Ernährungstherapie in der Onkologie

April 2017

Ernäh­rungs­the­ra­peuten im Bereich Onko­logie werden mit einem inho­mo­genen Pati­en­ten­kol­lektiv kon­fron­tiert. Besonders viel Ein­füh­lungs­ver­mögen ist gefragt. Wenn sich der Betroffene in der Bera­tungs­si­tuation wohl fühlt, teilt er seine Bedürf­nisse mit. Je mehr Infor­ma­tionen wei­ter­ge­geben werden, umso besser kann der Patient unter­stützt werden.

Mad­dalena Strukul

In Öster­reich erkranken jährlich etwa 35.000 Men­schen an onko­lo­gi­schen Erkran­kungen. Durch die Ent­wicklung neuer The­rapien hat die Sterb­lich­keitsrate abge­nommen, bei­spiels­weise bei Brust- und Darm­krebs um 10 bis 15%. Krebs bleibt jedoch die zweit­häu­figste Todes­ur­sache in Öster­reich. Die Bildung von ent­ar­teten Zellen ist nicht direkt tödlich. Vielmehr sind es die Folgen auf­grund der Ver­mehrung dieser Zellen. Durch das Ein­wachsen von Tumor­gewebe in gesunde Areale kommt es zu aus­ge­prägten Organfunktions­störungen bis hin zum kom­pletten Organ­ver­sagen. Wenn Fern­me­ta­stasen vor­liegen, sind häufig meh­rere Organe davon betroffen.

Fort­ge­schrittene Tumor­er­kran­kungen werden von einem starken Gewichts­verlust begleitet: die ge­fürchtete „Kachexie“, bei der Spei­cher­fett­depots und Mus­ku­latur abgebaut werden und es zu Funkti­onsausfällen von Organen mit ein­her­ge­hender Atrophie kommen kann. Eine Kachexie ent­steht nicht plötzlich, es ist ein Prozess, der Schritt für Schritt bereits in den ersten Stadien der Erkrankung nach­gewiesen werden kann. Bei zirka 70% der Krebs­pa­ti­enten findet Monate vor Dia­gno­se­stellung ein unge­wollter Gewichts­verlust statt.

Je mehr Tumor­gewebe pro­li­fe­riert und je schlechter der All­ge­mein­zu­stand des Erkrankten ist, desto rasanter werden die Merkmale dieses Abbau­pro­zesses sichtbar. Hinzu kommen die therapiebeding­ten Neben­wir­kungen, welche für die Betrof­fenen trotz deut­licher Ver­bes­serung moderner Che­motherapeutika immer noch eine große Belastung dar­stellen. Erschöpfung, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Mete­o­rismus, Obs­ti­pation, Diar­rhoen, Haar­ausfall, Schleimhaut‑, Nagel­schäden und vie­les mehr sind keine Sel­tenheit. Pati­enten nehmen dadurch das Ausmaß ihrer Erkrankung wahr, was dazu führt, dass es zur Ent­stehung depres­siver Epi­soden kommt: der Appetit nimmt wei­terhin ab. Dies ist ein Teu­fels­kreis, der nur mehr schwer unter­brochen werden kann.

Entwicklung der Ernährungstherapie

Noch vor 10 Jahren bestand die Ernäh­rungs­the­rapie beim onko­lo­gi­schen Pati­enten vor­wiegend darin, die Essens­wünsche während eines Kran­ken­haus­auf­ent­haltes auf­zu­nehmen und an das Küchenperso­nal wei­ter­zu­leiten. Während der Chemo- und Strah­len­the­rapien kam es auf­grund von gastrointesti­nalen Pro­blemen wie Übelkeit und Erbrechen und dem Vor­liegen von Inap­petenz zwangs­läufig zu einem Gewichts­verlust. Wenn die Neben­wir­kungen Tage bzw. Wochen nach Been­digung der Thera­pien aus­ge­klungen waren, setzte langsam der Appetit wieder ein, doch auf­grund der bestehenden kat­abolen Stoff­wech­sellage konnte das ver­lorene Gewicht nicht mehr zurück­ge­wonnen werden. So kam es bei­spiels­weise nach acht Zyklen Che­mo­the­rapie zu einem Gewichts­verlust von 20 bis 25 Kilo­gramm Körpergewicht.

Die Säulen der The­rapie onko­lo­gi­scher Pati­enten bestehen aus diversen Maß­nahmen mit dem Ziel, Tumor­gewebe zu zer­stören, zu ver­kleinern und an seinem Wachstum zu hindern: Chemo‑, Strahlen‑, Hormon- und Auto­im­mun­the­rapie. Heut­zutage werden in jeder Kran­ken­haus­ein­richtung Prio­ri­täten und Behand­lungs­pläne festgelegt.

Der onko­lo­gische Patient pro­fi­tiert stark von einem inter­dis­zi­pli­nären Team von Behandlern: On­kolo­gen, Chir­urgen, Pfle­ge­per­sonal, Diä­to­logen, Phy­sio­the­ra­peuten und Psy­cho­logen. Diese bieten keine kurative The­rapie an, bemühen sich sind jedoch um eine sup­portive Her­an­ge­hens­weise. Laut aktuel­lem Wis­sens­stand kann Ernährung den Tumor nicht aus­hungern. Nicht zu ver­nach­läs­sigen ist jedoch die mit stär­kenden Maß­nahmen ver­bundene positive Beein­flussung auf die Mor­bi­dität und Mortali­tät. Che­mo­the­rapie und Strah­len­be­hand­lungen werden besser tole­riert, was dazu führt, dass keine Behand­lungs­un­ter­bre­chungen vor­ge­nommen werden müssen. Das Über­leben der Pati­enten kann ver­längert und vor allem die Lebens­qua­lität ver­bessert werden.

Selbst­ver­ständlich müssen The­ra­pie­schritte unter den Berufs­gruppen besprochen und koor­di­niert werden. Krebs­pa­ti­enten fühlen sich auch dadurch gut auf­ge­hoben und dies beein­flusst positiv den Gene­sungs­verlauf positiv.

Bei einem männ­lichen Pati­enten (1944 geboren, 176cm groß, 73 Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht) wird im Jahr 1994 auf­grund eines vor­lie­genden Magen­kar­zinoms eine Billroth II Ope­ration durch­ge­führt. Der Patient ver­liert zwei Monate vor Dia­gno­se­stellung 8 Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht. Nach der Opera­tion kommt es zu einem Gewichts­verlust von wei­teren 10 Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht. Der Patient erhält eine kurative Che­mo­the­rapie. 1995 wird diese abge­schlossen. Es ver­gehen zehn Jahre und der Patient nimmt ins­gesamt 29 Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht ab, sodass er nur mehr 44 Kilo wiegt. 2004 erhält der Patient eine Ernäh­rungs­be­treuung. Dank gezieltem Einsatz von Eiweiß­mo­dulen, einer hoch­ka­lo­ri­schen leicht ver­dau­lichen Kost und einer beglei­tenden hoch­wer­tigen Probiotika-​Therapie mit Enzym­sub­sti­tution kann der Patient acht Kilo­gramm zunehmen und sein Gewicht kon­stant hal­ten. Der Patient trinkt täglich eine Zusatz­nahrung. Diese Maß­nahme wird als angenehm und gewicht­stabilisierend emp­funden. Die Getränke werden regel­mäßig von der Ernäh­rungs­the­ra­peutin über die Kran­ken­kassa ver­ordnet. Der behan­delnde Arzt und die Diä­to­login koope­rieren zusammen. Die Er­nährungstherapie wird fort­laufend den neuen Lebens­um­ständen ange­passt. Im Februar 2017 wiegt der Patient 53,5 Kilogramm.

Dank der Ent­wicklung neuer Ansätze beschäftigt sich die Ernäh­rungs­the­rapie in der Onko­logie heute oft über Jahre mit dem Erhalt der Lebens­qua­lität des Betrof­fenen. Sym­ptome können recht­zeitig, effektiv und indi­vi­duell behandelt werden. Pati­en­tinnen, die vom Mam­ma­kar­zinom betroffen sind, können trotz gewichts­för­der­licher Hor­mon­the­rapie das Kör­per­ge­wicht kon­stant halten und dabei sogar Mus­ku­latur aufbauen.

Bei recht­zei­tiger Inter­vention im Stadium der Prä­kachexie (Gewichts­verlust von < 5%) kann die Ma­germasse am effek­tivsten erhalten werden.

Nach wie vor „ernährungsfeindliche“ Abläufe in Krankenhäusern

Man­gel­er­nährung wird in Kran­ken­häusern auf­grund von diversen unge­ord­neten „ernäh­rungstherapiefeindlichen“ Abläufen immer noch gefördert. Eine weib­liche Pati­entin (148cm groß) wiegt 55 Kilo­gramm vor der Dia­gnose „Darm­kar­zinom“ im Jahr 2012. Es findet innerhalb von vier Jahren ein Gewichts­verlust von 8 Kilo­gramm statt. Die Patien­tin erhält 30 Zyklen Che­mo­the­rapie, jedoch keine Ernäh­rungs­be­ratung. Im Oktober 2016 ver­liert die Pati­entin innerhalb von zwei Wochen auf­grund von the­ra­pie­be­dingten schweren Durch­fällen weitere sechs Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht. Da sie sich unwohl fühlt, isst die Pati­entin lediglich Reis, Kar­toffeln und Hafer­flo­cken­suppen und wird letzt­endlich in einem Kran­kenhaus auf­ge­nommen. Die Pati­entin wird nicht par­en­teral ernährt. Da eine Kolo­skopie bevor­steht, wird zusätzlich Nah­rungs­karenz ange­ordnet. Die Pati­entin ver­stirbt auf­grund eines Multiorganversagens.

Während eines Spi­tals­auf­ent­haltes kommt es nicht selten vor, dass dia­gnos­tische Ver­fahren in den Mit­tel­punkt gestellt werden, sodass der Patient nicht die Zeit hat, seine Mahl­zeiten ein­zu­nehmen. Betroffene werden oft gebeten, stun­denlang nüchtern zu bleiben. Im Laufe des Dia­gno­se­ver­fahrens mit dem Ziel, eine onko­lo­gische Erkrankung fest­zu­stellen, nimmt der Patient Mus­ku­latur ab und wird dadurch zusätzlich geschwächt. Selbst während der Vor­be­reitung auf endo­sko­pische Untersuchun­gen ist es in manchen Insti­tu­tionen immer noch Gang und Gäbe, dem Betrof­fenen lediglich kalorien­freie Getränke anzu­bieten. Bewährt hat sich hierbei der Einsatz energie- und nähr­stoff­reicher klarer Zusatz­nah­rungen. Diese können pro­blemlos getrunken werden, ohne das dia­gnos­tische Ver­fahren zu behindern. Ein stan­dar­di­sierter Einsatz der medi­zi­ni­schen Getränke kann effektiv vor Gewichts­verlust bewahren und der Betroffene fühlt sich dadurch wohler und kreislaufstabiler.

Ein Muss: Ernährungsscreening und fortlaufende Ernährungstherapie

Von allen Fach­ge­sell­schaften (A.S.P.E.N, DGEM, ESPEN) wird früh­zeitig, also ab Dia­gno­se­stellung, auch eine Ernäh­rungs­dia­gnostik emp­fohlen. Jede onko­lo­gische Abteilung sollte Pati­enten auf Man­gelernährung screenen. Wichtige Punkte, die dabei berück­sichtigt werden müssen, sind: der Ge­wichtsverlauf, das Ernäh­rungs­ver­halten und das Vor­liegen von Fak­toren, die sich negativ auf normale Verdauungs- und Resorp­ti­ons­pro­zesse aus­wirken können. Fol­ge­be­treu­ungs­termine sollten auch im Bereich der Ernäh­rungs­the­rapie ange­boten werden. Aktuell gibt es in Ein­rich­tungen keine einheitli­che Vor­ge­hens­weise. Bei einer ein­ma­ligen Beratung besteht lediglich die Zeit, mit dem Betrof­fenen not­wendige Diät­maß­nahmen zu besprechen. Bei­spiels­weise wird nach einem status post „Darmre­sektion mit Anlegung eines Stomas“ der Pati­enten auf die Beson­der­heiten der not­wen­digen Ernäh­rungs­weise auf­merksam gemacht. Um Ent­zün­dungen und der Okklu­si­ons­gefahr des künst­lichen Darm­aus­ganges ent­gegen zu wirken wird dem Pati­enten geraten, eine faserarme und säureredu­zierte Kost ein­zu­nehmen. Zusätzlich wird auf eine leicht ver­dau­liche eiweiß- und mikronährstoffrei­che Ernährung ein­ge­gangen. Nach Spi­tals­ent­lassung sieht sich der Patient jedoch mit einer Vielzahl an neuen Her­aus­for­de­rungen kon­fron­tiert. Fragen zur prak­ti­schen Umsetzung im Alltag ent­stehen, Pro­bleme treten gehäuft auf. Da keine diä­to­lo­gische Betreuung ange­boten wurde, ver­sucht der Er­krankte eigen­ständig mit der Situation zurecht zu kommen. Einige Maß­nahmen, die von Ver­wandten und Bekannten emp­fohlen werden oder aus Zeit­schriften, Büchern und dem Internet stammen, wer­den umge­setzt, oft so lange, bis das Ausmaß an Neben­wir­kungen die Überhand gewonnen hat. Durch einen gezielten ernäh­rungs­the­ra­peu­ti­schen Einsatz hätten die Beschwerden punk­tuell und rechtzei­tig behoben werden können.

Wichtige Maßnahmen

Bedeu­tende Maß­nahmen, die von Diä­to­logen im Bereich der Onko­logie gesetzt werden, sind jene, die dazu bestimmt sind, die Mus­ku­latur zu erhalten und einem Gewichts­verlust ent­gegen zu steuern. Dabei muss beachtet werden, dass die ohnehin bereits vor­handene Insu­lin­re­sistenz nicht ver­stärkt wird. Es liegt eine Vielzahl an Daten vor, durch die bestätigt werden konnte, dass die Zunahme von Fett­gewebe und eine koh­len­hy­dratreiche Ernäh­rungs­weise, vor allem reich an Ein­fach­zu­ckern, die Pro­gnose verschlechtern.

Eiweißbedarf decken

Die not­wen­digen Eiweiß­quellen sollten vom Ernäh­rungs­the­ra­peuten genau aus­ge­wählt werden. Eini­ges bleibt nach wie vor unge­klärt. Viele Studien müssen noch durch­ge­führt werden. Erkrankte wer­den zurzeit des Öfteren mit der Emp­fehlung, weniger tie­ri­sches Eiweiß zu essen, kon­fron­tiert. Tatsa­che ist, dass der Eiweiß­bedarf onko­lo­gi­scher Pati­enten hoch ist. Bei nied­riger Eiweiß­zufuhr und gleich­zei­tiger kat­aboler Stoff­wech­sellage kommt es rasch zu einem gra­vie­renden Verlust an Muskula­tur und zur Schwä­chung des Abwehr­systems. Für die Gestaltung des indi­vi­du­ellen Spei­se­plans sollten hoch­wertige Eiweiß­lie­fe­ranten ver­wendet werden: tie­rische Lebens­mittel aus gesi­cherter Her­kunft kom­bi­niert mit unter­schied­lichen Eiweiß­trägern pflanz­lichen Ursprungs. Unter den vege­ta­ri­schen Lebens­mitteln ent­halten Hül­sen­früchte den höchsten Eiweiß­gehalt, diese werden jedoch oft schlecht ver­tragen. Eiweiß­pulver pflanz­licher Her­kunft wie Reis‑, Hanf‑, Lupinen‑, Soja- und Erb­sen­protein werden von diversen Firmen ange­boten. Dank der Kom­bi­nation von veganem und tie­ri­schem Eiweiß kann eine besonders hohe bio­lo­gische Wer­tigkeit erreicht werden: das zuge­führte Nah­rungs­protein wird zu über 100% in Kör­per­protein umge­wandelt. Es fällt weniger Harn­säure an und die Nieren werden dadurch weniger belastet.

Onko­lo­gische Pati­enten sollten immer darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass mehrere Maßnah­men zum gewünschten Ziel führen können. Der Einsatz von Zusatz­nah­rungen wird häufig emp­fohlen, vor allem, wenn der Energie- und Nähr­stoff­bedarf des Betrof­fenen nicht länger mit her­kömm­licher Nahrung gedeckt werden kann. Nach mona­te­langem Verzehr von ein- und den­selben Zusatzgeträn­ken kommt es unwei­gerlich zur Ent­stehung einer starken Aversion. Erkrankte nehmen ab, da sie keine gleich­wer­tigen Alter­na­tiven kennen. Um dem ent­ge­gen­zu­steuern soll den Betrof­fenen von Anfang erklärt werden, wie medi­zi­nische Getränke durch ein­fache Maß­nahmen geschmacklich att­raktiver und abwechs­lungs­reicher gestaltet werden können. Pro­te­in­reiche Zwi­schen­mahl­zeiten kön­nen auch in Form von Eiweiß­riegeln, Eiweiß­waffeln und vieles mehr ange­boten werden. Den­je­nigen, die gerne frische Speisen zube­reiten, soll gezeigt werden, wie aus unter­schied­lichen Lebens­mitteln, Eiweiß­mo­dulen und hoch­wer­tigen Ölen (Leinöl, Hanföl, Rapsöl, Chiaöl, Camelina-​Öl, Arganöl, Man­del- und Nussöle) ein­fache Mahl­zeiten oder Zwi­schen­mahl­zeiten zube­reitet werden können. In den meisten Fällen ist es überaus sinnvoll, Ange­hörige mit ein­zu­schulen, sodass Betroffene in Phasen vor­lie­gender Fatigue tat­kräftig unter­stützt werden können.

Unhaltbare Versprechungen entlarven

Betrof­fenen wird häufig emp­fohlen, ver­schiedene Prä­parate ein­zu­nehmen. Ins­be­sondere Mamma-​Karzinom-​Patientinnen werden mit einer Vielzahl an „Heil­mitteln“ kon­fron­tiert. Eine unüber­schaubare Anzahl an Zusatz­stoffen werden von Alter­na­tiv­me­di­zinern und Ernährungs­therapeuten ohne diä­to­lo­gi­scher Aus­bildung beworben: Algen­prä­parate, hoch­do­sierte Kurkuma­tabletten, kon­zen­trierte Pflan­zen­ex­trakte in Tabletten- und Pul­verform. Ande­rer­seits wird der Ver­zehr von natür­lichen Lebens­mitteln (z.B. Milch­pro­dukte) häufig ver­boten. Oft wird diesen Lebens­mitteln gar eine krebs­er­re­gende Wir­kung zuge­sprochen. Als Onkologe und Diä­tologe ist es daher wichtig, für Klarheit zu sorgen und den Betrof­fenen mit­zu­teilen, dass solche Emp­feh­lungen kei­nerlei wissen­schaftliche Relevanz haben.

Eine junge Pati­entin (1967 geboren) mit invasiv duc­talem Mamma-​Karzinom teilt ihrer Diä­to­login, nachdem diese sie während der not­wen­digen acht Zyklen Che­mo­the­rapuie begleitet hat, mit: „Ich denke oft an Sie und spreche auch oft von Ihnen. Unter vielen Ängsten war eine, dass ich meine Er­nährung kom­plett umstellen muss. Diese Sorgen haben Sie mir genommen. Ich pro­biere, mich ab­wechslungsreich und ‚bunt’ zu ernähren“. Ende Sep­tember 2016 wurde der erste Zyklus Chemothera­pie durch­ge­führt, im Februar 2017 der letzte. Das Kör­per­ge­wicht der Pati­entin lag in dieser Zeit bei 59 bis 61 Kilo­gramm. Die Ernährung wurde aus hoch­wer­tigen pflanz­lichen und tie­ri­schen Eiweißliefe­ranten zusam­men­ge­stellt. Lieb­lings­speisen wie Fisch­ge­richte wurden häufig ver­zehrt. Einige Wochen fühlte sich die Pati­entin extrem erschöpft. Regel­mäßige kör­per­liche Akti­vität und eine zusätz­liche Eiweiß­an­rei­cherung der Speisen halfen dabei, dass der All­ge­mein­zu­stand ver­bessert werden konnte. Die aktive Kör­per­zell­masse wurde erhalten (24 bis 25 Kilogramm).

Supplemente wenn nötig

Sup­ple­mente sollten nur dann ein­ge­setzt werden, wenn Nähr­stoff­mängel bestehen bezie­hungs­weise der Betroffene sich nicht bedarfs­de­ckend ernähren kann. Die Art und Form der Sup­ple­men­tierung soll mit dem Onko­logen bzw. dem Diä­to­logen abge­sprochen werden. Ein Zuviel an Eisen und diversen Anti­oxi­dantien, wie Vitamin C und E, wird in diversen Studien mehrfach als kon­tra­pro­duktiv be­schrieben. Diese Stoffe agieren gegen die not­wendige zell­schä­di­gende Wir­kung von Chemo- und Strahlentherapien.

Benefit künstlicher Ernährungsformen

Künst­liche Ernäh­rungs­formen bedeuten eine groß­artige Unter­stützung für viele Pati­enten. Betrof­fene, die ablehnend reagieren, ver­binden der­artige Maß­nahmen mit einer schlechten Pro­gnose, da sie in der Ver­gan­genheit nur bei Betrof­fenen im End­stadium ange­wandt wurden. Eine umfas­sende Auf­klärung muss daher vor­ge­nommen werden. Der Einsatz einer eiweiß­reichen, mög­lichst zuckerar­men par­en­te­ralen Ernährung, bestehend aus lang­ket­tigen Omega‑3 Fett­säuren, hat sich in Phasen von völ­liger Inap­petenz und Unwohlsein stark bewährt. Somit wird der Patient nicht zum Essen ge­zwungen, was dazu führt, dass keine Abnei­gungen ent­stehen. Außerdem wird der Verlust von Kör­pergewicht und aktiver Kör­per­zell­masse dadurch ein­ge­dämmt. Bei länger andau­ernder Inap­petenz kann die par­en­terale Ernährung nach Been­digung eines Che­mo­the­ra­pie­zyklus auf heim­par­en­te­raler Ebene aus­ge­dehnt werden. Wenn der Appetit erneut ein­setzt, kann der Patient fle­xibel auf aus­schließlich orale Ernährung umstellen.

Par­en­terale Albu­min­in­fu­sionen zeigen ihre Wirkung häufig innerhalb weniger Tage: Pati­enten fühlen sich vitaler, die Haut wird rosiger. Das Bei­spiel einer weib­lichen Pati­entin (1963 geboren) mit inope­rablem Pancreas-​Karzinom und starkem Aszites kann hier erwähnt werden. In den letzten sechs Mo­naten vor ihrem Ableben im November 2016 ver­brachte die Pati­entin kostbare Zeit zuhause mit ihrer Familie. Alle zwei Wochen erfolgte ein Kran­ken­haus­auf­enthalt. Eine pal­liative Che­mo­the­rapie und eine Ernäh­rungs­the­rapie wurden regel­mäßig durch­ge­führt. Die Pati­entin erhielt eine par­en­terale Ernährung bestehend aus 60 Gramm Albumin und 50 Gramm hoch­wer­tiger Lipid-​Mischung. Zusätz­lich nahm die Pati­entin Trink­nah­rungen und eine pro­te­in­an­ge­rei­cherte Kost zu sich. Das Gesamtei­weiß konnte dadurch, trotz mas­siver Ödeme und Aszites, bei 5,5 bis 5,7 g/​l und das Kör­per­ge­wicht bei zirka 60 Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht (Tro­cken­ge­wicht) kon­stant gehalten werden. Die Pati­entin erlebte nach jeder par­en­te­ralen Nah­rungsgabe einen „Ener­gie­schub“ und der Appetit kehrte zurück. Auf­grund des fort­schrei­tenden Krank­heits­ver­laufes wurde auch zuhause par­en­teral ernährt. Die Infu­sion erfolgte nachts. Untertags kochte die Pati­entin und erfreute sich an ihren selbst zube­rei­teten Speisen. Ein Eiweiß­pulver wurde in Teige, Suppen und Cremen gerührt. Lediglich eine Woche, bevor die Pati­entin ver­starb, kam es zu einer groben Ver­schlech­terung des Allgemeinzustandes.

Adäquate Ernährungstherapie & Gewichtsverlauf

Wenige Studien im Bereich der Onko­logie beschäf­tigen sich mit den Aus­wir­kungen gezielter Ernäh­rungsmaßnahmen auf das Wohl­be­finden der Betrof­fenen und deren Krank­heits­verlauf. Laut aktu­eller Daten bewirkt eine Ernäh­rungs­in­ter­vention keine kon­sis­tente Ver­län­gerung der Lebens­dauer, der All­ge­mein­zu­stand kann dadurch jedoch erheblich ver­bessert werden. Alle 49 onko­lo­gi­schen Patien­ten der Pri­vat­klinik Rudol­fi­nerhaus, die seit Sep­tember 2016 regel­mäßig in ernährungstherapeuti­scher Betreuung sind, konnten dies bestä­tigen. Eine Stei­gerung der Lebens­qua­lität von 40 bis 70 % wird ange­geben. Um eine Wei­ter­be­treuung wird aktiv gebeten. Ernäh­rungstherapie-​Ergebnisse aus der Pri­vat­klinik Rudol­fi­nerhaus – Wien sind in Abb. 3–5 dargestellt.

Conclusio

Ernäh­rungs­the­ra­peuten im Bereich Onko­logie werden mit einem inho­mo­genen Pati­en­ten­kol­lektiv kon­fron­tiert. Einige der Betrof­fenen sind bereits ab Dia­gno­se­stellung mul­ti­morbid, andere waren ihr Leben lang gesund und in dieses aktiv ein­ge­bunden. Besonders viel Ein­füh­lungs­ver­mögen ist gefragt. Nur wer sich als Betreuer Zeit nimmt, kann all­tags­taug­liche Stra­tegien ent­wi­ckeln. Wenn sich der Betroffene in der Bera­tungs­si­tuation wohl fühlt, teilt er seine Bedürf­nisse mit. Je mehr Infor­ma­tionen wei­ter­ge­geben werden, umso besser kann der Patient unter­stützt werden. Nicht die Ziele des Ernäh­rungsberaters, sondern vielmehr jene des Erkrankten sollen anvi­siert werden.

Mad­dalena Strukul, Diä­to­login und Dia­be­tes­be­ra­terin, Pri­vat­klinik Rudol­fi­nerhaus, Bill­roth­straße 78, 1190 Wien, m.strukul@rudolfinerhaus.at

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ESPEN Gui­de­lines bei der Verfasserin

Ernährungstherapie-​Aufzeichnungen, Abteilung Diä­to­logie, Pri­vat­klinik Rudol­fi­nerhaus,  Daten­sammlung ab Sep­tember 2016 – März 2017