Karin Gruber
Ob unsere Vorfahren nun wegen des Brots oder wegen des Biers gelernt haben, Ackerbau zu betreiben, sei hier einmal dahin gestellt. Jedenfalls haben sie schon lange Brotfladen auf den heißen Steinen ihrer Feuerstellen gebacken, bevor sie das erste Mal den Boden gepflügt haben. In der Folge ist Brot zu einem der wichtigsten Grundnahrungsmittel mit einer einzigartigen Symbolkraft geworden.
In den vergangenen Jahrzehnten ist der Brotkonsum nun beträchtlich gesunken. Während der monatliche Pro-Kopf Verbrauch laut Statistik Austria im Jahr 1974 bei 3,6 Kilo lag, ist er bis 2014/15 um 17,2 Prozent auf 3,0 Kilo zurückgegangen. Dabei ist es zu einer massiven Verschiebung von Schwarz- zu Weißbrot gekommen. Während der Verzehr von Schwarz- und Vollkornbrot um 37,8 Prozent zurückgegangen ist (von 3,1 auf 1,9 Kilo), wird um 92,3 Prozent mehr Weißbrot verspeist, nämlich 1,1 statt 0,6 Kilo pro Kopf und Monat.
Gleichzeitig hat sich das Image von Brot verschlechtert, unter anderem in Hinblick auf eine möglicherweise Diabetes-Typ-2-fördernde Wirkung, auf eine vermeintlich drohende Gewichtszunahme und auf in vielen Fällen fälschlich vermutete Unverträglichkeiten vor allem gegenüber Weizen.
Brot, Ballaststoffe & Diabetes
Brot und Gebäck gehören zu den wichtigsten Ballaststofflieferanten in der menschlichen Ernährung. Getreide, Getreideprodukte und Körner stehen trotz Rückgang des Verzehrs noch immer an erster Stelle bei den Männern und an zweiter Stelle der ballaststoffreichen Lebensmittel bei den Frauen (Tab. 1, 2). Allerdings ist der Ballaststoffgehalt in hellen Brot- und Gebäcksorten wesentlich geringer als in Vollkornprodukten. Das bleibt nicht ohne Einfluss auf das Diabetesrisiko.
„Aufgrund der Daten aus einer Reihe von Studien kann man sagen, dass das Auftreten von Diabetes umso geringer ist, je ballaststoffreicher die Ernährung ist“, fasst Dr. Michael Resl, Internist am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz zusammen. Wie retrospektive Kohortenstudien zeigen, liegt die Aufnahme von Ballaststoffen bei Diabetes-Typ-2-Patienten im Schnitt bei 21bis 22 g pro Tag und damit sehr deutlich unter den D-A-CH-Empfehlungen von mindestens 30g. Vice versa hat sich gezeigt, dass das Risiko für Diabetes-Typ-2 durch eine langfristige tägliche Aufnahme von rund 40 g Ballaststoffen pro Tag um etwa 40 Prozent gesenkt werden kann. Diese Aussagen können sich zwar nicht auf randomisierte kontrollierte Studien stützen, werden jedoch durch weitere Befunde untermauert. Es hat sich nämlich auch gezeigt, dass Ballaststoffe die postprandiale hepatale Glukoseproduktion deutlich reduzieren – und das auch bei prädiabetischer oder diabetischer Stoffwechsellage.
Dennoch: „Viele Diabetes-Patienten befürchten, dass der Verzehr von Brot negative Auswirkungen haben könnte“, berichtet Markus Schauer, Diätologe an der Diabetesambulanz am Universitätsklinikum Graz.
„Ballaststoffe haben offenbar auch einen positiven Einfluss auf die Insulinsekretion“, so Dr. Resl. Der Zusammenhang erklärt sich über deren Effekt auf die Inkretinhormone, also GLP-1 und GIP. In einer hochrangig publizierten Studie konnte gezeigt werden, dass der Effekt von Getreideprodukten auf Blutzucker und Inkretinhormone umso positiver ist, je geringer der Mahlgrad des Produkts ist. Anders gesagt: Je mehr Struktur bzw. Korn erhalten bleibt, umso besser. Einer der weiteren positiven Effekte einer erhöhten Aufnahme von Ballaststoffen dürfte sein, dass diese subklinischen chronischen Entzündungen (Low-Grade Inflammation) entgegenwirken. Das lässt sich aus Messungen des Interleukin-6-Spiegels ableiten.
Die Sage vom „Dickmacher“ Brot
Übergewicht und Adipositas haben viele verschiedene Gründe. Der Brotverzehr gehört jedenfalls nicht dazu, solange er sich in einem dem Energieverbrauch entsprechenden Ausmaß bewegt – und solange der Anteil von Vollkornbrot groß genug ist. Grundsätzlich ernähren sich normalgewichtige Personen Untersuchungen zufolge nicht anders als übergewichtige. Die Zusammensetzung unterscheidet sich nicht wesentlich in ihrem Anteil von Protein, Kohlenhydraten und Fett. Bei den Ballaststoffen sieht es etwas anders aus, womit man wieder beim Vollkornbrot wäre. Normalgewichtige Personen verzehren nämlich mehr davon als übergewichtige oder adipöse Personen. Und einer weiteren Untersuchung zufolge führt ein höherer Anteil von Weißbrot offenbar eher zu einer Gewichtszunahme.
„Wenn es um das Thema Körpergewicht geht, so spielt das, was auf das Brot kommt, eine größere Rolle als das Brot selbst“ stellt Diätologe Markus Schauer fest. Dasselbe gilt für die fette oder weniger fette Soße zu den Nudeln oder die Art der Zubereitung von Erdäpfeln – gekocht, gebraten oder frittiert.
Das Gerücht vom effektiveren Abnehmen mit Low-Carb
Low-Carb-Diäten erfreuen sich seit einigen Jahren steigender Beliebtheit ganz generell sowie zur Gewichtsreduktion. Und seit Jahren laufen Diskussionen, ob nun diese oder eine Low-Fat-Diät besser geeignet wären, eine effektive Gewichtsreduktion zu erzielen. Eine kürzlich publizierte Studie könnte diese Diskussion nun beenden. Denn ausschlaggebend für den Erfolg ist offenbar die Energiezufuhr bzw. deren Reduktion, unabhängig von genetischer Disposition, Insulinsensitivität, Prädiabetes oder Diabetes (Gardner C et al. JAMA 2018; 319: 667–679).
In die Studie von einem Jahr waren 609 Erwachsene zwischen 18 und 50 Jahren mit einem BMI zwischen 28 und 40 eingeschlossen. 79 Prozent haben die Studie abgeschlossen und wurden in die Auswertung einbezogen. Die Teilnehmer waren Nicht-Diabetiker, wurden aber auf ihre genetische Disposition hin getestet. 40 Prozent wiesen einen Low-Fat- und 30 Prozent wiesen einen Low-Carb-Genotyp auf – also einen Genotyp, der theoretisch für die eine oder andere Art von Diät prädisponieren würde. Weder dies noch das Ausmaß der Insulinresistenz haben die Gewichtsabnahme beeinflusst. Weder die genetische Analyse noch ein Glukosebelastungstest waren geeignete Prädiktoren für den Erfolg. Die individuellen Schwankungen waren allerdings enorm und lagen zwischen einer Gewichtsabnahme bis zu 30kg und einer Gewichtszunahme bis zu 20kg. Die Daten sollen nun weiter ausgewertet werden, um dieses Phänomen erklären zu können. In Frage kommen unter anderem epigenetische Phänomene oder die Beteiligung des Darm-Mikrobioms.
So wie praktisch immer sind Extreme auch hinsichtlich Low-Carb oder Low-Fat nicht zu empfehlen. Auffallend dabei ist, dass eine Low-Carb-Ernährungsweise die Gesamt-Mortalität offenbar wesentlich stärker erhöht als Ernährungsweisen mit einem übermäßigen Anteil an Kohlenhydraten.
Brot & Befinden
Unverträglichkeiten gegenüber Getreide und seine Bestandteile sind im Zunehmen begriffen, auch wenn die Zahl der rein subjektiv empfundenen Fälle diejenige der objektiv diagnostizierbaren bei weitem übertrifft. Eine dieser Unverträglichkeiten ist die sogenannte Weizensensitivität oder „Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität“, die für die Zunahme von tatsächlichen Unverträglichkeiten verantwortlich sein dürfte. Aufgrund der Ähnlichkeit der Symptome von Zöliakie, Weizenallergie und Weizensensitivität ist die Diagnose schwierig. Aufgrund des Fehlens eines Biomarkers ist eine Ausschlussdiagnose zu treffen.
Die Ursache der Weizensensitivität ist noch nicht geklärt, im Blickpunkt stehen derzeit vor allem die Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs). Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Proteinen als Bestandteile von Weizen und anderen Getreidearten, die der Abwehr von Parasiten und der Hemmung von Verdauungsenzymen dienen. Ihre abträglichen Wirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen sind seit längerem bekannt. ATIs sind unter anderem Auslöser des Bäcker-Asthmas, eine Mehlstaub-Allergie.
„Die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe im Weizen ist komplex, einzelne Auslöser von Beschwerden sind daher schwer auszumachen“, stellt dazu Dr. Stefano D’Amico vom Department für Lebensmitteltechnologie an der Universität für Bodenkultur Wien fest. Beteiligt dürften unter anderem FODMAPs und Gluten sein. „Aufgrund seiner schweren Verdaulichkeit, die von ATIs noch verstärkt wird, spielt Gluten eine bedeutende Rolle“, so D’Amico. Die BOKU-Forscher untersuchen, wie Gluten und ATIs interagieren, und arbeiten an einer besseren Verträglichkeit von Brot und Gebäck unter Einbeziehung der ganzen Wertschöpfungskette von Saatzüchtern über Mühlen bis zu Bäckereien.
Der Glutengehalt von Weizen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. D’Amico: „Die neuen Weizensorten, der sogenannte Weichweizen, enthalten relativ viel hochmolekulares Gluten, da dadurch die Backeigenschaften gefördert werden.“ Bei Gebäck wird häufig noch isoliertes Gluten zugegeben. Das gilt zum Beispiel besonders für Aufbacksemmeln.
Die BOKU-Forscher suchen nun nach Weizensorten, die trotz eines niedrigen Gluten-Gehalts gute Backeigenschaften besitzen, wobei nicht nur Neuzüchtungen, sondern auch alte Sorten im Blickpunkt stehen. Das alleine genügt aber nicht. „Wir versuchen auch, die Prozessführung dahingehend zu beeinflussen, dass Brot und Gebäck leichter verdaulich werden“, so D’Amico. Ein Schlüssel dafür ist die Sauerteigführung.
Erste Publikationen zeigen, dass sauerteig-geführtes Gebäck deutlich weniger Fructane – FODMAPs des Weizens – enthält, da Hefen ein sehr gutes Enzymsystem zu deren Abbau besitzen. Zudem bauen die im Sauerteig ebenfalls enthaltenen Lactobacillen das Gluten teilweise ab. „Ein wesentlicher Unterschied zwischen der kurz geführten Hefe-Gärung und der Sauerteig-Gärung ist auch die Zeit“, so der BOKU-Forscher. Sauerteig-Gebäck wird länger geführt, sodass die schwer verdaulichen Bestandteile stärker reduziert werden. Einige Bäckerbetriebe sind bereits zu einer längeren Sauerteig-Führung zurückgegangen. Diese weist im Vergleich zu Hefegebäck weitere Vorteile auf wie längere Haltbarkeit, geschmackliche Komplexität, weniger rasches trocken und hart werden des Brotes und weniger Anfälligkeit für Schimmelbildung. Bleiben noch die Amylase-Trypsin-Inhibitoren. Was diese betrifft, so ist man ebenfalls auf der Suche nach Getreidesorten mit einem geringen Gehalt.
Alles in allem führt der Weg zu einem auch für empfindliche Menschen leichter verdaulichen und besser verträglichen Brot & Gebäck über eine Herstellung durch eine längere Teigführung mit Sauerteig und über neue oder neue/alte Sorten mit einem geringeren Gehalt an Gluten und ATIs.
Was heißt hier Vollkorn? Echtes Vollkornbrot ist nicht ganz leicht zu erkennen. Die dunkle Farbe allein macht es jedenfalls nicht. Brot und Gebäck aus normalem Mehl wird nämlich relativ häufig mit Melasse gefärbt. Vollkornmehl ergibt beim Backen einen eher grau-braunen Farbton. Vollkornbrot ist jedenfalls schwerer als Hefegebäck und auch weniger „luftig“, lässt sich also nicht so leicht eindrücken. |