Zwar ist der Pro-Kopf-Verbrauch in Österreich laut Statistik Austria gesunken, von 37,1 Kilo im Jahr 2012 auf 33,4 Kilo im Jahr 2016. Das entspricht immerhin einer Reduktion von 10 Prozent. Nichtsdestoweniger ist er mit umgerechnet 91,5 Gramm beziehungsweise 24 Stück Würfelzucker à 3,8 Gramm pro Tag noch um einiges zu hoch. Österreich liegt damit übrigens praktisch gleichauf mit Deutschland.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt eine Aufnahme von freien Zuckern von maximal 10 Prozent der Gesamtenergie. Bei einem Energiebedarf von 2000 Kilokalorien wären das 50 Gramm bzw. rund 10 Teelöffel Zucker, wobei Zucker in Honig, Sirup, Fruchtsäften usw. einbezogen ist. Der in Obst, Gemüse und Milch vorkommende Zucker wird von der WHO-Richtlinie aufgrund der im Verhältnis geringen Mengen nicht berücksichtigt. Auf der anderen Seite verzichtet die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit EFSA in ihren neuen Ernährungsempfehlungen auf die Nennung einer Obergrenze. Die WHO jedenfalls hält eine weitere Reduktion der Aufnahme freien Zuckers auf weniger als 5 Energieprozent für sinnvoll.
Wie stark sich die Verwendung von Zucker von den Haushalten hin zur industriellen Produktion verlagert hat, zeigt die Konsumerhebung der Statistik Austria. Der in den Haushalten verwendete Zucker pro Kopf und Monat ist von durchschnittlich 2,1 Kilo im Jahr 1974 nämlich auf 0,8 Kilo im Zeitraum 2014/2015 gesunken. Das entspricht einer Reduktion von 61,4 Prozent in den Haushalten und spiegelt angesichts des bei weitem nicht in diesem Ausmaß gesunkenen Zuckerverbrauchs insgesamt die Verlagerung hin zur industriellen Produktion. Trotz sinkender Tendenz enthalten Softdrinks und andere flüssige Produkte noch teilweise sehr hohe Mengen an zugesetztem Zucker. Ein Glas Limonade (200ml) zum Beispiel kann rund 20g Zucker enthalten, ein Becher Fruchtjoghurt (250g) 31 bis 37g. Bei manchen Produkten wurde eine Fettreduktion mit einer Steigerung des Zuckergehalts „erkauft“, bei anderen findet sich Zucker in teilweise überraschend hohen Mengen auch dort, wo man es nicht vermuten würde.
Nicht allein die Kalorien zählen
Zwar wird der Beitrag von Zucker zur Entstehung der Adipositasepidemie im Verhältnis zur Gesamtenergieaufnahme nach wie vor diskutiert. Der übermäßige Konsum von Zucker wird jedoch allgemein als wesentlicher Beitrag zur Entstehung von Adipositas mit seinen verschiedenen Folgeerkrankungen wie Diabetes Typ 2 gesehen.
Dabei wiederum stehen gezuckerte Getränke an vorderster Stelle. Aktuelle Metaanalysen mit insgesamt rund 250.000 Teilnehmern lassen den Schluss zu, dass der Konsum zuckergesüßter Softdrinks durch Kinder mit der Entstehung von Adipositas assoziiert ist. „Auch wenn die Gesamtkalorienzahl der Hauptrolle bei der Adipositasentstehung spielt, trägt Zucker aufgrund seiner Zusammensetzung gleich mehrfach dazu bei“, sagt der Leiter der Abteilung für Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) Potsdam-Rehbrücke und Leiter der Abteilung für Endokrinologie, Diabetes und Ernährung der Charité Campus Benjamin Franklin in Berlin, Prof. Dr. Andreas F.H. Pfeiffer, in einer Aussendung für die Deutsche Diabetes Gesellschaft. Zum einen ist dafür der hohe Kaloriengehalt verantwortlich, zum anderen zeigt sich immer deutlicher, dass Saccharose auch unabhängig vom Körpergewicht gewisse Stoffwechselabläufe ungünstig beeinflussen und damit die Entstehung mehrerer zivilisatorische Stoffwechselkrankheiten fördern kann.
Glukose setzt im oberen Dünndarm aus den K-Zellen das Hormon Glukoseinduziertes Insulinotropes Peptid (GIP) frei. Damit wirkt sie in Richtung einer Fettleber und der Insulinresistenz. GIP steuert u.a. die Lipolyse im Fettgewebe und bewirkt so, dass nach einer Mahlzeit weniger Fett aus den Speichern verbrannt werden kann. Weiters beeinflusst das Peptid die Durchblutung im Darm, sodass das Blut mit den Nährstoffen möglichst effektiv zu den Speicherorganen gelangt und nicht erst als Glykogen in der Leber abgelagert wird. Darüber hinaus erhöht GIP im Gehirn die Freisetzung des appetitanregenden Hormons Neuropeptid Y (NPY) und bewirkt zudem eine erhöhte Trägheit.
Fruktose wiederum ist in höherer Dosis ein unmittelbarer Stimulator der Fettsynthese in der Leber. Wie epidemiologische Studien bestätigen ist Fettleber eng mit dem Fruktosekonsum assoziiert. In einer aktuellen Studie konnte gezeigt werden, dass schon eine kurzfristige Einschränkung des Fruktosekonsums bei Kindern zu einer Verbesserung der Fettleber führt. Fruktose regt weiters die Harnsäurebildung an, und ein erhöhter Harnsäurespiegel ist nicht nur mit der bekannten Wahrscheinlichkeit einer Gicht verbunden, sondern wird auch mit einem erhöhten Blutdruck und mit Insulinresistenz in Verbindung gebracht.
Schwieriger Abschied
Der bedeutende Anteil des aufgenommenen freien Zuckers in industriell gefertigten Produkten unterstreicht die Bedeutung der Einbeziehung der Industrie, um eine Reduktion des Zuckerkonsums zu erreichen. Ob dies nun über freiwillige Maßnahmen oder über einen durch Steuern erzeugten Preisdruck sinnvoller ist, wird kontroversiell diskutiert. Während einige Länder bereits Steuern auf zuckerreiche Lebensmittel eingeführt haben und von positiven Auswirkungen auf die Adipositasverbreitung berichten, bleibt man in Deutschland und Österreich zum Beispiel dazu noch auf Distanz.
Jedenfalls steht Zucker derzeit in der öffentlichen Kritik und erlebt bei Gesundheits- und Ernährungsbewussten einen Imageverlust. Die Nachfrage nach zuckerreduzierten Produkten steigt. Dementsprechend kommen vermehrt zuckerreduzierte Produkte auf den Markt. Es gibt abgesehen von Softdrinks immer mehr Joghurts, Schokoriegel, Kekse, Müslis usw. usw. mit zuckerreduzierten Rezepturen. Große Handelsketten machen sich derzeit für eine Zuckerreduktion bei ihren Eigenmarken stark.
Die Hersteller befinden sich dabei auch in einem gewissen Dilemma. Eine aktuelle Studie der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) hat ergeben, dass zwar fast 60 Prozent der Verbraucher angeben, ihren Zuckerkonsum reduzieren zu wollen. Doch nur 20 Prozent sind bereit, deshalb Veränderungen oder Einbußen beim Geschmack hinzunehmen. Eine Reduktion des Zuckergehalts oder ein Ersatz durch Zuckerersatzstoffe oder Süßstoffe verändert nicht nur den Geschmack, sondern auch technologische Eigenschaften und Sensorik. Wer also den Zuckergehalt seiner Produkte zu unvorsichtig oder zu sehr verringert, könnte sehr rasch auch die Zahl seiner Kunden verringern.
Weltweit wird nach neuen Lösungen für das Zucker-Problem gesucht. Die Firma Nestlé zum Beispiel arbeitet an einem porösen Zucker, bei dem die Kristalle ausgehöhlt sind. Der Effekt: Sie lösen sich rascher auf, vermitteln den Eindruck „süß“ rascher und man sollte mit weniger Zucker auskommen. In einem anderen Ansatz werden die Zuckermoleküle der Saccharose so verändert, dass sie zwar noch süß schmecken, vom Organismus aber nicht mehr oder nur eingeschränkt verwertet werden können und daher keine – oder zumindest wesentlich weniger – Kalorien liefern. Als Allulose oder Psicose ist ein solcher Zucker in den USA und in einigen asiatischen Ländern bereits auf dem Markt. Ein zum deutschen Zuckerhersteller Pfeifer & Langen gehörendes Start-up-Unternehmen will die Allulose nun auch in Europa verbreiten.
Karin Gruber
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