Mittlerweile könnte es bei Verantwortlichen in Gesundheitsversorgung und Gesundheitspolitik als bekannt vorausgesetzt werden: Übergewicht und Adipositas gehören zu den größten Gesundheitsproblemen weltweit, für die Betroffenen verbunden mit gravierenden Einbußen an Lebensqualität und auch an Lebenszeit, für die Gesundheitssysteme eine Herausforderung, die sie ohne Gegenmaßnahmen zu überfordern droht. Allerdings sind wirksame Maßnahmen gegen die Adipositasepidemie aus verschiedenen Gründen alles andere als einfach zu formulieren, geschweige denn zu implementieren. Im Erwachsenenalter ist es in den allermeisten Fällen zu spät, die Chancen einer konservativen Adipositas-Therapie sind verschwindend gering. So sieht die Weltgesundheitsorganisation WHO Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen die größte gesundheitspolitische Herausforderung im 21. Jahrhundert und hat einen Stopp des Anstiegs bis 2020 als Ziel mit oberster Priorität definiert.
Vor diesem Hintergrund sind bei dem vom Österreichischen Akademischen Institut für Ernährungsmedizin initiieren Symposium zwei Highlights hervorzuheben. Einerseits ist es offenbar sehr wohl möglich, dem grassierenden Anstieg von Übergewicht und Adipositas Maßnahmen entgegenzusetzen. „Beispiele aus anderen Ländern haben ganz klar gezeigt, dass fundierte, evaluierte und wirksame Präventionsprojekte möglich sind und dass die Erfolge auch messbar sind“, resümiert Kongresspräsident Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm. Andererseits haben hochrangige Vertreterinnen aus Politik und aus der Sozialversicherung ein Bekenntnis zu präventiven Maßnahmen abgelegt.
Die österreichische Bundesministerin für Familien und Jugend, Dr. Sophie Karmasin, betonte, dass eine verstärkte Berücksichtigung präventiver Ansätze für eine erfolgreiche Bekämpfung von Übergewicht und Adipositas notwendig sein. Die Vorsitzende des Verbandsvorstandes im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, Mag. Ulrike Rabmer-Koller, bekräftige: „Wir müssen mehr für die Prävention tun.“ Wenn nicht, wäre aufgrund der Folgekosten der Adipositas mit einem Kollaps des Gesundheitssystems zu rechnen.
Die gesundheitsökonomischen Dimensionen der Adipositas wurden von Univ.-Prof. Dr. Judit Simon vom Zentrum für Public Health, Abteilung für Gesundheitsökonomie, der Medizinischen Universität Wien illustriert. Einer US-amerikanischen Berechnung zufolge sind die Gesundheitskosten bei Adipositas um rund 40 % höher als bei Normalgewicht. Dem EU-Report 2014 zufolge werden in den Ländern der EU bis zu 7 des Gesundheitsbudgets für die direkten Folgekosten der Adipositas aufgewendet.
Ein Problem mit vielen Facetten
Wenn es nicht gelingt, die Entwicklung bei den lebensstilassoziierten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen positiv zu beeinflussen, so ist mit einem Rückgang der Lebenserwartung zu rechnen, warnte der Präsident des Österreichischen Herzfonds, Univ.-Prof. Dr. Otmar Pachinger im Rahmen einer Pressekonferenz im Anschluss an den Kongress. Der Kardiologe nannte in diesem Zusammenhang Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht und körperliche Inaktivität. Das Problem ist freilich nicht auf Österreich beschränkt, aber: „Während es in anderen Ländern bereits klare Konzepte gibt, ist Prävention in Österreich noch immer ein Stiefkind“, so Pachinger.
Die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes zur Vermittlung gesundheitsförderlicher Lebensgewohnheiten – speziell Ernährungsgewohnheiten – wurde im Rahmen der Pressekonferenz durch das Statement von Univ.-Doz. Dr. Ingrid Kiefer, Leiterin der Stabsstelle Risikokommunikation in der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit AGES, unterstrichen. Im Risikoatlas betreffend Ernährung stehe Überernährung an erster Stelle, wo die ernährungsspezifischen Probleme lägen, sei mit hoher Evidenz belegt. In den vergangenen Jahren wurden auch beträchtliche Anstrengungen unternommen, die Bevölkerung über gesunde Ernährung zu informieren. Unter anderem wurden lebensmittelbasierte Empfehlungen ausgearbeitet. Der Erfolg blieb allerdings aus. „Wissen alleine bewirkt offenbar noch kein gesundheitsorientiertes Verhalten“, so Kiefer.
Erfolgreiche Programme in Europa
Im französischen Programm EPODE (Ensemble, Prévenons l’Obésité des Enfants) zeigt sich auch die Relevanz der Umgebung. Das Programm basiert auf den Säulen politische Beteiligung, soziales Marketing, öffentliche und private Partnerschaft sowie Überwachung und Forschung. Neben der Reduktion von Übergewicht und Adipositas konnte EPODE auch dazu beitragen, sozioökonomisch bedingte Gesundheitsprobleme zu verringern. Das seit 2004 laufende Programm hat sich mittlerweile in rund 500 Gemeinden in sechs Regionen etabliert. Einige Eckdaten aus einer im Rahmen des POC präsentierten zusammenfassenden Analyse:
- Der Body-Mass-Index konnte um 9,12% (p<0,0001) und damit signifikant reduziert werden.
- Die Prävalenz von Adipositas konnte reduziert werden, diejenige von Übergewicht in einem signifikanten Ausmaß. Bei Adipositas betrug die Reduktion 0,4% (p=0,546), bei Übergewicht 1,4% (p<0,0001).
- Die gesundheitlichen Ungleichheiten zwischen Unterschicht und Mittelschicht wurden um 25% verringert.
- Die gesundheitlichen Ungleichheiten zwischen Mittelschicht und Oberschicht wurden um 50% verringert.
Aus Italien wurden mehrere Programme vorgestellt. In einem erfolgreichen Schulprojekt für Jugendliche zur Förderung von Bewegung und gesundem Essverhalten im Rahmen der internationalen, von der Weltgesundheitsorganisation unterstützten HBSC-Studie konnte die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas innerhalb von vier Jahren (2008 bis 2012) von 35,2 auf 32,3 % verringert werden.
In Spanien wurden im Zug einer Initiative für die öffentliche Gesundheit in mehreren Regionen Programme zur Förderung körperlicher Aktivität etabliert. Dazu gehört das Programm NAOS, ein erfolgreiches Ernährungs- und Bewegungsprogramm zur Bekämpfung von Übergewicht. Das Programm ALADINO wurde zur Prävention von Übergewicht und Adipositas bei Kindern im Alter von 6 bis 9 Jahren eingerichtet. Dabei konnte die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas im Mittel um 3,2% verringert werden – bei Mädchen von 41,2 auf 39,7% und bei Buben von 47,6 auf 42,8%.
Beim Fit-for-Kids-Programm in Dänemark handelt es sich um ein multidisziplinäres Programm zu Ernährung und Bewegung, bei dem Erfolge in mehreren Bereichen erzielt werden konnten. Der Body-Mass-Index konnte im Schnitt um 2,9 kg/m2 reduziert werden, die Körperfettmasse um 3,3 kg. Der Taillen- und der Hüftumfang wurde verringert, das Ausmaß der täglichen körperlichen Aktivität erhöht.
In der 1. Projektphase des EDDY-Programms zur Prävention von Übergewicht und Adipositas bei Wiener Kindern und Jugendlichen standen Jugendliche im Blickpunkt. Dabei konnte in der Interventionsgruppe eine signifikante Verbesserung des Ernährungswissens und ‑verhaltens erreicht werden. Nach zwei Jahren wurde eine Reduktion des Körperfettanteils erzielt (p=0,085), während in der Kontrollgruppe ein Anstieg zu verzeichnen war (p=0,095). In der 2. Projektphase wurde das Programm mit Kindern im Alter von 8 bis 10 Jahren durchgeführt. In der Basiserhebung wurde ein Anteil von 18% übergewichtigen, 19,7% adipösen und 5,5% untergewichtigen Kindern registriert. Erste Ergebnisse des kürzlich abgeschlossenen Follow-ups zeigen, dass der Anteil von untergewichtigen Kindern auf 3,6% gesenkt werden konnte.