Omega-​3-​Fettsäuren zur kardiovaskulären Prävention

Oktober 2018

Obwohl teil­weise kon­tro­verse Ergeb­nisse vor­liegen, zeigen doch zahl­reiche Studien einen kar­dio­vas­ku­lären Benefit einer hohen Auf­nahme von Omega-​3-​Fettsäuren, im Spe­zi­ellen DHA und EPA. Nun sind Meta-​Analysen publi­ziert worden, in denen das kar­dio­pro­tektive Potenzial einer ergän­zenden Auf­nahme prak­tisch völlig in Abrede gestellt wird.

Wir haben den Kar­dio­logen und renom­mierten Lipidfor­scher Univ.-Prof. Dr. Clemens von Schacky, Leiter der Prä­ven­tiven Kar­dio­logie der Ludwig-​Maximilians-​Universität München, zu einem Interview und seine Sicht der Dinge gebeten.

JEM Wie stehen Sie zu den Schluss­fol­ge­rungen der Autoren der Meta-Analysen?

Prof. von Schacky Die Cochrane Meta-​Analyse und die Meta-​Analyse von Aung et al. basieren im Wesent­lichen auf den gleichen großen Inter­ven­ti­ons­studien, so dass man sich nicht wundern muss, wenn das Gleiche raus­kommt. Beide haben sich bemüht, die Studien mög­lichst voll­ständig zu erfassen – ob die meta-​analysierten Inter­ven­ti­ons­studien von der Qua­lität her gut genug waren, war Neben­sache. Man hätte die Studien weg­lassen müssen, die gra­vie­rende Fehler im Stu­di­en­design hatten, auch wenn die Fehler unab­sichtlich gemacht wurden. In vielen Studien wurde unter anderem die Bio­ver­füg­barkeit mini­miert, und/​oder eine zu niedrige Dosis gegeben, um eine effektive Trennung hin­sichtlich der Omega-​3-​Spiegel von Verum und Placebo zu erreichen. Das liegt auch daran, dass Omega-​3-​Experten bei der Stu­di­en­planung niemals beteiligt wurden. Wenn Omega-​3-​Experten die Studien planten, waren die Ergeb­nisse in der Regel positiv, weil eine gute Kenntnis der Beson­der­heiten der Omega‑3 Fett­säuren viele Fehler ver­meiden hilft.

Stellen Inter­ven­ti­ons­studien mit Lebens­mit­tel­be­stand­teilen besondere Anforderungen?

Grund­sätzlich sind Inter­ven­ti­ons­studien mit Sub­stanzen, die natür­li­cher­weise im Körper vor­kommen – wie Omega-​3-​Fettsäuren oder Vitamin D – schwie­riger in Design und Durch­führung als Studien mit Pharmaka. Man kann auch sagen: die Meta-​Analysen waren falsch angelegt, die Schluss­fol­ge­rungen passten zu den fal­schen Ergeb­nissen. In den Medien kommt dann an: „Omega‑3 Fett­säuren sind weit­gehend nutzlos.“ Und das, obwohl nur die Prä­vention kar­dio­vas­ku­lärer Ereig­nisse unter­sucht wurde. Die Folge ist, dass Omega-​3-​Fettsäuren nicht nur in der Kar­dio­logie, sondern auch in anderen Zusam­men­hängen, wo sie unver­zichtbar sind, z.B. in der Schwan­ger­schaft, ent­gegen den Leit­linien nicht gegeben werden.

Können Nah­rungs­mit­tel­be­stand­teile bzw. Nah­rungs­er­gän­zungs­mittel allein auf Basis von RCTs beur­teilt werden?

Nein, das ist unwis­sen­schaftlich. Wis­sen­schaft ist immer ein Puzzle. Nicht immer passen alle Puz­zle­steine zusammen, und dann muss man sich über­legen, warum. Im Falle von Omega‑3 Fett­säuren gibt es ja eine recht kon­sis­tente Evidenz aus Epi­de­mio­logie, Wirk­me­cha­nismen, Tier­mo­dellen, Inter­ven­ti­ons­studien zu Sur­ro­gat­pa­ra­metern wie Risi­ko­fak­toren und Inter­ven­ti­ons­studien zu Inter­me­di­är­pa­ra­metern wie Gefäß­ver­än­de­rungen. Nur die Ergeb­nisse der großen Inter­ven­ti­ons­studien mit kli­ni­schen End­punkten passen nicht – da darf man dann schon über­legen, ob bei diesen Studien etwas nicht stimmen könnte. Und wenn man das tut, dann wird man fündig.

Oder haben Beob­ach­tungs­studien hier even­tuell ein grö­ßeres Gewicht als bei Arzneimitteln?

Nicht unbe­dingt. Aller­dings haben wir seit einigen Jahren einen Bio­marker für den Omega-​3-​Fettsäure-​Spiegel im Blut, den Omega-​3-​Index. Der hängt nur zu einem geringen Teil von der Zufuhr ab, vor allem aber von Dingen, auf die der ein­zelne keinen Ein­fluss hat wie Gene, Kat­abo­lismus usw. Ent­scheidend ist auch, dass kli­nische Ereig­nisse eng mit so gemes­senen Spiegeln kor­re­lieren, aber kaum mit der Zufuhr. Deshalb haben diese beob­ach­tenden Studien ein stär­keres Gewicht als z.B. Unter­su­chungen der Ernäh­rungs­ge­wohn­heiten. Wie alle beob­ach­tenden Studien können aber auch Mes­sungen des Omega-​3-​Index keine ursäch­lichen Bezie­hungen zu kli­ni­schen Ereig­nissen herstellen.

Welche Rolle spielt der Omega-3-Index?

Eine ent­schei­dende Rolle. Wenn Sie für eine große Inter­ven­ti­ons­studie an ein Kol­lektiv geraten, das von vorn­herein einen recht guten Ver­sor­gungs­status hat wie z.B. in der ASCEND-​Studie, brauchen Sie die Studie gar nicht anzu­fangen. Noch dazu, wenn man, wie in ASCEND, eine unzu­rei­chende Dosis ver­wendet. Anders ist es z.B. bei Herz­in­suf­fi­zienz, die durch einen nied­rigen Omega-​3-​Index cha­rak­te­ri­siert ist. Da fällt der Nachweis einer posi­tiven Wirkung leichter, auch wenn bei der großen GISSI-​Herzinsuffizienz-​Studie die ein­ge­setzte Dosis zu niedrig war, wie wir heute wissen. Heute muss man fordern, dass der Omega-​3-​Versorgungsstatus vor Stu­di­en­beginn geprüft wird, und nur Per­sonen mit nied­rigem Omega-​3-​Index an der Studie teil­nehmen können. Während der Studie muss man über­prüfen, ob sich der Omega-​3-​Index auch genügend geändert hat, um eine Trennung der Spiegel zwi­schen Verum und Placebo zu erreichen. Das erfordert in vielen Fällen eine indi­vi­dua­li­sierte Dosierung der Omega-​3-​Fettsäuren, da deren Auf­nahme von Person zu Person so unter­schiedlich ist, was man wieder am Omega‑3 Index erkennt. Bei den meisten großen Inter­ven­ti­ons­studien wurden Omega-​3-​Fettsäuren wie ein Phar­makon ein­ge­setzt: kein Erfassen des Aus­gangs­status, keine Kon­trolle während der Studie. Des­wegen kann man auch sagen: Das Igno­rieren des Omega-​3-​Index hat die meisten großen Inter­ven­ti­ons­studien zum Scheitern verurteilt.

Was ist aus Ihrer Sicht über die in die beiden Meta-​Analysen ein­ge­schlos­senen RCTs hin­sichtlich Dosis und Stu­di­en­dauer anzumerken?

Oft war die Dosis zu klein, um aus­rei­chende Unter­schiede der Blut­spiegel bei den Stu­di­en­teil­nehmern von Verum und Kon­trolle oder Placebo zu erreichen. Zwar wurden die Spiegel nicht immer gemessen, wenn sie aber gemessen wurden, wurde großen Über­lap­pungen fest­ge­stellt, in ein­zelnen Studien um die 80 Prozent. Wie gesagt, die kli­ni­schen Ereig­nisse kor­re­lieren mit den Spiegeln, und wenn es keine ordent­liche Trennung bei den Blut­spiegeln gibt, gibt es auch keine bei den kli­ni­schen Ereig­nissen. In meinen Augen zeigt das, dass den Stu­di­en­de­si­gnern der Unter­schied zwi­schen Omega-​3-​Fettsäuren und einem Phar­makon nicht klar war. Was die Stu­di­en­dauer angeht, so wurden mit intel­li­gen­terem Design schon in ein­jäh­rigen Inter­ven­ti­ons­studien große Unter­schiede nach­ge­wiesen, z.B. bei Herzinsuffizienz.

Welche Rolle spielen der Gesund­heits­zu­stand bzw. medi­zi­nische The­rapien von Studienteilnehmern?

Natürlich ist es so, dass bei einem gut behan­delten Kol­lektiv das Risiko nied­riger ist, als bei einem schlecht behan­delten. Und natürlich haben wir den „healthy complier“-Effekt. Das bedeutet, dass sich in den großen Inter­ven­ti­ons­studien die Leute sammeln, die sich für ihre Erkrankung inter­es­sieren und bereit sind, über­durch­schnittlich Zeit und Mühe zu inves­tieren. Deshalb sind in den großen Inter­ven­ti­ons­studien immer weniger Ereig­nisse über die Zeit zu beob­achten als z.B. in Registern. Und dann senkt die optimale The­rapie, die in solchen Studien garan­tiert ist, und die von den Stu­di­en­teil­nehmern auch noch befolgt wird, zusätzlich die Ereig­nisrate. Deshalb werden Studien heute nicht mehr mit einem fixen Zeitplan ent­worfen, sondern man wartet eine bestimmte Anzahl von Ereig­nissen ab.

Herz­lichen Dank für das Gespräch!

Omega‑3 in der Prä­vention: Ein Produkt aus Dosis & Zeit

In den ver­gan­genen Jahr­zehnten wurden sehr viele Studien zur Wirkung von Omega-​3-​Fettsäuren in der Prä­vention von Herz-​Kreislauf-​Erkrankungen durch­ge­führt. Zahl­reiche zeigen einen kar­dio­vas­ku­lären Benefit bei einer ergän­zenden Auf­nahme von spe­ziell DHA und EPA. Kürzlich erschienene Meta-​Analysen von Inter­ven­ti­ons­studien lassen dies jedoch als Schlag ins Wasser erscheinen. Dabei handelt es sich in erster Linie um eine Cochrane-​Analyse (Abdel­hamid et al. 2018) und eine weitere Meta-​Analyse (Aung et al. JAMA Cardiol 2018; 3: 225). Was sagt der Bio­che­miker und Lipidfor­scher Priv.-Doz. Dr. Clemens Röhrl vom Institut für Medi­zi­nische Chemie der Meduni Wien dazu?

„Diese Meta-​Analysen haben einige Limi­tie­rungen“, fasst Röhrl zusammen und führt aus: „Die ein­be­zo­genen Studien weisen außer­ge­wöhnlich große Unter­schiede im Design mit zum Bei­spiel sehr unter­schied­lichen Dosie­rungen auf, weiters wurde bei den meisten der Omega-​3-​Level zur Baseline nicht berück­sichtigt.“ Das über­wie­gende Setting in der Sekun­där­prä­vention ist eben­falls als Limi­tierung zu betrachten, da ein mög­licher herz­schüt­zender Effekt ver­mutlich vor allem in der Pri­mär­prä­vention zum Tragen kommt. Zum Wirk­me­cha­nismus ist anzu­merken, dass der tri­gly­ce­rid­sen­kende Effekt von Omega-​3-​Fettsäuren bestätigt ist und die athe­rogene Wirkung von Tri­gy­ce­riden und VLDL-​Partikeln neueren Daten zufolge größer sein dürfte als bisher angenommen.

Bei nicht wenigen der in die Meta-​Analysen ein­ge­schlos­senen Studien wurde den Omega-​3-​Fettsäuren wenn auch relativ kleine, so doch positive Effekte auf die Herz­ge­sundheit bescheinigt. „In einer Meta-​Analyse gehen diese Ergeb­nisse unter“, gibt Röhrl zu bedenken. Abge­sehen davon liegen auch Meta-​Analysen vor, die für eine kar­dio­pro­tektive Wirkung von Omega-​3-​Fettsäuren sprechen.

Eine zen­trale Rolle spielt die Dosis. Dazu Röhrl: „Die Auf­nahme relativ geringer Dosen über den Verzehr von fettem Mee­res­fisch ein bis zweimal in der Woche ist über einen langen Zeitraum erfor­derlich, um einen kar­dio­pro­tek­tiven Effekt ent­falten zu können.“ Das heißt: Mit einer Ernäh­rungs­um­stellung hin zu einer ver­mehrten Auf­nahme von Omega-​3-​Fettsäuren erst nach dem Herz­in­farkt zu beginnen, ist etwas spät. Aller­dings sind die Emp­feh­lungen für einen erhöhten Fisch­verzehr aus sozio­öko­no­mi­schen Gründen relativ ambi­tio­niert – und letztlich ange­sichts der Über­fi­schung der Meere öko­lo­gisch nicht unpro­ble­ma­tisch. Bleiben also die pflanz­lichen Omega-​3-​Fettsäuren und das heißt vor allem Alpha-​Linolensäure. Röhrl: „Die Umwand­lungsrate in EPA und DHA ist aller­dings gering und wird von manchen Wis­sen­schaftern auch bestritten. Wenn kein Fisch kon­su­miert wird, dürfte das Ver­hältnis von Omega 6:Omega 3 an Bedeutung gewinnen.“ Und das spricht für Lein‑, Raps- und Walnussöl.