Refeeding-Syndrom in der klinischen Ernährung

April 2015

Steigerung der Diagnosehäufigkeit im intramuralen Bereich durch Einsatz eines Screening Tools

Lisa Wundsam1, Erika Schrattenholzer2, Jutta Möseneder1, Gabriele Karner1

Mit dem Begriff Refeeding-Syndrom wird das Auftreten von pathologischen, schwerwiegenden Elektrolytverschiebungen, hervorgerufen durch zu raschen oralen, enteralen oder parenteralen Kostaufbau nach einer längeren Phase der Unterernährung, bezeichnet. Über die Klinik des Refeeding-Syndroms ist vieles bekannt. Oftmals wird das Syndrom im intramuralen Bereich jedoch zu spät oder gar nicht diagnostiziert, wodurch Komplikationen im Nahrungsaufbau auftreten und eine adäquate Behandlung verhindert oder erschwert wird (Zauner at al., 2005). Durch einen dem Ernährungszustand des Patienten angepassten Kostaufbau sowie engmaschiges Monitoring der relevanten Blutparameter und im Bedarfsfall durch Gabe der nötigen Elektrolyte und Vitamine kann die Entstehung des Refeeding Syndroms weitgehend verhindert werden. Eine große Herausforderung ist hier, dass in der Praxis eine eindeutige Unterscheidung zwischen normalen Elektrolytveränderungen während des enteralen oder parenteralen Kostaufbaus und den Symptomen des Refeeding-Syndroms nicht möglich ist. Hier bedarf es weiterer Forschungsaktivitäten und einer genaueren Abgrenzung der Symptomatik. Durch die frühzeitige Identifikation von RisikopatientInnen kann eine erfolgreiche Behandlung bzw. Prävention des Refeeding-Syndroms erfolgen. Das rasche Erkennen von RisikopatientInnen ist durch die Durchführung eines Screenings eines jeden/jeder PatientIn im Zuge der Aufnahme im Krankenhaus möglich (Beck; Carrie; Lambert; Mason & Milosavljevic, 2001).

Zielsetzung

Ziel des hermeneutischen Teils der Bachelorarbeit war es, mittels umfassender systematischer Literaturrecherche einen Überblick über die Entstehung und Klinik des Refeeding-Syndroms im Zuge des enteralen oder parenteralen Kostaufbaus sowie die Empfehlungen und Möglichkeiten der Ernährungstherapie im Rahmen des diätologischen Prozesses zu geben. Weiters wurden die Möglichkeiten, durch den Einsatz eines Screening Tools die Diagnosehäufigkeit zu steigern, sowie die Qualitätskriterien eines Screening-Werkzeuges, beleuchtet.

Basierend auf den Erkenntnissen der Literaturrecherche wurde im empirischen Teil der Arbeit untersucht, ob es DiätologInnen durch die Identifikation von RisikopatientInnen mittels eines Screenings möglich ist, einen dem Zustand des/der PatientIn angepassten, durch die NICE-Guidelines 2006 gestützten Kostaufbau durchzuführen und so die Entstehung eines Refeeding-Syndroms weitgehend zu verhindern, sowie nach Diagnosestellung PatientInnen mit einer bereits vorhandenen Symptomatik einer geeigneten Ernährungstherapie zu unterziehen und so weitere negative gesundheitliche Folgen zu verhindern.

Material und Methoden

Ein für die tägliche Praxis geeignetes Werkzeug zur einfachen und schnellen Identifikation von RisikopatientInnen ist das Screening. Wie zahlreiche Studien bestätigen, bietet es die Möglichkeit, bei gezielter Fragestellung, PatientInnen, bei denen eine Mangelernährung besteht und die somit ein erhöhtes Risiko haben, ein Refeeding-Syndrom zu entwickeln, zu erkennen.

Da kein Screening, speziell auf das Refeeding-Syndrom zugeschnitten, existiert, wurde ein solches im Zuge des empirischen Teils der Arbeit nach den NICE-Guidelines (2006) erstellt (siehe Abbildung 1). Um die Praktikabilität und das Potential des erstellten Screening Tools hinsichtlich des Einsatzes im klinischen Alltag zu untersuchen, wurden im April 2014 drei leitfadengestützte Expertinneninterviews mit Diätologinnen, die im klinischen Bereich tätig sind, durchgeführt. Die transkribierten Interviews wurden anschließend inhaltlich nach Mayring (1993) ausgewertet.

Ergebnisse

Aus der Arbeit geht hervor, dass das Refeeding-Syndrom erfolgreich und einfach behandelt werden kann, allerdings im klinischen Alltag oft nicht diagnostiziert wird. RisikopatientInnen werden teilweise nicht als solche erkannt. Einen Grund dafür stellt der Mangel an genauen Definitionen hinsichtlich Symptomatik und Diagnose des Refeeding-Syndroms dar.

Die frühzeitige Identifikation von RisikopatientInnen anhand der Risikokriterien (siehe Abbildung 2) ermöglicht die Durchführung einer adäquaten Ernährungstherapie, wodurch Komplikationen im Nahrungsaufbau verhindert oder vermindert werden können.

Im intramuralen Bereich besteht der Bedarf nach einem Werkzeug zur raschen Erhebung des Risikos von PatientInnen, ein Refeeding-Syndrom zu entwickeln. Das Screening Tool nach den NICE-Guidelines (2006) stellt laut allen befragten Expertinnen eine gute Möglichkeit zur Erkennung von gefährdeten PatientInnen im klinischen Alltag dar.

Sowohl in den am Kostaufbau beteiligten Berufsgruppen, als auch innerhalb der Gruppe der DiätologInnen, ist das vorhandene Wissen bezüglich des Risikos, der Klinik und der Diagnose des Refeeding-Syndroms sehr unterschiedlich bzw. teilweise unzureichend. Oftmals sind Symptome und auch Leitlinien für den Kostaufbau von RisikopatientInnen nicht bekannt. Daher zeigt sich auch die Durchführung der Ernährungstherapie hinsichtlich des Refeeding-Syndroms als uneinheitlich.

Schlussfolgerungen

  • Eine eindeutige Unterscheidung zwischen normalen Elektrolytveränderungen während des Kostaufbaus und den Symptomen des Refeeding-Syndroms ist de facto nicht möglich. Daher ist die Ausarbeitung genauer Definitionen der Klinik und Diagnose des Refeeding-Syndroms unerlässlich.
  • Das vorgelegte Screening Tool nach den NICE-Guidelines (2006) kann, nach weiterer Evaluation und Adaption, ein wichtiges Werkzeug zur Identifikation von RisikopatientInnen in der Praxis darstellen.
  • Alle am Kostaufbau beteiligten Berufsgruppen sollten bezüglich des Refeeding-Syndroms sensibilisiert werden; entsprechende Inhalte sollten Teil der Ausbildung sein.
  • Hinsichtlich des Kostaufbaus von RisikopatientInnen sollten evidenzbasierte Leitlinien zur Verfügung stehen.

1 Fachhochschule St. Pölten GmbH

2 Sozialmedizinisches Zentrum Baumgartner Höhe – Otto Wagner Spital mit Pflegezentrum

Korrespondenz:

Lisa Wundsam, BSc, 8623 Aflenz Kurort, Aflenz 465, E-Mail: lisa_wundsam@gmx.at

Literatur:

Beck, E., Carrie, M., Lambert, K., Mason, S., Milosavljevic, M. (2001). Implementation of malnutrition screening and assessment by dieticians: malnutrition exists in acute and rehabilitation settings. Australian Journal of Nutrition and Dietetics, 92-97.

Mayring, P. (1993). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) (2006). Guidelines for Nutrition Support in Adults CH032.

Zauner, C., Zauner, A., Lindner, G., Kneidinge, N. & Schneeweiss, B. (2005). Das Refeeding Syndrom. Journal für Gastroenterologische und Hepatologische Erkrankungen, 3 (4): 7-11.