Restradioaktivität in Pfifferlingen

Dezember 2016

In Folge des Unfalls im Atom­kraftwerk Tscher­nobyl in der Ukraine im Jahr 1986 wurden große Mengen radio­ak­tiver Stoffe in die Atmo­sphäre frei­ge­setzt und gelangten durch die Luft­strömung unter anderem nach Öster­reich. Warum beschäf­tigen uns die Folgen dieses Unglücks nach 30 Jahren noch immer?

Martina Pro­kopetz*, Judith Erler*, Ulrike Auer, Martin Kuprian, Anna Eli­sabeth Purtscher

In Folge der Explosion im Block 4 des Kern­kraft­werks in Tscher­nobyl gelangte eine Vielzahl von radio­ak­tiven Stoffen in die Luft. Durch Nie­der­schläge setzten sich die Radio­nu­klide wie bei­spiels­weise Jod-​131, Cäsium-​134 und Cäsium-​137 (Cs-​137) auf dem Erd­boden ab und fanden so den Weg in die Nah­rungs­kette. Besonders gut ist diese Kon­ta­mi­nation in Wald­pilzen nach­zu­weisen, da sie neben Wasser und Nähr­stoffen auch Radio­ak­ti­vität aus dem Boden auf­nehmen. Jod-​131 hat eine relativ kurze Halb­wertszeit von acht Tagen, Cäsium-​134 eine Halb­wertszeit von etwa zwei Jahren. Das bedeutet, dass diese Radio­nu­klide heute nahezu voll­ständig zer­fallen sind. Cs-​137 ist mit einer Halb­wertszeit von rund 30 Jahren deutlich lang­le­biger und dessen Akti­vität hat sich heute, 30 Jahre nach der Tschernobyl-​Katastrophe, erst um die Hälfte redu­ziert (1).

Die radio­aktive Kon­ta­mi­nation ist unter anderem vom Auf­treten und der Stärke der Nie­der­schläge während des Durchzugs der radio­ak­tiven Luft­massen durch Öster­reich abhängig. Dadurch zeigen sich regionale Unter­schiede des Cs-​137-​Gehalts im Boden, die in den beiden Karten des Umwelt­bun­desamts von 1986 und 2016 ersichtlich sind (Abb. 1, 2) (2). Somit variiert die radio­aktive Belastung der Pilze innerhalb Öster­reichs und hängt einer­seits vom Cs-​137-​Gehalt im Boden und ande­rer­seits von der Pilzart ab (3).

Die fh gesundheit hat in einem Feld­versuch Pfif­fer­linge auf Cs-​137-​Gehalt unter­sucht. Das Ziel dieses inter­dis­zi­pli­nären Pro­jektes der FH-​Bachelor-​Studiengänge Diae­to­logie und Radio­lo­gie­tech­no­logie war es, die Rest­ra­dio­ak­ti­vität von Cs-​137 in Pfif­fer­ling­proben zu bestimmen, um her­aus­zu­finden, inwieweit der Verzehr bedenklich ist.

Zwei gesam­melte Pfif­fer­ling­proben aus den Bezirken Innsbruck-​Land und Landeck und eine im Lebens­mit­tel­handel gekaufte Probe aus Litauen werden im August 2015 auf Rest­ra­dio­ak­ti­vität und Cs-​137-​Gehalt unter­sucht. Für die qua­li­tative und quan­ti­tative Messung der Pilz­proben wird ein Gam­ma­spek­tro­meter der Öster­rei­chi­schen Agentur für Gesundheit und Ernäh­rungs­si­cherheit (AGES) an der Mess­stelle Inns­bruck ver­wendet. Mittels der gam­ma­spek­tro­me­tri­schen Messung ist die Bestimmung der in den Proben ent­hal­tenen Nuklide und deren Akti­vität in Bec­querel pro Kilo­gramm (Bq/​kg) möglich. Ein Bec­querel ent­spricht einem radio­ak­tiven Zerfall pro Sekunde (4).

Die Mess­ergeb­nisse zeigen, dass sich in den unter­suchten Pfif­fer­lingen immer noch geringe Mengen an Cs-​137 finden (Abb. 3). Die Probe aus dem Bezirk Innsbruck-​Land weist einen Cs-​137-​Gehalt von 150,4 Bq/​kg auf. In der Probe aus dem Bezirk Landeck sind 18,52 Bq/​kg Cs-​137 nach­weisbar. In der Mess­probe aus Litauen liegt der Gehalt von Cs-​137 unterhalb der Nach­weis­grenze von 2,4 Bq/​kg. Der vom Bun­des­mi­nis­terium für Gesundheit und Frauen (BMGF) her­aus­ge­gebene Grenzwert für Lebens­mittel beträgt 600 Bq/​kg (5). Daraus resul­tiert, dass die Probe aus dem Bezirk Innsbruck-​Land zu 75 % unter der höchst­zu­läs­sigen Dosis liegt. Die Mess­ergeb­nisse der Pfif­fer­linge aus dem Bezirk Landeck unter­schreiten diesen Maxi­malwert von 600 Bq/​kg zu 97 %, während die Probe aus Litauen unter der nach­weis­baren Mess­grenze liegt.

Ein Bei­spiel soll die Strah­len­be­lastung durch den Konsum von Pfif­fer­lingen ver­deut­lichen: Werden bei einer Mahlzeit 200 g Pfif­fer­linge mit einem sehr hohen Cs-​137-​Gehalt von 3000 Bq/​kg, sprich mit dem fünf­fachen Wert der höchs­ter­laubten Dosis, ver­zehrt, würde dies in etwa der Strah­len­be­lastung von einem Flug von Frankfurt nach Gran Canaria ent­sprechen (6).

30 Jahre nach dem Unglück in Tscher­nobyl sind die Strah­len­folgen immer noch messbar, denn das Radio­nuklid Cs-​137 ist im Gedenkjahr 2016 erst zur Hälfte zer­fallen. Leider blieb der Atom­unfall in Tscher­nobyl kein Ein­zelfall, wie die Nukle­ar­ka­ta­strophe in Fuku­shima im März 2011 zeigt.

Die Resultate des Feld­ver­suchs in Tirol liegen deutlich unterhalb des Grenz­werts von 600 Bq/​kg (5) und decken sich mit den Ergeb­nissen des BMGF (7). Der markant nied­rigere Gehalt von Cs-​137 in den Pfif­fer­ling­proben aus Litauen kann mit der dort gerin­geren Nie­der­schlags­menge nach dem Reak­tor­unfall in Zusam­menhang gebracht werden (8). Die Mes­ser­er­geb­nisse ver­deut­lichen, dass der Verzehr von Pfif­fer­lingen keine unmit­telbare Gesund­heits­gefahr durch die Belastung von Cs-​137 dar­stellt. Vor­sicht ist jedoch bei anderen Pilz­sorten, wie bei­spiels­weise bei Maro­nen­röhr­lingen, geboten, da diese teil­weise weit höhere Cs-​137-​Werte von mehr als 1000 Bq/​kg auf­weisen können (3).

Martina Pro­kopetz, MA, fhg – Zentrum für Gesund­heits­berufe Tirol GmbH, FH-​Bachelor-​Studiengang Radio­lo­gie­tech­no­logie (*equally con­tri­buted); Judith Erler, BSc, fhg – Zentrum für Gesund­heits­berufe Tirol GmbH, FH-​Bachelor-​Studiengang Diae­to­logie (*equally con­tri­buted); Ulrike Auer, BSc, Absol­ventin des FH-​Bachelor-​Studiengangs Radio­lo­gie­tech­no­logie; Mag. Martin Kuprian, fhg – Zentrum für Gesund­heits­berufe Tirol GmbH, FH-​Bachelor-​Studiengang Radio­lo­gie­tech­no­logie; Mag.a Anna Eli­sabeth Purtscher, fhg – Zentrum für Gesund­heits­berufe Tirol GmbH, FH-​Bachelor-​Studiengang Diaetologie

Kor­re­spondenz:

Martina Pro­kopetz, MA; martina.prokopetz@fhg-tirol.ac.at

Judith Erler, BSc; judith.erler@fhg-tirol.ac.at

Lite­ratur:

1. Ditto M et al. Radio­ak­ti­vität und Strahlung in Öster­reich: 2011 und 2012. Daten und Bewertung. Wien; 2013 [cited 2016 Nov 15]. Available from: URL: https://www.ages.at/fileadmin/AGES2015/Themen/Strahlenschutz_Dateien/Wild/radioaktivitaetsbericht_11_12_zusammengefuehrt.pdf.

2. Bun­desamt für Strah­len­schutz. Der Reak­tor­unfall 1986 in Tscher­nobyl. Salz­gitter; 2016 [cited 2016 Nov 10]. Available from: URL: https://www.bfs.de/SharedDocs/Downloads/BfS/DE/broschueren/kt/bro-tschernobyl.pdf?__blob=publicationFile&v=6.

3. Kabai E, Hiersche L. Radio­aktive Kon­ta­mi­nation von Spei­se­pilzen. Salz­gitter: Bun­desamt für Strah­len­schutz; Sep­tember 2015 [cited 2016 Nov 15]. Avail­ab­lefrom: URL: doris.bfs.de/jspui/bitstream/urn:nbn:de:0221–2015092913543/3/BfS-SW-18–15_Speisepilze-2014_20150929-bf.pdf.

4. Rahn A. Strah­len­schutz – Technik: Fach­kun­dekurs für Strah­len­schutz­be­auf­tragte gemäß Fach­kun­de­richt­linien Technik zur Strah­len­schutz­ver­ordnung (StlSchV) und Rönt­gen­ver­ordnung (RöV). 2., überarb. Aufl. Hei­delberg, München [u.a.]: Ecomed Sicherheit; 2012.

5. Cer­noh­lawek N et al. Radio­ak­ti­vität und Strahlung in Öster­reich: 2013 und 2014. Daten und Bewertung; 2016 [cited 2016 Nov 10]. Available from: URL: https://www.bmlfuw.gv.at/umwelt/strahlen-atom/strahlen-warn-system/umweltueberwachung.html.

6. Stelljes I. Cäsium-​137 in der Nahrung: Bun­desamt für Strah­len­schutz; 2016 [cited 2016 Nov 16]. Available from: URL: https://www.bfs.de/DE/themen/ion/umwelt/lebensmittel/pilze-wildbret/cs137-nahrung.html.

7. Bun­des­mi­nis­terium für Gesundheit und Frauen. Radio­ak­ti­vität in Wild­pilzen und Wild­fleisch aus Öster­reich. [cited 2016 Nov 15]. Available from: URL: www.bmgf.gv.at/home/Schwerpunkte/Gesundheitsfoerderung_Praevention/Strahlenschutz/Radioaktivitaet_in_Wildpilzen_und_Wildfleisch_aus_Oesterreich.

8. Atlas of caesium depo­sition on Europe after the Cher­nobyl accident: Atlas zagrjaz­nenija Evropy ceziem posle čern­by­lʹskoj avarii. Luxem­bourg: Off. for Off. Publ. of the Europ.Communities; 2001. (vol 19801).