Der Vitamin-​D-​Papst

Juli 2016

Der Arzt und weltweit renom­mierte Vitamin-​D-​Forscher, Univ.-Prof. Dr. Michael F. Holick von der Uni­ver­sität Boston (USA), war im April d.J. im Rahmen der Biogena Aka­demie zu einem Vortrag in Wien geladen. Der Autor grund­le­gender wis­sen­schaft­licher Arbeiten und einer Reihe popu­lär­me­di­zi­ni­scher Bücher im Gespräch mit dem Journal für Ernährungsmedizin.

In den USA sind wesentlich mehr Lebens­mittel mit Vitamin D ange­rei­chert als in Europa. Gibt es Daten, ob sich der Vitamin-​D-​Status dadurch ver­bessert hat?

Holick: Die Anrei­cherung von Lebens­mitteln mit Vitamin D hat eine lange Geschichte. In den 1930er Jahren war sie weltweit üblich. Man hat damals sogar Pro­dukte wie Seife oder Rasier­schaum ange­rei­chert. Dann traten Anfang der 1950er Jahre in England bei einigen Kindern schwere Erkran­kungen auf – Gesichts­dys­mor­phien, mentale Retar­dation, ein über­höhter Blut­kal­zi­um­spiegel und Herz­pro­bleme. Da man wusste, dass einer Über­dosis von Vitamin D bei Ratten einen über­höhten Blut­kal­zi­um­spiegel und Leis­tungs­de­fizite ver­ur­sacht, dachte man, dass diese Erkran­kungen auf ein Zuviel an Vitamin D in Milch­pro­dukten zurück­zu­führen seien. Ver­mutlich haben diese Kinder aber unter dem sel­tenen Williams-​Syndrom gelitten, das mit einer Hyper­sen­si­ti­vität gegenüber Vitamin D ein­hergeht. Jeden­falls wurde dar­aufhin die Anrei­cherung von Lebens­mitteln mit Vitamin D in Europa ver­boten. In den USA und Kanada wurde sie aber weitergeführt.

Wer soll Vitamin-​D-​Supplemente nehmen?

Holick: Meine Emp­fehlung lautet: jeder. Eigentlich bekommt niemand genug. Es gibt nur wenige Nah­rungs­quellen, sodass die ali­mentäre Deckung des Bedarfs prak­tisch unmöglich ist. Wenn dazu noch Son­nen­ex­po­sition ver­mieden wird, gibt es prak­tisch keine Vitamin-D-Quelle.

Wieviel emp­fehlen Sie?

Holick: Erwachsene sollten 2000 Units pro Tag bekommen, Kinder 1000 Units. Ich selbst nehme 4000 Units pro Tag.

Sind größere Mengen in grö­ßeren Abständen gleich effektiv wie die täg­liche Einnahme?

Holick: Wir konnten in einer Studie zeigen, dass die Ein­nahme von 50.000 Units alle zwei Wochen über den Zeitraum von sechs Jahren absolut effektiv und sicher war.

Es gibt auch einen Zusam­menhang zwi­schen Adi­po­sitas und Vitamin-D-Mangel. 

Holick: Auf­grund seiner Fett­lös­lichkeit sammelt sich Vitamin D im Fett­gewebe an. Adipöse Per­sonen müssen daher wesentlich mehr Vitamin D zu sich nehmen als nor­mal­ge­wichtige, um einen adäquaten Blut­spiegel auf­recht zu erhalten – nämlich zwei- bis dreimal so viel.

Sind sich adipöse Men­schen dessen bewusst?

Holick: Nur sehr wenige ver­wenden Supplemente.

Woran liegt es, dass Vitamin-​D-​Mangel so ver­breitet ist? Ist das ein „Kon­struk­ti­ons­fehler“ des Menschen?

Holick: Dabei geht es im Wesent­lichen um die Evo­lution der Haut­pig­men­tierung. Die Haut­pig­men­tierung hat unter anderem eine wesent­liche Schutz­funktion vor Haut­krebs. Als in den frühen Phasen der Mensch­heits­ge­schichte auch Regionen abseits des Äquators besiedelt wurden, war die Haut­pig­men­tierung bei dun­kel­häu­tigen Men­schen inso­ferne hin­derlich, als sie nicht mehr aus­rei­chend Vitamin D bilden konnten. Also ist die Haut­pig­men­tierung im Lauf der Evo­lution zurück­ge­gangen. Man nimmt an, dass die Nean­der­taler zum Bei­spiel einen sehr hellen Hauttyp und röt­liche Haare hatten.

Könnte man also über­spitzt for­mu­liert sagen, dass Haut­krebs der Preis für eine aus­rei­chende Vitamin-​D-​Versorgung ist?

Holick: Hier gibt es ein grund­le­gendes Miss­ver­ständnis. Wie so oft wird ange­sichts poten­zi­eller Pro­bleme völlige Abs­tinenz pro­pa­giert anstatt eines gemä­ßigten Umgangs. Natürlich muss man sich Gedanken machen, wie maligne Melanome ver­hindert werden können. Was die Son­nen­ex­po­sition betrifft, so gilt es in erster Linie, Son­nen­brände zu ver­meiden. Aller­dings treten die meisten Melanome an den am wenigsten son­nen­ex­po­nierten Haut­re­gionen auf. Das Risiko wird vor allem durch Son­nen­brände, gene­tische Dis­po­sition und die Zahl von Mut­ter­malen bestimmt.

Sie sprechen von drei Schritten, mit denen „die häu­figsten Erkran­kungen geheilt werden könnten.“ 

Holick: Vitamin-​D-​Mangel wird mit vielen akuten und chro­ni­schen Erkran­kungen wie Hyper­tonie und Herz-​Kreislauf-​Erkrankungen, Dia­betes Typ 1 und 2, mul­tipler Sklerose, Arthritis, Depres­sionen u.a.m. in Ver­bindung gebracht. Der erste Schritt ist eine ver­nünftige Son­nen­ex­po­sition – dafür haben wir die App dminder.info ent­wi­ckelt, mit deren Hilfe Sie an jedem Ort weltweit zu jeder Zeit erkennen können, wie viel Vitamin D gebildet werden kann. Der zweite Schritt ist eine Ernährung mit mög­lichst vielen Pro­dukten, die Vitamin D natür­li­cher­weise oder ange­rei­chert ent­halten – und der dritte Schritt sind Supplemente.

Herz­lichen Dank für das Gespräch.

K. Gruber