Adipositas – Prävention ist das Gebot der Stunde

Dezember 2016

Beim inter­na­tio­nalen Sym­posium Pre­vention Models of Obesity and Car­dio­vas­cular Diseases (POC) im November in Wien wurden erfolg­reiche Prä­ven­ti­ons­mo­delle aus anderen Ländern prä­sen­tiert. In Öster­reich besteht dies­be­züglich wei­terhin Nach­hol­bedarf, doch Anzeichen poli­ti­schen Willens zu prä­ven­tiven Maß­nahmen sind erkennbar.

Mitt­ler­weile könnte es bei Ver­ant­wort­lichen in Gesund­heits­ver­sorgung und Gesund­heits­po­litik als bekannt vor­aus­ge­setzt werden: Über­ge­wicht und Adi­po­sitas gehören zu den größten Gesund­heits­pro­blemen weltweit, für die Betrof­fenen ver­bunden mit gra­vie­renden Ein­bußen an Lebens­qua­lität und auch an Lebenszeit, für die Gesund­heits­systeme eine Her­aus­for­derung, die sie ohne Gegen­maß­nahmen zu über­fordern droht. Aller­dings sind wirksame Maß­nahmen gegen die Adi­po­si­ta­s­epi­demie aus ver­schie­denen Gründen alles andere als einfach zu for­mu­lieren, geschweige denn zu imple­men­tieren. Im Erwach­se­nen­alter ist es in den aller­meisten Fällen zu spät, die Chancen einer kon­ser­va­tiven Adipositas-​Therapie sind ver­schwindend gering. So sieht die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation WHO Über­ge­wicht bei Kindern und Jugend­lichen die größte gesund­heits­po­li­tische Her­aus­for­derung im 21. Jahr­hundert und hat einen Stopp des Anstiegs bis 2020 als Ziel mit oberster Prio­rität definiert.

Vor diesem Hin­ter­grund sind bei dem vom Öster­rei­chi­schen Aka­de­mi­schen Institut für Ernäh­rungs­me­dizin initi­ieren Sym­posium zwei High­lights her­vor­zu­heben. Einer­seits ist es offenbar sehr wohl möglich, dem gras­sie­renden Anstieg von Über­ge­wicht und Adi­po­sitas Maß­nahmen ent­ge­gen­zu­setzen. „Bei­spiele aus anderen Ländern haben ganz klar gezeigt, dass fun­dierte, eva­lu­ierte und wirksame Prä­ven­ti­ons­pro­jekte möglich sind und dass die Erfolge auch messbar sind“, resü­miert Kon­gress­prä­sident Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm. Ande­rer­seits haben hoch­rangige Ver­tre­te­rinnen aus Politik und aus der Sozi­al­ver­si­cherung ein Bekenntnis zu prä­ven­tiven Maß­nahmen abgelegt.

Die öster­rei­chische Bun­des­mi­nis­terin für Familien und Jugend, Dr. Sophie Kar­masin, betonte, dass eine ver­stärkte Berück­sich­tigung prä­ven­tiver Ansätze für eine erfolg­reiche Bekämpfung von Über­ge­wicht und Adi­po­sitas not­wendig sein. Die Vor­sit­zende des Ver­bands­vor­standes im Haupt­verband der Sozi­al­ver­si­che­rungs­träger, Mag. Ulrike Rabmer-​Koller, bekräftige: „Wir müssen mehr für die Prä­vention tun.“ Wenn nicht, wäre auf­grund der Fol­ge­kosten der Adi­po­sitas mit einem Kollaps des Gesund­heits­systems zu rechnen.

Die gesund­heits­öko­no­mi­schen Dimen­sionen der Adi­po­sitas wurden von Univ.-Prof. Dr. Judit Simon vom Zentrum für Public Health, Abteilung für Gesund­heits­öko­nomie, der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­sität Wien illus­triert. Einer US-​amerikanischen Berechnung zufolge sind die Gesund­heits­kosten bei Adi­po­sitas um rund 40 % höher als bei Nor­mal­ge­wicht. Dem EU-​Report 2014 zufolge werden in den Ländern der EU bis zu 7 des Gesund­heits­budgets für die direkten Fol­ge­kosten der Adi­po­sitas aufgewendet.

Ein Problem mit vielen Facetten

Wenn es nicht gelingt, die Ent­wicklung bei den lebens­stil­as­so­zi­ierten Risi­ko­fak­toren für Herz-​Kreislauf-​Erkrankungen positiv zu beein­flussen, so ist mit einem Rückgang der Lebens­er­wartung zu rechnen, warnte der Prä­sident des Öster­rei­chi­schen Herz­fonds, Univ.-Prof. Dr. Otmar Pachinger im Rahmen einer Pres­se­kon­ferenz im Anschluss an den Kon­gress. Der Kar­diologe nannte in diesem Zusam­menhang Rauchen, Blut­hoch­druck, Über­ge­wicht und kör­per­liche Inak­ti­vität. Das Problem ist freilich nicht auf Öster­reich beschränkt, aber: „Während es in anderen Ländern bereits klare Kon­zepte gibt, ist Prä­vention in Öster­reich noch immer ein Stiefkind“, so Pachinger.

Die Not­wen­digkeit eines umfas­senden Ansatzes zur Ver­mittlung gesund­heits­för­der­licher Lebens­ge­wohn­heiten – spe­ziell Ernäh­rungs­ge­wohn­heiten – wurde im Rahmen der Pres­se­kon­ferenz durch das Statement von Univ.-Doz. Dr. Ingrid Kiefer, Lei­terin der Stabs­stelle Risi­ko­kom­mu­ni­kation in der Öster­rei­chi­schen Agentur für Ernäh­rungs­si­cherheit AGES, unter­strichen. Im Risi­koatlas betreffend Ernährung stehe Über­ernährung an erster Stelle, wo die ernäh­rungs­spe­zi­fi­schen Pro­bleme lägen, sei mit hoher Evidenz belegt. In den ver­gan­genen Jahren wurden auch beträcht­liche Anstren­gungen unter­nommen, die Bevöl­kerung über gesunde Ernährung zu infor­mieren. Unter anderem wurden lebens­mit­tel­ba­sierte Emp­feh­lungen aus­ge­ar­beitet. Der Erfolg blieb aller­dings aus. „Wissen alleine bewirkt offenbar noch kein gesund­heits­ori­en­tiertes Ver­halten“, so Kiefer.

Erfolgreiche Programme in Europa

Im fran­zö­si­schen Pro­gramm EPODE (Ensemble, Pré­venons l’Obésité des Enfants) zeigt sich auch die Relevanz der Umgebung. Das Pro­gramm basiert auf den Säulen poli­tische Betei­ligung, soziales Mar­keting, öffent­liche und private Part­ner­schaft sowie Über­wa­chung und For­schung. Neben der Reduktion von Über­ge­wicht und Adi­po­sitas konnte EPODE auch dazu bei­tragen, sozio­öko­no­misch bedingte Gesund­heits­pro­bleme zu ver­ringern. Das seit 2004 lau­fende Pro­gramm hat sich mitt­ler­weile in rund 500 Gemeinden in sechs Regionen eta­bliert. Einige Eck­daten aus einer im Rahmen des POC prä­sen­tierten zusam­men­fas­senden Analyse:

  • Der Body-​Mass-​Index konnte um 9,12% (p<0,0001) und damit signi­fikant redu­ziert werden.
  • Die Prä­valenz von Adi­po­sitas konnte redu­ziert werden, die­jenige von Über­ge­wicht in einem signi­fi­kanten Ausmaß. Bei Adi­po­sitas betrug die Reduktion 0,4% (p=0,546), bei Über­ge­wicht 1,4% (p<0,0001).
  • Die gesund­heit­lichen Ungleich­heiten zwi­schen Unter­schicht und Mit­tel­schicht wurden um 25% verringert.
  • Die gesund­heit­lichen Ungleich­heiten zwi­schen Mit­tel­schicht und Ober­schicht wurden um 50% verringert.

Aus Italien wurden mehrere Pro­gramme vor­ge­stellt. In einem erfolg­reichen Schul­projekt für Jugend­liche zur För­derung von Bewegung und gesundem Ess­ver­halten im Rahmen der inter­na­tio­nalen, von der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation unter­stützten HBSC-​Studie konnte die Prä­valenz von Über­ge­wicht und Adi­po­sitas innerhalb von vier Jahren (2008 bis 2012) von 35,2 auf 32,3 % ver­ringert werden.

In Spanien wurden im Zug einer Initiative für die öffent­liche Gesundheit in meh­reren Regionen Pro­gramme zur För­derung kör­per­licher Akti­vität eta­bliert. Dazu gehört das Pro­gramm NAOS, ein erfolg­reiches Ernährungs- und Bewe­gungs­pro­gramm zur Bekämpfung von Über­ge­wicht. Das Pro­gramm ALADINO wurde zur Prä­vention von Über­ge­wicht und Adi­po­sitas bei Kindern im Alter von 6 bis 9 Jahren ein­ge­richtet. Dabei konnte die Prä­valenz von Über­ge­wicht und Adi­po­sitas im Mittel um 3,2% ver­ringert werden – bei Mädchen von 41,2 auf 39,7% und bei Buben von 47,6 auf 42,8%.

Beim Fit-​for-​Kids-​Programm in Dänemark handelt es sich um ein mul­ti­dis­zi­pli­näres Pro­gramm zu Ernährung und Bewegung, bei dem Erfolge in meh­reren Bereichen erzielt werden konnten. Der Body-​Mass-​Index konnte im Schnitt um 2,9 kg/​m2 redu­ziert werden, die Kör­per­fett­masse um 3,3 kg. Der Taillen- und der Hüft­umfang wurde ver­ringert, das Ausmaß der täg­lichen kör­per­lichen Akti­vität erhöht.

In der 1. Pro­jekt­phase des EDDY-​Programms zur Prä­vention von Über­ge­wicht und Adi­po­sitas bei Wiener Kindern und Jugend­lichen standen Jugend­liche im Blick­punkt. Dabei konnte in der Inter­ven­ti­ons­gruppe eine signi­fi­kante Ver­bes­serung des Ernäh­rungs­wissens und ‑ver­haltens erreicht werden. Nach zwei Jahren wurde eine Reduktion des Kör­per­fett­an­teils erzielt (p=0,085), während in der Kon­troll­gruppe ein Anstieg zu ver­zeichnen war (p=0,095). In der 2. Pro­jekt­phase wurde das Pro­gramm mit Kindern im Alter von 8 bis 10 Jahren durch­ge­führt. In der Basis­er­hebung wurde ein Anteil von 18% über­ge­wich­tigen, 19,7% adi­pösen und 5,5% unter­ge­wich­tigen Kindern regis­triert. Erste Ergeb­nisse des kürzlich abge­schlos­senen Follow-​ups zeigen, dass der Anteil von unter­ge­wich­tigen Kindern auf 3,6% gesenkt werden konnte.