Vitamin D: Ein Schlüssel zur positiven frühkindlichen Prägung

Juli 2015

Sein essenzieller Einfluss auf die Knochendichte ist seit Jahrzehnten unbestritten. Relativ neu ist die Erkenntnis, dass in fast allen anderen Geweben und Organen bis hin zum Gehirn ebenfalls Vitamin-D-Rezeptoren sitzen. Vitamin D mischt an vielen Stellen im Stoffwechsel mit. Die weitreichenden physiologischen und präventiven Effekte lassen den Sonderstatus des Vitamins mit Hormonwirkung somit auch in den ersten 1000 Tagen des Lebens in einem neuen Licht erscheinen.

Wie aber sollen die seit 2012 auf das Vierfache angehobenen Empfehlungen im Essalltag realisiert werden? Diese und andere Fragen rund um das Sonnenvitamin wurden im Rahmen des Milupa-Symposiums beim diesjährigen Pädiatrischen Frühling der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) diskutiert. Dr. Dieter Furthner, Leiter der Abteilung für Pädiatrie am Salzkammergutklinikum Vöcklabruck, wies besonders auf die bislang wenig beachtete Funktion des Vitamins im Abwehrsystem hin.

Big Player im Immunsystem. Calcitriol, die aktive Form von Vitamin D, fördert die Umwandlung von Monozyten zu Makrophagen (Fresszellen) und ermöglicht die Synthese von antimikrobiell wirksamen Peptiden. Studien an Kindern belegen, dass eine gute Versorgung mit Vitamin D das Risiko für Atemwegsinfekte senken kann. So zeigte eine Studie, dass jene Kinder, die täglich 30 µg Vitamin D als Supplement erhielten, ein um 62% geringeres Risiko hatten, an Grippe (Influenza A) zu erkranken.

Stark gegen Autoimmunerkrankungen. Autoimmunprozesse spielen u. a. bei der Entstehung von Typ-1-Diabetes eine entscheidende Rolle. Vitamin D könnte aufgrund seiner immunmodulierenden Wirkung schützend wirken. Eine Studie zeigte, dass bei Kindern, die Vitamin-D-Supplemente erhielten, das Typ-1-Diabetes-Risiko um 88 Prozent geringer war als bei jenen, die kein Vitamin D eingenommen hatten. Dies wurde durch eine Metaanalyse im Jahr 2008 untermauert. Furthner dazu: „Ich beobachte bei meinen Patienten mit Typ-1-Diabetes oder MS häufig einen Mangel. Ob das die Ursache für die Erkrankung oder eine Folge davon ist, lässt sich anhand der vorliegenden Literatur noch nicht abschätzen.“ Im Fall von Multipler Sklerose (MS) ist die Vitamin-D-Versorgung invers mit dem Risiko assoziiert. Bei bereits bestehender MS ist unter Vitamin-D-Supplementierung eine Reduktion von Krankheitsschüben zu beobachten.

Frühkindliche Prägung und Gehirnentwicklung stark Vitamin D-abhängig. In den Nervenzellen des Gehirns sitzen ebenfalls Vitamin D-Rezeptoren. Außerdem konnte man im Gehirn jene Enzyme nachweisen, die die Bildung von Calcitriol fördern. Es scheint gesichert, dass Vitamin D auch bei der Entwicklung und Funktion des Gehirns eine wesentliche Rolle spielt. Während der frühkindlichen Prägung in den ersten 1000 Tagen (von der Zeugung bis zum 2. Geburtstag) nimmt Vitamin D daher eine Schlüsselrolle ein.

Empfohlene Zufuhrmengen über Ernährung kaum erreichbar. Im deutschsprachigen Raum werden von Fachgesellschaften aktuell 15-20 µg Vitamin D pro Tag empfohlen – für Erwachsene genauso wie für Kleinkinder. Das ist ca. 4x so viel wie vor der Aktualisierung 2012. Furthner bestätigt, dass diese Mengen von Kindern nicht alleine mit üblichen Lebensmitteln erreicht werden können.

Nur wenige natürliche Quellen. Bei ausreichender UVB-Strahlung des Sonnenlichts produziert der Körper Vitamin D zum Großteil selbst in der Haut. Dieses wird dann in Leber und Niere in die aktive Form umgewandelt. Aber: Je stärker die Haut pigmentiert ist, je höher der Schutzfaktor der Sonnencreme und je weiter nördlich man wohnt, desto schlechter funktioniert diese Eigensynthese. Hinzu kommt ein verändertes Freizeitverhalten, weshalb auch Kinder ganzjährig auf die Zufuhr über die Nahrung angewiesen sind. Gute Quellen für Vitamin D beschränken sich auf Fisch, Pilze, Eigelb – alles Lebensmittel, die in der üblichen Kinderernährung zu kurz kommen. Angereicherte Lebensmittel können mithelfen, die hohen Vorgaben der Fachgesellschaften zu erreichen, allerdings ist z. B. bei Kindermilch die Höhe der Anreicherung sehr unterschiedlich. Die Resorption von Vitamin D aus Milch ist übrigens aufgrund des Laktalbumins besonders gut.

Kinder sind schlecht versorgt. Da es aus Österreich keine Studien über den Vitamin D-Status von Kleinkindern gibt, muss auf Erfahrungen der Nachbarländer zurückgegriffen werden. Die Daten des Kinder- und Jugend-Gesundheitssurveys (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts zeigten eine deutliche Unterversorgung. Bei 62% der 3- bis 17-jährigen Nicht-Migranten und bei 76% der Migranten liegt ein Vitamin D-Mangel vor. Für Furthner lohnt es sich in jedem Fall, Vitamin D mehr Aufmerksamkeit zu schenken: „Angesichts der enormen gesundheitsfördernden Bedeutung von Vitamin D empfehle ich, Kindern ab dem 1. Geburtstag neben einem Vitamin-D-reichen Essalltag zusätzlich z.B. 10 µg/Tag als Supplement zu verabreichen.“ Warum dann nicht gleich die gesamte Menge supplementieren? „Bei Supplementen bleibt immer das Risiko Überdosierung. Deshalb plädiere ich dafür, einen Teil der empfohlenen Menge mit der Nahrung – gegebenenfalls mit angereicherten Produkten wie z. B. Kindermilch – aufzunehmen, wie es in den USA auch schon üblich ist“, so Furthner.

Mag. S. Bisovsky; Red.

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