Zucker! Fett war gestern

Dezember 2018

Vor nicht allzu langer Zeit stand die Reduktion des Fett­ge­haltes von Lebens­mitteln im Blick­punkt, derzeit steht Zucker im Zentrum der Auf­merk­samkeit. Zu Recht, wie der Zucker­konsum der Öster­reicher zeigt.

Zwar ist der Pro-​Kopf-​Verbrauch in Öster­reich laut Sta­tistik Austria gesunken, von 37,1 Kilo im Jahr 2012 auf 33,4 Kilo im Jahr 2016. Das ent­spricht immerhin einer Reduktion von 10 Prozent. Nichts­des­to­we­niger ist er mit umge­rechnet 91,5 Gramm bezie­hungs­weise 24 Stück Wür­fel­zucker à 3,8 Gramm pro Tag noch um einiges zu hoch. Öster­reich liegt damit übrigens prak­tisch gleichauf mit Deutschland.

Die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation WHO emp­fiehlt eine Auf­nahme von freien Zuckern von maximal 10 Prozent der Gesamt­energie. Bei einem Ener­gie­bedarf von 2000 Kilo­ka­lorien wären das 50 Gramm bzw. rund 10 Tee­löffel Zucker, wobei Zucker in Honig, Sirup, Frucht­säften usw. ein­be­zogen ist. Der in Obst, Gemüse und Milch vor­kom­mende Zucker wird von der WHO-​Richtlinie auf­grund der im Ver­hältnis geringen Mengen nicht berück­sichtigt. Auf der anderen Seite ver­zichtet die Euro­päische Agentur für Lebens­mit­tel­si­cherheit EFSA in ihren neuen Ernäh­rungs­emp­feh­lungen auf die Nennung einer Ober­grenze. Die WHO jeden­falls hält eine weitere Reduktion der Auf­nahme freien Zuckers auf weniger als 5 Ener­gie­prozent für sinnvoll.

Wie stark sich die Ver­wendung von Zucker von den Haus­halten hin zur indus­tri­ellen Pro­duktion ver­lagert hat, zeigt die Kon­sum­er­hebung der Sta­tistik Austria. Der in den Haus­halten ver­wendete Zucker pro Kopf und Monat ist von durch­schnittlich 2,1 Kilo im Jahr 1974 nämlich auf 0,8 Kilo im Zeitraum 2014/​2015 gesunken. Das ent­spricht einer Reduktion von 61,4 Prozent in den Haus­halten und spiegelt ange­sichts des bei weitem nicht in diesem Ausmaß gesun­kenen Zucker­ver­brauchs ins­gesamt die Ver­la­gerung hin zur indus­tri­ellen Pro­duktion. Trotz sin­kender Tendenz ent­halten Soft­drinks und andere flüssige Pro­dukte noch teil­weise sehr hohe Mengen an zuge­setztem Zucker. Ein Glas Limonade (200ml) zum Bei­spiel kann rund 20g Zucker ent­halten, ein Becher Frucht­jo­ghurt (250g) 31 bis 37g. Bei manchen Pro­dukten wurde eine Fett­re­duktion mit einer Stei­gerung des Zucker­ge­halts „erkauft“, bei anderen findet sich Zucker in teil­weise über­ra­schend hohen Mengen auch dort, wo man es nicht ver­muten würde.

Nicht allein die Kalorien zählen

Zwar wird der Beitrag von Zucker zur Ent­stehung der Adi­po­si­ta­s­epi­demie im Ver­hältnis zur Gesamt­ener­gie­auf­nahme nach wie vor dis­ku­tiert. Der über­mäßige Konsum von Zucker wird jedoch all­gemein als wesent­licher Beitrag zur Ent­stehung von Adi­po­sitas mit seinen ver­schie­denen Fol­ge­er­kran­kungen wie Dia­betes Typ 2 gesehen.

Dabei wie­derum stehen gezu­ckerte Getränke an vor­derster Stelle. Aktuelle Meta­ana­lysen mit ins­gesamt rund 250.000 Teil­nehmern lassen den Schluss zu, dass der Konsum zucker­ge­süßter Soft­drinks durch Kinder mit der Ent­stehung von Adi­po­sitas asso­ziiert ist. „Auch wenn die Gesamt­ka­lo­rienzahl der Haupt­rolle bei der Adi­po­si­tas­ent­stehung spielt, trägt Zucker auf­grund seiner Zusam­men­setzung gleich mehrfach dazu bei“, sagt der Leiter der Abteilung für Kli­nische Ernährung am Deut­schen Institut für Ernäh­rungs­for­schung (DIfE) Potsdam-​Rehbrücke und Leiter der Abteilung für Endo­kri­no­logie, Dia­betes und Ernährung der Charité Campus Ben­jamin Franklin in Berlin, Prof. Dr. Andreas F.H. Pfeiffer, in einer Aus­sendung für die Deutsche Dia­betes Gesell­schaft. Zum einen ist dafür der hohe Kalo­rien­gehalt ver­ant­wortlich, zum anderen zeigt sich immer deut­licher, dass Sac­charose auch unab­hängig vom Kör­per­ge­wicht gewisse Stoff­wech­sel­ab­läufe ungünstig beein­flussen und damit die Ent­stehung meh­rerer zivi­li­sa­to­rische Stoff­wech­sel­krank­heiten fördern kann.

Glukose setzt im oberen Dünndarm aus den K‑Zellen das Hormon Glu­ko­se­indu­ziertes Insu­li­notropes Peptid (GIP) frei. Damit wirkt sie in Richtung einer Fett­leber und der Insu­lin­re­sistenz. GIP steuert u.a. die Lipolyse im Fett­gewebe und bewirkt so, dass nach einer Mahlzeit weniger Fett aus den Spei­chern ver­brannt werden kann. Weiters beein­flusst das Peptid die Durch­blutung im Darm, sodass das Blut mit den Nähr­stoffen mög­lichst effektiv zu den Spei­cher­or­ganen gelangt und nicht erst als Gly­kogen in der Leber abge­lagert wird. Darüber hinaus erhöht GIP im Gehirn die Frei­setzung des appe­tit­an­re­genden Hormons Neu­ro­peptid Y (NPY) und bewirkt zudem eine erhöhte Trägheit.

Fruktose wie­derum ist in höherer Dosis ein unmit­tel­barer Sti­mu­lator der Fett­syn­these in der Leber. Wie epi­de­mio­lo­gische Studien bestä­tigen ist Fett­leber eng mit dem Fruk­to­se­konsum asso­ziiert. In einer aktu­ellen Studie konnte gezeigt werden, dass schon eine kurz­fristige Ein­schränkung des Fruk­to­se­konsums bei Kindern zu einer Ver­bes­serung der Fett­leber führt. Fruktose regt weiters die Harn­säu­re­bildung an, und ein erhöhter Harn­säu­re­spiegel ist nicht nur mit der bekannten Wahr­schein­lichkeit einer Gicht ver­bunden, sondern wird auch mit einem erhöhten Blut­druck und mit Insu­lin­re­sistenz in Ver­bindung gebracht.

Schwieriger Abschied

Der bedeu­tende Anteil des auf­ge­nom­menen freien Zuckers in indus­triell gefer­tigten Pro­dukten unter­streicht die Bedeutung der Ein­be­ziehung der Industrie, um eine Reduktion des Zucker­konsums zu erreichen. Ob dies nun über frei­willige Maß­nahmen oder über einen durch Steuern erzeugten Preis­druck sinn­voller ist, wird kon­tro­ver­siell dis­ku­tiert. Während einige Länder bereits Steuern auf zucker­reiche Lebens­mittel ein­ge­führt haben und von posi­tiven Aus­wir­kungen auf die Adi­po­si­tas­ver­breitung berichten, bleibt man in Deutschland und Öster­reich zum Bei­spiel dazu noch auf Distanz.

Jeden­falls steht Zucker derzeit in der öffent­lichen Kritik und erlebt bei Gesundheits- und Ernäh­rungs­be­wussten einen Image­verlust. Die Nach­frage nach zucker­re­du­zierten Pro­dukten steigt. Dem­entspre­chend kommen ver­mehrt zucker­re­du­zierte Pro­dukte auf den Markt. Es gibt abge­sehen von Soft­drinks immer mehr Joghurts, Scho­ko­riegel, Kekse, Müslis usw. usw. mit zucker­re­du­zierten Rezep­turen. Große Han­dels­ketten machen sich derzeit für eine Zucker­re­duktion bei ihren Eigen­marken stark.

Die Her­steller befinden sich dabei auch in einem gewissen Dilemma. Eine aktuelle Studie der Deut­schen Landwirtschafts-​Gesellschaft (DLG) hat ergeben, dass zwar fast 60 Prozent der Ver­braucher angeben, ihren Zucker­konsum redu­zieren zu wollen. Doch nur 20 Prozent sind bereit, deshalb Ver­än­de­rungen oder Ein­bußen beim Geschmack hin­zu­nehmen. Eine Reduktion des Zucker­ge­halts oder ein Ersatz durch Zucker­er­satz­stoffe oder Süß­stoffe ver­ändert nicht nur den Geschmack, sondern auch tech­no­lo­gische Eigen­schaften und Sen­sorik. Wer also den Zucker­gehalt seiner Pro­dukte zu unvor­sichtig oder zu sehr ver­ringert, könnte sehr rasch auch die Zahl seiner Kunden verringern.

Weltweit wird nach neuen Lösungen für das Zucker-​Problem gesucht. Die Firma Nestlé zum Bei­spiel arbeitet an einem porösen Zucker, bei dem die Kris­talle aus­ge­höhlt sind. Der Effekt: Sie lösen sich rascher auf, ver­mitteln den Ein­druck „süß“ rascher und man sollte mit weniger Zucker aus­kommen. In einem anderen Ansatz werden die Zucker­mo­leküle der Sac­charose so ver­ändert, dass sie zwar noch süß schmecken, vom Orga­nismus aber nicht mehr oder nur ein­ge­schränkt ver­wertet werden können und daher keine – oder zumindest wesentlich weniger – Kalorien liefern. Als Allulose oder Psicose ist ein solcher Zucker in den USA und in einigen asia­ti­schen Ländern bereits auf dem Markt. Ein zum deut­schen Zucker­her­steller Pfeifer & Langen gehö­rendes Start-​up-​Unternehmen will die Allulose nun auch in Europa verbreiten.

Karin Gruber

Foto-​Credit: © Ingimage

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