Sport, Ernährung, Psyche

Juli 2015

Am 18. September findet in Wien der 2. Fachtag „Sporternährung“ statt. Die wissenschaftliche Leitung haben Univ.-Prof. Dr. Barbara Prüller-Strasser und Univ.-Prof. Dr. Dietmar Fuchs inne. Im Gespräch mit dem Journal für Ernährungsmedizin erläutern sie zentrale Inhalte und aktuelle Entwicklungen.

JEM: Was können die Besucher heuer erwarten?

Prüller-Strasser: Zum einen wird es einen sehr guten Überblick zum State-of-the-art zum Thema körperliche Aktivität, Ernährung und psychische Gesundheit geben. In den vergangenen Jahren haben neue Studien offenbart, dass die körperliche Fitness und die Ernährung eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde Psyche sind – und viele aktuelle Empfehlungen sind nach wie vor nicht wissenschaftlich fundiert.–Zum anderen ist der Fachtag wieder sehr praxisbezogen. Ärzte, Diätologen und Ernährungswissenschaftler können viele Informationen direkt für ihre Patienten und Klienten umsetzen.

JEM: Wo hat sich in letzter Zeit besonders viel getan?

Prüller-Strasser: Zum Beispiel bei den Wechselwirkungen zwischen körperlicher Aktivität, Ernährung und Psyche. Die Bedeutung von Bewegung in der Prävention neurodegenerativer Erkrankungen ist bekannt, nun liegen auch Daten vor, die ein therapeutisches Potenzial und eine Dosis-Wirkungs-Beziehung belegen.

JEM: Wie sieht das aus?

Prüller-Strasser: Eine kürzlich in Lancet publizierte Studie1 hat gezeigt, dass Patienten mit milden kognitiven Störungen von einem – allerdings sehr intensiven – Bewegungsprogramm enorm profitieren können. Innerhalb von zwei Jahren konnte die kognitive Leistungsfähigkeit der Teilnehmer im Schnitt um 25 Prozent gesteigert werden. Die Exekutivfunktionen wurden um 83 und die Verarbeitungsgeschwindigkeit um 150 Prozent erhöht.

JEM: Wir erklärt man sich das?

Prüller-Strasser: Hier spielen mehrere Effekte zusammen, unter anderem die bekannte bessere Durchblutung und die Förderung der Neurogenese. Dazu gibt es neue interessante Ergebnisse über die Aktivierung von Neurotransmittern.

JEM: Der Tryptophan-Stoffwechsel ist eines der zentralen Themen des Fachtags.

Fuchs: Tryptophan hat enorm vielfältige Wirkungen, und wir wissen auch schon relativ viel über seinen Stoffwechsel. Die u.a. durch Bewegung stimulierte Bildung und Freisetzung von Serotonin trägt nicht nur wie erwähnt zur Neurogenese bei, sondern hat auch den bekannten stimmungsaufhellenden Effekt.

JEM: Könnte es durch intensiven Sport zu einem Mangel an Tryptophan als Vorstufe für Serotonin kommen?

Fuchs: Dabei muss man wie in vielen anderen Punkten auch zwischen Gesundheits- bzw. Ausgleichssport und Hochleistungssport unterscheiden. Beim Ausgleichssport ist man über ausgewogene Ernährung sicher ausreichend mit Tryptophan versorgt. Bei extremen Belastungen hingegen wäre ein Tryptophan-Mangel durchaus denkbar.

JEM: Welche Mechanismen liegen dem zugrunde?

Fuchs: Bei extremen und längeren körperlichen Belastungen werden Entzündungskaskaden in Gang gesetzt, in deren Verlauf massiv Tryptophan abgebaut wird. Im Prinzip entspricht das den Entzündungsvorgängen, die wir von chronischen Infektionen und Tumorerkrankungen kennen. Das Immunsystem interagiert sehr intensiv mit Stoffwechselwegen, wo man das bis vor kurzem nicht unbedingt erwartet hätte. So werden im Rahmen der zellulären Immunantwort große Mengen an Tryptophan verbraucht. Daher können Tumorpatienten oder Patienten mit chronischen Infektionen – etwa dem AIDS-Virus – leicht in einen Tryptophan-Mangel schlittern. Daraus resultiert ein Defizit an Serotonin und damit eine Neigung zu Depressionen, die nicht alleine auf die seelische Belastung durch die Erkrankung zurückzuführen ist.

JEM: Es gibt eine aktuelle Publikation von Ihnen beiden, die sich mit den Auswirkungen von Diäten auf den Tryptophan-Haushalt beschäftigt2.

Prüller-Strasser: Es hat sich gezeigt, dass eine stark kalorienreduzierte Diät (VLCD) bei Personen mit Prä-Adipositas auch zu Störungen des Tryptophan-Haushalts führt, die in einem Mangel an Serotonin resultieren. Damit können Stimmungsschwankungen und Kohlenhydrat-Craving bei Diäten zusammenhängen, die durch die Supplementierung mit Tryptophan vermieden werden könnten.

JEM: Was fällt beim Sport mehr ins Gewicht – das falsche Bewegungs- oder das falsche Ernährungsverhalten?

Prüller-Strasser: Sicher Bewegungsmangel. Es gibt Sportler, die sich ungesund ernähren und trotzdem fit sind. Das sind aber Ausnahmen. Im Prinzip muss die Ernährung so gestaltet sein, dass für ausreichend Energiereserven sprich Glukoseverfügbarkeit bei der Belastung gesorgt ist. Dann bleibt auch die Konzentrationsfähigkeit erhalten. Da weiß man schon sehr viel und es gibt ausgeklügelte Ernährungskonzepte. Nur bei extremen Belastungen wie der Tour de France zum Beispiel ist die Zufuhr von Kalorienmengen von bis zu 8.000 kcal an Renntagen über eine natürliche Ernährung nicht mehr möglich.

JEM: Das Super-Nahrungsmittel zur Leistungssteigerung bleibt aber ein frommer Wunsch?

Prüller-Strasser: Voraussetzungen sind natürlich immer eine Grundkondition und ausreichende Energiereserven. Abgesehen davon gibt es schon gewisse Hilfsmittel, um Konzentration, Wachsamkeit und Spritzigkeit länger aufrecht zu erhalten. Für Koffein haben wir Evidenzen und auch Tryptophan ist durchaus geeignet. Ein bis zwei Espresso eine Stunde vor einem Lauf zum Beispiel wären sicher eine optimale – und legale – Unterstützung. Das machen auch viele Sportler. Und viele Wellnessdrinks enthalten Tryptophan. Auch mit Kreatin, jedoch nicht wissenschaftlich hinreichend bewiesen, könnte man kurzfristig die Muskelkraft, vor allem die Schnellkraft, steigern. Das sollte aufgrund der Nebenwirkungen allerdings nicht länger als drei Wochen eingenommen werden.

JEM: Wie sind die teilweise ziemlich ausgiebig eingesetzten Protein-Supplemente zu bewerten?

Prüller-Strasser: Davon wird nicht selten viel zu viel genommen, bis zu 3 bis 4g pro Kilo Körpergewicht pro Tag. Bei einem Untrainierten reicht aber ein Gramm, bei Leistungssportlern 1,4g. Mehr ist nicht notwendig, weil die Proteinsynthese durch den Trainingsstimulus per se aktiviert wird. Dass ein Proteinmangel die Ursache für einen fehlenden Muskelzuwachs ist, kommt sehr selten vor. Und wenn man nicht trainiert, wird es ohnehin zu keinem Muskelaufbau kommen. Man darf auch nicht vergessen, dass auch Proteinüberschüsse als Körperfett abgelagert werden.

Fuchs: Von der Idee her wäre Tryptophan schon als Zusatzstoff zur Unterstützung eines intensiven Muskelaufbau-Programms geeignet – nicht nur als Vorsorge zur Vermeidung eines Serotininmangels und damit Stimmungstiefs, sondern auch zur Unterstützung des Muskaufbaus selbst. Tryptophan ist ja die am wenigsten verfügbare Aminosäure und könnte zum limitierenden Faktor werden, weil menschliche Zellen zur Biosynthese von Tryptophan nicht befähigt sind.

JEM: Vitamine und andere Antioxidantien erfreuen sich in der Sportwelt ebenfalls größter Beliebtheit.

Fuchs: Ich würde sagen, dass man heute – vorausgesetzt, man ist gesund – weniger ein Problem mit oxidativem Stress hat, sondern mit antioxidativem Overload. Bei normaler physischer Aktivität reichen die mit einer ausgewogenen Ernährung aufgenommenen Antioxidantien aus, um die erforderliche Balance im Körper zu halten. Dazu kommt aber noch eine ganze Reihe von Substanzen mit teilweise beträchtlicher antioxidativer Kapazität wie Gewürze, Farbstoffe oder Konservierungsmittel. Und wenn man dann noch Vitamine und andere Antioxidantien zu sich nimmt, hat man sicher einen antioxidativen Overload. Schon um diesen abzubauen, ist körperliche Aktivität zu empfehlen.

JEM: In welcher Weise wirkt sich ein antioxidativer Overload negativ aus?

Fuchs: Mehrfach. Die antiinflammatorische Wirkung von Antioxidantien betrifft nicht alle Bereiche des Immunsystems. Die zelluläre Immunantwort wird durch Antioxidantien geschwächt, weil Regelkreise zur Hemmung der Zellteilung unterbrochen werden. Das ist zwar schon lange bekannt, in letzter Zeit aber in den Hintergrund gerückt.

JEM: Es gibt noch weitere negative Auswirkungen?

Fuchs: Antioxidantien interferieren offenbar auch mit der Regulation der Nahrungsaufnahme, indem sie die Freisetzung von Leptin hemmen. Damit verschieben sie das Gleichgewicht in Richtung Gewichtszunahme. Antioxidantien wie Gewürze steigern auch deshalb den Appetit, weil sie die Verfügbarkeit von Tryptophan verbessern. Man isst also mehr. Darüber hinaus fördern Antioxidantien auch eine allergisierende immunologische Reaktion vom TH2-Typ. Das ist auch einer der Gründe für den Zusammenhang zwischen Übergewicht und Allergien.

JEM: Was hat der antioxidative Overload mit Sport zu tun?

Fuchs: Ein Overload an Antioxidantien kann entstehen, wenn mehr Brennstoff in Form von Kalorien zugeführt wird als der Organismus tatsächlich verbraucht. Sport zu betreiben bzw. für ausreichend Bewegung zu sorgen ist daher eine wichtige und einfache Möglichkeit, einen Überschuss an Antioxidantien abzubauen.

JEM: Ungesättigte Fettsäuren stehen ebenfalls im Blickpunkt am Fachtag – wie sind sie in Zusammenhang mit Sport zu sehen?

Prüller-Strasser: Die mehrfach ungesättigte Fettsäure DHA (Docosahexaensäure), die zu den Omega-3-Fettsäuren zählt, ist integraler Bestandteil der Nervenzellmembranen und unterstützt die neuronale Signalübertragung. Die essentielle Fettsäure reduziert Entzündungsprozesse und macht das Gehirn widerstandsfähiger gegen Verletzungen – mildert zum Beispiel ein Hirntrauma. Ein Mangel an DHA beeinträchtigt auch die kognitiven Funktionen und scheint mit dem Auftreten von Depressionen assoziiert zu sein.

JEM: Herzlichen Dank für das Gespräch!

1 Lancet 2015; 385: 2255-2263

2 Eur J Nutr 2015; 54: 101-107

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