Mensch und Tier können einer Vielzahl von endokrin wirkenden Stoffen ausgesetzt sein. Natürlich vorkommende endokrin wirkende Stoffe finden sich als sogenannte Phytoöstrogene z.B. in Soja. Als Medikamente gelangen endokrin wirksame Substanzen in der Humanmedizin zum Einsatz (z.B. Verhütungsmittel oder Schilddrüsenhormon-Ersatzpräparate). Im Gegensatz dazu kann eine unerwünschte endokrine Wirkung von Pflanzenschutzmitteln (z.B. DDT [Dichlordiphenyltrichlorethan]), Umweltschadstoffen (z. B. Dioxine, PCB [Polychlorierte Biphenyle]) sowie von Substanzen in Lebensmittelkontaktmaterialien (z.B. Bisphenol A [BPA]) oder in Kosmetika (z.B. Parabene) herrühren.
Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) [1] gelten als endokrine Disruptoren (Endocrine Disrupting Chemicals [EDCs]) jene Substanzen, bei denen ein kausaler Zusammenhang zwischen der endokrinen Aktivität und einer dadurch induzierten, schädlichen Wirkung besteht. Die EU Kommission [2] beschreibt einen Stoff dann als einen mit endokrin schädlichen Eigenschaften, wenn er folgende Kriterien erfüllt: Er zeigt schädliche Auswirkungen bei einem intakten Organismus oder seinen Nachkommen; er weist eine endokrine Wirkungsweise auf; die schädlichen Auswirkungen sind eine Folge der endokrinen Wirkungsweise.
Problematik von Chemikalien
Bedenken in Bezug auf mögliche schädliche Wirkungen von endokrinen Disruptoren haben in den letzten Jahren vermehrt Beachtung gefunden [3]. Beobachtungen bei Mensch und Wildtieren deuten darauf hin, dass die Häufigkeit endokrin bedingter Erkrankungen und Störungen, einschließlich Beeinträchtigungen der Fortpflanzungsfähigkeit und Entwicklung, sowie hormonabhängiger Krebsarten zunimmt. Gemäß der rezenten, seit Juni 2018 verbindlichen Richtlinie der Europäischen Union zu hormonal wirkenden Stoffen bleibt der strategische Ansatz der EU im Umgang mit endokrinen Disruptoren weiterhin im Vorsorgeprinzip verankert und das Ziel ist die „Minimierung unserer Gesamtexposition gegenüber endokrinen Disruptoren unter besonderer Berücksichtigung wichtiger Lebensphasen wie Pubertät und Schwangerschaft“ [4].
Zur Beurteilung des Vorkommens endokriner Disruptoren in Trinkwasser, Grundwasser und Oberflächenwasser in Österreich untersuchte die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt (UBA) in den Jahren 2017 und 2018 stichprobenartig österreichisches Trinkwasser (n = 20), Grundwasser (n = 22) und Oberflächenwasser (n = 12), letzteres einschließlich von Badegewässern (n = 5) und Flüssen (n = 7). Wir analysierten die 54 Proben auf 28 Parameter (1512 Einzelmessungen) [5]. Die Auswahl der Probestellen erfolgte risikobasiert, aufbauend auf den Ergebnissen des Forschungsvorhabens „Pharmazeutika und Abwasserindikatoren in Grund- und Trinkwasser“ [6] im Sinne eines Worst-Case-Szenario.
Getestete Chemikalien
Folgende Chemikalien mit bekannter oder vermuteter endokrin disruptiver Wirkung wurden im Zug der Untersuchung getestet.
Östrogene: Östrogene oder Estrogene sind zentrale weibliche Sexualhormone, die im Körper vor allem als Estradiol, Estriol oder Estron spezifische Funktionen ausüben. Seit vielen Jahrzehnten werden synthetisch hergestellte Östrogene (z.B. Ethinylestradiol) zur Empfängnisverhütung bzw. zur Hormonbehandlung in der Menopause angewandt. Nach oraler Aufnahme von synthetischen Östrogenen zeigen diese eine gegenüber Estradiol verstärkte Wirkung und werden dann ähnlich wie dieses in der Leber abgebaut.
Triclosan: Triclosan gehört zur chemischen Stoffgruppe der polychlorierten Phenoxyphenole und wird als antimikrobieller Wirkstoff in einer breiten Palette von Gebrauchsgegenständen als Konservierungsstoff eingesetzt.
Bisphenole: Bisphenole sind chemische Verbindungen aus der Gruppe der Diphenylmethan-Derivate. Untersucht wurde auf Bisphenol A (BPA) und Bisphenol S (BPS). BPA ist Bestandteil vieler Produkte des täglichen Gebrauchs wie Plastikflaschen oder Epoxidharz-Bodenbeschichtungen. BPS wird unter anderem als Bestandteil von Epoxidharzen und als Antikorrosionsmittel verwendet.
Perfluoralkylsubstanzen: Perfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) haben keine natürliche Quelle. Untersucht wurde auf Perfluoroctansäure (PFOA) und Perfluoroctansulfonsäure (PFOS). Diese werden in zahlreichen Verbraucherprodukten eingesetzt, beispielsweise in wasser-, schmutz- und fettabweisenden Ausrüstungen von Teppichen, Kleidung und Kochgeschirr mit Antihaftbeschichtung. Historisch wurde für PFAS auch die Bezeichnung Perfluorierte Tenside (PFT) verwendet.
Polybromierte Diphenylether: Polybromierte Diphenylether (PBDE) sind bromhaltige organische Chemikalien, die als Flammschutzmittel in vielen Kunststoffen und Textilien eingesetzt werden. Untersucht wurde auf 2,2 ‚, 4,4′, 6-Pentabromdiphenylether (BDE 100); 2,2′, 4,4‘, 5,5 ‚- Hexabromdiphenylether (BDE 153); 2,2 ‚, 4,4′, 5,6′-Hexabromdiphenylether (BDE 154); 2,4,4‘-Tribromdiphenylether (BDE 28); 2,2 ‚, 4,4‘-Tetrabromdiphenylether (BDE 47); 2,2 ‚, 4,4‘, und 5-Pentabromdiphenylether (BDE 99).
Phthalate: Phthalate sind Ester der Phthalsäure mit verschiedenen Alkoholen. Untersucht wurde auf Benzylbutylphthalat (BBP), Di-(2-ethylhexyl) phthalat (DEHP), Diisodecylphthalat (DIDP), Diisononylphthalat (DINP), Di-n-Butylphthalat (DBP), Di-n-Octylphthalat (DNOP), Diethylphthalat (DEP) und Dimethylphthalat (DMP). Der überwiegende Teil der Phthalate wird als Weichmacher für Kunststoffe wie PVC, Nitrocellulose oder synthetischen Gummi verwendet. Dimethyl-, Diethyl- und Dibutylphthalat kommen auch als Bestandteil von Kosmetik oder Körperpflegemitteln zum Einsatz.
Alkylphenole: Alkylphenole sind Vorstufen und Abbauprodukte der waschaktiven Alkylphenolethoxylate (nichtionische Tenside). Untersucht wurde auf 4-tert-Octylphenol, Octylphenol-monoethoxylat, Octylphenol-diethoxylat, 4-n-Nonyphenol, Nonylphenol-monoethoxylat und Nonylphenol-diethoxylat.
Vorkommen in Wasserproben
Keine der Proben wies Östrogene oder Triclosan in nachweisbaren Mengen auf.
BPA wurde in vier Trinkwasserproben, in einer Grundwasserprobe und in einer Badegewässerprobe nachgewiesen. Zwei Trinkwasserproben überschritten dabei mit Konzentrationen von 20,9 ng/l und 13,1 ng/l den in einem EU Richtlinienvorschlag über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch genannten Grenzwert von 0,01 μg/l (=10 ng/l) [7].
PFOS wurde in sieben Trinkwasserproben, vier Grundwasserproben, in einem Fließgewässer und in einem Badegewässer nachgewiesen. PFOA wurde in drei Trinkwasserproben, sieben Grundwasserproben, zwei Badegewässern und in einem Fließgewässer gefunden. In allen Proben lagen die Werte unter den geltenden Richtwerten. Die im bereits genannten Vorschlag [7] als Grenzwert für perfluorierte Alkylverbindungen angeführten 0,1 μg/l wurden nicht überschritten. Der ‚Panel on Contaminants in the Food Chain‘ (CONTAM) der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) hat in einer rezenten Stellungnahme eine tolerierbare wöchentliche Aufnahme (TWI) für PFOA von 6 ng/kg Körpergewicht, und für PFOS von 13 ng/kg Körpergewicht postuliert [8]. Wenn man das Zuteilungskonzept der Weltgesundheitsorganisation (WHO) [9] anwendet, resultieren für PFOA in Trinkwasser daraus Parameterwerte von 0.0051 µg/l (= 5,1 ng/l) (bei Erwachsenen) und 0.0011 µg/l (= 1,1 ng/l) (bei Säuglingen); für PFOS in Trinkwasser 0.0111 µg/l (= 11,1 ng/l) (für Erwachsene) und 0.0025 µg/l (= 2,5 ng/l) (für Säuglinge). Die derart errechneten Grenzwerte für PFOA in Trinkwasser wären bei PFOA für Säuglinge in drei (15,0 %) und für Erwachsene in zwei (10 %) Proben überschritten gewesen; bei PFOS für Säuglinge in zwei (10,0 %) Proben und für Erwachsene in einer (5,0 %) Probe. Die gemessenen Spitzenwerte waren für PFOA 10,7 ng/l und für PFOS 43,3 ng/l.
Polybromierte Diphenylether (PBDE) wurden an neun von 22 Grundwassermessstellen (BDE 47, 99, 100, 154) und neun von 20 Trinkwassermessstellen (BDE 28, 47, 99, 153, 154) gefunden. Die höchsten Werte lagen bei 0,62 ng/l in einer Grundwasserprobe und bei 0,49 ng/l im Trinkwasser (jeweils BDE 47). Diese Gehalte lagen deutlich unterhalb gesicherter humantoxikologischer Relevanz.
Einzelstoffe aus der Gruppe der Phthalate wurden in zwei Trinkwasser-Proben (Di-n-butylphthalatat, Diethylphthalat), in fünf Grundwasser-Proben 16 (Di-(2-ethyhexyl)phthalat, Di-n-butylphthalatat, Diethylphthalat, Benzylbutylphthalat, Dimethylphthalat), in zwei Badegewässern (Di-(2-ethyhexyl)phthalat, Diethylphthalat), sowie in zwei Fließgewässern (Diethylphthalat, Dimethylphthalat) nachgewiesen. Auch diese Gehalte lagen deutlich unterhalb gesicherter humantoxikologischer Relevanz.
Diskussion
Die Ergebnisse unserer Studie lieferten eine Datengrundlage über das Auftreten von potentiell endokrin disruptiven Stoffen in österreichischem Trinkwasser, Grundwasser und Oberflächengewässern. In 39 der im Rahmen einer Worst-Case-Betrachtung ausgewählten 54 Proben (72,2 %) wurde mindestens ein endokrin schädlicher oder potenziell endokrin schädlicher Stoff gefunden, wenngleich auch „nur“ im Bereich von Nanogramm pro Liter. Zwei der zwanzig im Rahmen unsere Studie untersuchten österreichischen Trinkwasserproben enthielten BPA Konzentrationen über dem von der Europäischen Kommission kürzlich für Trinkwasser vorgeschlagenen Grenzwert von 0,01 μg/l. Dazu kamen noch einige, teilweise wesentliche PFOA- und PFOS-Überschreitungen von Trinkwassergrenzwerten – insbesondere jener für Säuglinge und Kleinkinder –, wie sie aus der Stellungnahme eines wissenschaftlichen Ausschusses der EFSA ableitbar wären. Diese Ergebnisse unterstreichen, dass auch für Österreich ein Ziel der öffentlichen Gesundheit sein muss, die Produktion der massiv in Verdacht geratenen EDCs weiter zu reduzieren und einzuschränken und damit die Kontamination von Trinkwasserressourcen, die unserer Meinung nach primär durch Abwasser- bzw. Oberflächenwasserbeeinflussung bedingt ist, zu verringern und schlussendlich zu eliminieren.
Kontakt
Dr. Werner Brüller,
Dipl. Ing. Dr. Norbert Inreiter,
Univ. Prof. Dr. Franz Allerberger, Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), Spargelfeldstr. 191, 1220 Wien, Österreich; Email: franz.allerberger@ages.at
Univ.-Prof. Dr. Christian Egarter, Klinische Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Medizinische Universität Wien, Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien, Österreich; Email: christian.egarter@meduniwien.ac.at
Literatur
1. Bergman A, Heindel JJ, Jobling S, Kidd KA und Zoeller RT (Eds.) State of the Science of Endocrine Disrupting Chemicals – 2012. United Nations Environment Programme and the World Health Organization, Geneva (2013) 2. Verordnung (EU) 2018/605 der Kommission vom 19. April 2018 zur Änderung von Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 durch die Festlegung wissenschaftlicher Kriterien für die Bestimmung endokrinschädlicher Eigenschaften; 20.4.2018, L 101/33 (2018) 3. Fürhacker M. Endokrine Disruptoren – eine komplexe Herausforderung. Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft. 69: 317–326 (2017) 4. Europäische Kommission. Endokrine Disruptoren: Eine Strategie der Zukunft zum Schutz von EU-Bürgerinnen und -Bürgern und der Umwelt. Europäische Kommission – Pressemitteilung IP/18/6287, Brüssel, 7. Nov. (2018) 5.Brueller W et al. (2018) Occurrence of chemicals with known or suspected endocrine disrupting activity in drinking water, groundwater and surface water, Austria 2017/2018. Bodenkultur. 69:155–173 (2018)6. Humer F, Inreiter N. Monitoringprogramm von Pharmazeutika und Abwasserindikatoren in Grund- und Trinkwasser. Forschungsprojekt Umweltbundesamt und AGES im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, Endbericht Juni 2015, ISBN 978-3-902611-97-0, Wien (2015) 7. Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on the quality of water intended for human consumption (recast). COM (2017) 753 final. Brussels, 1 Febr. (2018) 8. EFSA CONTAM Panel (EFSA Panel on Contaminants in the Food Chain) (2018) Scientific Opinion on the risk to human health related to the presence of perfluorooctane sulfonic acid and perfluorooctanoic acid in food. EFSA Journal 2018; 16(12):5194, 284 pp. https://doi.org/10.2903/j.efsa.2018.5194. 9. World Health Organization. Guidelines for drinking-water quality: fourth edition incorporating the first addendum. Geneva. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO (2017)