Margit Laimer, Fatemeh Maghuly
Wie bereits in Teil 1 (JEM 2/2015) erwähnt, entstehen Genmutationen permanent und ohne menschliches Zutun in jedem Organismus. Die meisten werden umgehend von zelleigenen Reparaturmechanismen wieder ausgebessert. Die übrigen sind der Rohstoff der Evolution. Ohne Mutationen entstünden keine neuen Arten, und Lebewesen könnten sich nicht an neue Umweltbedingungen anpassen, sondern müssten zugrunde gehen. Je nach der Dimension der Veränderung unterscheidet man drei Kategorien von Mutanten.
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Genom-Mutationen führen zu einer Änderung der Anzahl der Genome (des Ploidiegrades), betreffen also die Größe des gesamten Genoms.
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Chromosomen-Mutationen betreffen einzelne Chromosomen und umfassen neben Phänomenen wie Aneuploidie (Veränderung der Chromosomenzahl) vor allem einzelne Veränderungen von Chromosomenabschnitten wie Rearrangements als Folge von Chromosomenbrüchen und werden in Deletion, Duplikation, Inversion, Insertion und Translokation eingeteilt. So verdanken bunte Maiskörner ihren verschiedenen Anthocyangehalt der Aktivität von Transposons,
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Gen-Mutationen betreffen einzelne Nukleotide in einem Gen. Punktmutationen oder SNPs (Single Nucleotide Polymorphismus), bei denen jeweils ein Nukleotid gegen ein anderes ausgetauscht wird – etwa ein Purin (A ↔ G) oder ein Pyrimidin (C ↔ T), gegen ein anderes – nennt man Transitionen. Transversion hingegen beschreibt die Substitution eines Purins mit einem Pyrimidin oder umgekehrt. Da diese Art von Mutation die chemische Struktur der DNA deutlich verändert, sind die Konsequenzen von Transversionen meist drastischer als von Transitionen. Der Nachweis konnte geführt werden, dass die Entstehung von nackten Körnern während der Domestikation von Mais von einer einzigen Aminosäuren-Substitution in TGA1 (Teosinte glume architecture 1, Teosinte Spelzenarchitektur 1) verursacht wurde, die zu einer Funktionsänderung führte. Das gleiche Gen, das in Teosinte ein Transkriptionsfaktor ist, ist in Mais ein Repressor.
Prinzipien der Mutationszüchtung
Mutagenese nennen Züchter den Versuch, die Zahl von Erbgutveränderungen einer Pflanze künstlich zu erhöhen (Modifizierungstechniken im Überblick sind in Abb. 1 dargestellt). Mutationen können durch geeignete chemische und physikalische Mutationsauslöser (sogenannte Mutagene) künstlich induziert werden, wodurch die Mutationsrate stark erhöht wird.
In der Folge treten erbliche Veränderungen nicht mehr mit der natürlichen Häufigkeit auf, sondern mit einer gesteigerten Häufigkeit von bis zu 10-2 auf, was 1 Mutation auf 100 statt auf 100.000 bis zu 1.000.000.000 Gene entspricht. Durch künstliche Mutationsauslösung können nicht nur zuvor aktive Gene inaktiviert, sondern auch umgekehrt inaktive Gene aktiviert werden.
Mutationszüchtung bei Pflanzen war bisher eine recht erfolgreiche Methode. Die Merkmale, die verändert wurden, betreffen meist gängige Züchtungsziele: Ertrag, Qualität, Größe, Krankheits- und Pathogenresistenz, Toleranz gegenüber abiotischen Stressfaktoren und neue Eigenschaften für den Endverbraucher. Zur Induktion der Mutationen werden biologische, physikalische oder chemische Mutagene verwendet.
Biologische Mutationsauslösung: Transposons oder springende Gene
Lange Zeit waren die Genetiker der Überzeugung, Gene seien an bestimmten Orten fest in ein Chromosom eingebunden. 1949 brachte Barbara McClintock dieses Dogma zu Fall: sie entdeckte beim Mais die „springenden Gene“, die ihre Position verändern und sogar in andere Chromsomen wechseln können. Für diese Entdeckung erhielt sie 1983 den Nobelpreis.
Später fand man heraus, dass solche mobilen genetischen Elemente nicht nur beim Mais, sondern bei vielen anderen Organismen vorkommen. Mehr noch: Transposons spielen eine wichtige Rolle, da sie neben andern Mechanismen zur genetischen Variationsfähigkeit von Organismen beitragen. Die Vorgänge, die bestimmte Genen zum „Springen“ befähigen, beruhen auf verschiedene „transposable elements“, die dafür sorgen, dass sich Gene – etwa solche für die Farbe der Maiskörner – aus ihrer Position im Chromosom lösen und an anderer Stelle wieder einfügen. Zu einem Transposon gehört ein Gen für ein spezielles Enzym (Ac-Transposase), das bestimmte Signale (Ds-Sequenzen) in der DNA „erkennt“, genau dort Stücke aus der DNA herausschneidet und sie an einer anderen, nicht vorhersagbaren Stelle wieder in die Erbsubstanz integriert. Ein solches Transposon ist auch für den runzeligen Phänotyp von Mendel´s Erbsen verantwortlich (siehe Teil 1).
Physikalische Mutationsauslösung
Zu den physikalische Mutagenen zählen ionisierende Strahlen, die einerseits als subatomare Partikel (wie Elektronen, Protonen, Neutronen, Alpha- und Beta-Partikel) oder als elektromagnetische Strahlungen (wie Röntgen-, Gamma-Strahlen und kosmische Strahlung) in der Pflanzenzüchtung eingesetzt werden. Diese können zu Brüchen und anderen Veränderungen in der DNA führen. Die am häufigsten verwendeten Quellen für Gamma-Strahlen etwa sind Kobald-60 und Caesium-137.
Bereits 1928 mutierte der amerikanische Genetiker Lewis Stadler mit Röntgenstrahlung die erste Pflanze. 1934 kam die erste Strahlenmutante auf den Markt – eine Tabaksorte aus den niederländischen Kolonien. Mitte der 1950er Jahre gab es eine Blütezeit der sogenannten „Atomgärten“. Heute ist es kaum vorstellbar, dass man „nuklearen Reis“, „atomar angereicherte Tomaten“ oder „atomar energetisierten“ Mohn anpreisen und verkaufen könnte. Ende der 1950er Jahre hingegen waren das mancherorts Verkaufsschlager.
Bestrahlt wurde die gesamte Palette der wichtigsten Nahrungspflanzen. Auf den Markt gelangten unter anderem mutierter Reis, Hafer, Raps, Mais, Soja, Kichererbse, Erdnüsse, Bohnen viele Obst- und Gemüsesorten, etwa Bananen, Apfel, japanische Birne, Mohn und Oliven. Über 3000 Sorten in über 200 Arten sind bisher registriert worden (http://mvgs.iaea.org/). So ist etwa die pilzresistente Pfefferminz-Sorte „Todd’s Mitcham“ ein Ergebnis dieser Zuchtmethode. Nahezu die gesamte globale Pfefferminzölproduktion stammt von einer Mutante ab.
Auf 75 Prozent der texanischen Anbaufläche für Grapefruit werden heute nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA die Sorten „Star Ruby“ und „Rio Red“ angebaut, die unter dem Handelsnamen „Rio Star“ exportiert werden und aus der radioaktiven Bestrahlung der seit 1929 bekannten Sorte „Ruby Red“ hervorgegangen sind.
Viele für die Whisky-Produktion in Schottland genutzten Gerstensorten gehen auf eine Mutante zurück, die durch Bestrahlung erzeugt wurde, etwa Milns Golden Promise. Oder die 1965 in der Tschechoslowakei mit Hilfe von Röntgenstrahlen geschaffene und später in ganz Europa angebaute Gerstensorte „Diamant“. Fast die gesamte Gerste in Europa trägt eines von zwei Genen, die vor Jahrzehnten durch Strahlen verändert wurden und dafür sorgen, dass die Ähren auf kürzeren und stabileren Stängeln wachsen. Zu den in Deutschland gezüchteten Gerstensorten zählen beispielsweise die Sorten Alexis, Allasch, Amazone, Arena, Araraty-7, Beate, Cheri, Defia, Defra, Delita, Dera, Derkado, Dorett, Frankengold, Gerlinde, Grit Helena, Ilka, Jutta, Korinna, Lada Larissa, Lenka, Maresi, Marina, Matura, Nebi, Nomad, Rumba, Salome, Sissy, Stella, Tamina, Toga und Trumpf. Sie sind entweder direkt durch die Mutation nach der Bestrahlung mit schnellen Neutronen, Gamma- oder Röntgenstrahlen entstanden oder mit bestrahlten Sorten gekreuzt worden.
Auch der Großteil des heute in der Mittelmeerregion angebauten Hartweizens als Grundlage für Pasta, sind mit Hilfe von Gamma-, Röntgenstrahlen oder schnellen Neutronen geschaffene Sorten wie etwa Castelporziano und Castelfusano. Hartweizen-Mutanten bedecken heute siebzig Prozent der Anbauflächen für diese Getreidesorte.
In den IAEA-Labors bei Wien wurde durch Bestrahlung mit Gammastrahlen die „Golden Haidegg“ genannte Apfelsorte aus dem traditionellen „Golden Delicious“ gewonnen, ebenso die neue Bananensorte „Novartia“ und Getreidesorten wie der peruanische „Centenario“, die noch in 5000 Metern Höhe wachsen, geschaffen.
Auf Weltraumflügen wird Saatgut dem Einfluss der kosmischen Strahlung ausgesetzt, um Mutationen zu induzieren. Derzeit stammt jede vierte durch Strahlen mutierte Sorte aus chinesischen Weltraumraketen. So berichten chinesische Forscher etwa von einer Sojabohne, die gegen das Herbizid Glyphosat resistent ist (vergleichbar den spontan auftretenden resistenten Pflanzen im Feld bzw. den transgen erzeugten und weltweit angebauten Sorten).
Chemische Mutationsauslösung
Zu den chemischen Mutagenen gehören unter anderem Basenanaloga und interkalierende Substanzen, die zu speziellen Fehlpaarungen bzw. Rasterverschiebungen führen. Ethylnitroisoharnstoff (ENU) und Ethylmethansulfonat (EMS) werden experimentell zur Mutagenese eingesetzt. Dabei kommt es in der Regel zu Punktmutationen mit einer Rate von 5×10-4 bis 5×10-2. Die Ethylgruppe von EMS reagiert mit Guanin in der DNA, und bildet die anomale Base O-6-Ethylguanin. Während der DNA-Replikation platzieren DNA- Polymerasen, häufig Thymin anstelle von Cytosin gegenüber von O-6-Ethylguanin. Nach einigen Replikationsrunden kann dadurch das ursprüngliche G-C-Basenpaar zu einem A-T-Paar werden (G-C → A-T Transition), wodurch sich die genetische Information der Zelle ändert.
Salpetrige Säure kann Cytosin in Uracil umwandeln. Uracil paart aber im Gegensatz zu Cytosin mit Adenin, weswegen sich das Basenpaar C-G nach zwei Replikationen zu T-A umwandelt (eine Punktmutation). Als weitere Mutagene werden einige Antibiotika, das Enzym Topoisomerase und Natriumazid (ein Bakterizid) am häufigsten zur Mutagenese in Pflanzen eingesetzt.
Die Populationen von Mutanten werden mit verschiedenen Methoden phänotypisch und genotypisch gescreent, um daraus interessante neue Kultursorten zu züchten. Diese Arbeitsschritte dauern oft viele Jahre.
Protoplastenfusionen
Die besondere Bedeutung der Protoplastenkultur liegt in der Möglichkeit, aus einzelnen Blättern viele Tausende Protoplasten und daraus entsprechend zahlreiche Pflanzen zu züchten. Protoplasten lassen sich sehr gut zur Selektion und Neukombination von Pflanzen einsetzen. Die Methode der somatischen Hybridisierung erlaubt es, gewünschte Merkmale verschiedener nicht kreuzbarer Elternpflanzen zu kombinieren. So kann z.B. bei der Zellfusion die Chromosomenzahl der Zellen verdoppelt werden, was den Ploidiegrad der Pflanzen erhöht, um einen Heterosiseffekt wie bei Hybridlinien zu erzeugen.
Unter bestimmten Laborbedingungen können Protoplasten miteinander fusionieren und damit ihre Genome, also ihre Gesamtausstattung an Erbmaterial, in einer Zelle vereinigt werden.
In seltenen Fällen können auch Protoplasten verschiedener Pflanzenarten fusioniert werden. Allerdings sind die Hybridpflanzen in der Regel nicht vermehrungsfähig. Die von Georg Melchers 1978 über Protoplastenfusionen erzeugte Tomoffel, ein Fusionsprodukt (Chimäre) aus Tomate und Kartoffel, war steril und hat nie einen wirtschaftlich interessanten Ertrag hervorgebracht, weil die Richtung von „Source to Sink“ (also die Hauptrichtung der Verlagerung der Speicherstoffe in einer Pflanze) eben nur in eine Richtung funktioniert. Allerdings kann man Tomoffeln auch herstellen, indem man eine Tomaten- auf eine Kartoffelstaude pfropft.
Polyploidie
Die meisten diploiden (2n) Arten enthalten zwei Chromosomensätze – jeweils einen von beiden Eltern. Als polyploid bezeichnet man Arten, die mehr als zwei Chromosomensätze enthalten, etwa triploide (3n) Wassermelonen, tetraploide Kartoffeln (4n) oder der hexaploide (6n) Weizen. Polyploidisierung führt zur Vergrößerung von Zellkernen, Zellen und ganzer Gewebe, steigert den Ertrag, erhöht die Gendiversität und die genetische Pufferwirkung und verstärkt den in Teil 1 beschriebenen Heterosiseffekt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Nutzpflanzen polyploid sind, etwa Brotweizen, Hartweizen, Banane, Kartoffel, Tabak, Erdbeere, Chrysantheme, Baumwolle, Triticale, aber auch Mais, Reis und Sojabohne.
Polyploide Arten können natürlich auftreten, aus Kreuzungen von Eltern mit unterschiedlichen Chromosomensätzen hervorgehen (siehe Protoplastenfusionen) , oder durch Chemikalien induziert werden, etwa durch Colchizin, das Gift der Herbstzeitlose, oder Oryzalin die den Spindelapparat bzw. die Mikrotubuli hemmen.
Diese Art der Mutationszüchtung wird eingesetzt, um die Fruchtgröße zu steigern oder die Fruchtbarkeit zu beeinflussen. So haben etwa triploide samenlose (3n) Wassermelonen drei Chromosomensätze, die aus der Kreuzung von einer diploiden (2n) und einer tetraploiden Elternsorte (4n) stammen (Abb. 1).
Allgemein gilt, dass triploide Apfel- und Birnensorten (2n = 51) wesentlich geringere Pollenmengen ausbilden als diploide (2n = 34). Daher müssen neben einer triploiden Sorte mindestens zwei diploide Sorten angebaut werden, da die triploide Sorte eine geringere Befruchtungsfähigkeit hat und als Befruchtersorte nicht geeignet ist.
Der dritte Teil der Serie, in dem transgene Pflanzen, ihre Entstehung und ihr Potenzial sowie die aktuellen Methoden für Genome Editing beschrieben werden, folgt in der nächsten Ausgabe des Journals für Ernährungsmedizin. |
Univ.-Prof. Dr. Margit Laimer, Univ.-Doz. Dr. Fatemeh Maghuly, Universität für Bodenkultur Wien, Department Biotechnologie, Abteilung für Pflanzenbiotechnologie, Muthgasse 18, 1190 Wien, margit.laimer@boku.ac.at
Literatur bei den Verfasserinnen