven Effekten auf Gesamtmortalität bzw. kardiovaskuläre Mortalität verbunden war. Zwischen normaler und erhöhter Flüssigkeitszufuhr bestand kein signifikanter Unterschied.
Gibt es bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion einen Zusammenhang zwischen der aufgenommen Flüssigkeit und der Nierenfunktion? In einer Studie von Hebert et al. wurde die Beziehung zwischen der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und der durchschnittlichen 24-Stunden-Harnmenge bei Patienten polyzystischer Nierenerkrankung (PKD) vs. Patienten ohne PKD untersucht (Hebert LA et al., Am J Kidney Dis 2003; 41: 962-972). Die GFR hat mit zunehmender Harnmenge in beiden Gruppen (PKD- und nicht-PKD-Patienten) abgenommen. Der Abfall der GFR war bei denjenigen Studienteilnehmern am höchsten, die am meisten Flüssigkeit zu sich genommen hatten. Anhaltend hohes Urinvolumen und geringe Osmolalität sind demnach als unabhängige Risikofaktoren für eine schnellere Progression der Niereninsuffizienz zu betrachten, so die Autoren.
Clark et al. untersuchten in einer Pilotstudie, wie sich 1 bis 1,5 Liter zusätzlicher Flüssigkeit täglich auf den 24-Stunden-Harn von Patienten mit chronischer Nierenerkrankung Stufe 3 auswirken (Clark WF et al., BMC open 2013; 9: e93226). Nach 6 Wochen zeigten sich in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe zwar eine Zunahme des Harnvolumens, aber keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Nierenfunktion, Lebensqualität, Elektrolytkonzentration oder glomerulärer Filtrationsrate. Die Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr wurde daher als sicher angenommen. Die in der Folge mit insgesamt rund 600 Patienten über einen Zeitraum von 12 Monaten durchgeführte Studie hat ergeben, dass die Trinkmenge das Fortschreiten der Erkrankung nicht signifikant beeinflusst (Clark WF et al. JAMA 2018; 319: 1870–1879). Die Teilnehmer der Interventionsgruppe waren angehalten, 1 bis 1,5 Liter mehr Flüssigkeit zu sich zu nehmen als gewohnt. De facto lagen die jeweiligen Trinkmengen bei 2,8 bzw. 2,0 Liter pro Tag. Bei erhöhter Flüssigkeitszufuhr wurden etwas niedrigere Kreatinin-Werte gemessen, die glomeruläre Filtrationsrate hatte sich jedoch in Abhängigkeit von der Trinkmenge durchwegs verschlechtert (Tab. 1). Hinsichtlich anderer Parameter wie Lebensqualität oder kardiovaskuläre Ereignisse zeigte sich kein Unterschied.
Magpantary et al. sind der Frage nachgegangen, ob sich eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme bei Nierenpatienten positiv auf das Organ auswirkt. Sie untersuchten den Effekt einer erhöhten Flüssigkeitsaufnahme bei transplantierten Nierenpatienten über 12 Monate (Magpantary L. et al, J Ren Nutr 2011; 21: 499-505). Die Interventionsgruppe bekam 4 Liter Flüssigkeit pro Tag und die Kontrollgruppe 2 Liter. Nach 12 Monaten zeigte sich, dass die Flüssigkeitsmenge keinen signifikanten Einfluss auf die glomeruläre Filtrationsrate bzw. Nierenfunktion hatte. Es gibt daher keine Begründung für eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr bei Patienten nach Nierentransplantationen.
Mythos: Eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme fördert die Entgiftung. Die Annahme, dass eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr die Nierenfunktion verbessere und damit die Entgiftung steigere ist FALSCH, da die endgültige Harnmenge erst im distalen Tubulus (Sammelrohr) durch ADH (Antidiuretische Hormon), aber nicht durch die Nierenfunktion oder Filtration bestimmt wird. Eine überhöhte Flüssigkeitsaufnahme geht vielmehr mit einer sinkenden Entgiftungsleistung einher. Eine überhöhte Flüssigkeitszufuhr hat damit keine positiven gesundheitlichen Wirkungen in dieser Hinsicht – die Wassermenge hat mit der Nierenfunktion nichts zu tun. Mythos: Eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme steigert das Blutvolumen. Die Annahme, dass eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr das Blutvolumen erhöhe und damit Leistungsfähigkeit, Konzentration, Wachheit usw. verbessere, ist FALSCH. Das Blutvolumen wird unabhängig von der akuten exogenen Zufuhr extrem eng durch den dynamischen Flüssigkeitsaustausch zwischen Interstitium und Intravasalraum reguliert und erfordert keine permanente exogene Zufuhr. „Freies“ Wasser kann das Blutvolumen nicht steigern. Ein gesunder Organismus besitzt ausreichende und mächtige Mechanismen, um das Blutvolumen selbstständig zu regulieren und versucht dies auch mit allen Mitteln. |
Mögliche negative Effekte
Eine erhöhte bzw. überhöhte Flüssigkeitszufuhr kann abgesehen von einer Verringerung der glomerulären Filtrationsrate einige weitere negative Effekte mit sich bringen. Dazu gehören
- die Induktion einer Hypervolämie mit Organfunktionsstörungen von Herz, Lunge, Niere usw.,
- eine Hyponaträmie,
- eine Erhöhung des Blutdrucks und der
- Verlust wichtiger Substanzen wie Schilddrüsenhormone und Vitamine.
Abgesehen davon können mit zu viel Trinken weitere Nachteile verbunden sein wie zum Beispiel eine erhöhte Exposition gegenüber manchen Schadstoffen in Wasser, erhöhte Kosten, das Risiko einer erhöhten Zufuhr von Energie aus gesüßten Getränken und schließlich – auch nicht zu vernachlässigen – Unannehmlichkeiten in Zusammenhang mit häufigem Urinieren.
Individueller Flüssigkeitsbedarf
Die optimale Trinkmenge hängt von einer Reihe extrinsischer und intrinsischer Faktoren ab, ist schwierig zu definieren und es liegen relativ wenige Daten vor. Ein Zuviel ist gleichermaßen schädlich wie ein Zuwenig, womit das Verhältnis zwischen aufgenommener Menge und damit verbundenem Risiko einer U-Kurve folgt. Bei gesunden Personen verläuft die Kurve flach, Abweichungen vom Optimum in die eine oder andere Richtung haben keinen gravierenden Einfluss auf die physiologischen Vorgänge. Verschiedene Erkrankungen verringern die Toleranz gegenüber abweichenden Flüssigkeitsmengen deutlich und die Kurve verläuft steiler. Spezielles Augenmerk auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist zum Beispiel bei Nierenerkrankungen, Herzinsuffizienz oder Leberzirrhose zu legen – und in höherem Alter. Im Alter kommt es zu einer deutlichen Beeinträchtigung des Durstgefühls. Ältere Menschen trinken häufig viel zu wenig. In einer Studie von Rolls et al 1990 wurde das Durstempfinden von älteren Erwachsenen, d.h. Über-65-Jährigen, im Vergleich zu jüngeren, d.h. 30-jährigen Erwachsenen untersucht. Ergebnis: Nach 24 Stunden ohne Wasseraufnahme haben die Jüngeren innerhalb von zwei Stunden etwa doppelt so viel Wasser getrunken wie die Älteren (Rolls BJ, Phillips PA, Nutr Rev 1990; 48: 137; siehe Abb.1).
Wann viel Wasser gut tut
Es gibt durchaus Zustandsbilder, bei denen eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr sinnvoll sein kann. Dazu gehören eine Neigung zu Harnsteinen oder Harnwegsinfektionen, polyzystische Nierenerkrankungen, eventuell auch Adipositas. In einer Studie von Hooten et al 2018 wurde untersucht, ob eine erhöhte Trinkmenge das wiederholte Auftreten von Harnwegsinfektionen reduzieren kann. Die Interventionsgruppe bekam über 12 Monate zusätzlich 1,5 Liter Flüssigkeit pro Tag (Hooton TM. Et al, JAMA Intern Med, 2018; 178: 1509-1515). In der Interventionsgruppe kam es nach der 2. Episode zu einer deutlichen Reduktion der Anfälligkeit gegenüber Harnwegsinfektionen (siehe Abb. 2) und auch deren Schwere.
Borghi et al haben untersucht, ob durch eine erhöhte Wasseraufnahme die Inzidenz für Harnsteine reduziert werden kann (Borghi L. et al, J Urol 1996; 155: 839-843). Es zeigte sich in der Interventionsgruppe eine geringere Inzidenz für ein erneutes Auftreten eines Harnsteins, als im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Fazit
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Fallmann K, Widhalm K; ÖAIE: Vortrag im Rahmen des ÖAIE-Jubiläumssymposiums 2019
Gruber K: Redaktionelle Bearbeitung und Vortrag Nutrition 2019