Wir stellen vor: Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung

August 2014

Anscheinend nehmen Unver­träg­lich­keiten und All­ergien gegen Nah­rungs­mittel zu. Die Abgrenzung und exakte Dia­gnose sind schwierig, aber äußerst wichtig, denn Nah­rungs­mit­tel­all­ergien bergen die Gefahr eines all­er­gi­schen Schocks. Betroffene sollten daher aus­schließlich auf den all­er­go­lo­gisch aus­ge­bil­deten Facharzt ver­trauen, um falsche Dia­gnosen und damit falsche Emp­feh­lungen zu ver­meiden. Die „Inter­es­sens­ge­mein­schaft Aller­gen­ver­meidung“ (IGAV) will Pati­enten wie Ärzte unterstützen.

Auf­grund der gestie­genen Sen­si­bi­lität für bewusste Ernährung stellen immer mehr Men­schen fest, dass gewisse Lebens­mittel schlecht ver­tragen werden und fürchten, an einer All­ergie zu leiden. Doch nicht alles was Sym­ptome ver­ur­sacht, ist auch eine All­ergie. Unter­su­chungen, wie aktuell eine Analyse von über 50 euro­päi­schen Studien1, zeigen: „17 Prozent der Men­schen berich­teten über nah­rungs­mit­tel­be­dingte Beschwerden. Tat­sächlich konnte die All­ergie in nur ein bis drei Prozent der Fälle bestätigt werden“, zitiert Univ.-Prof. Dr. Anita Rieder, Lei­terin des Instituts für Sozi­al­me­dizin und des Zen­trums für Public Health der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­sität Wien.  In einer aktu­ellen Unter­su­chung an der Ber­liner Charité haben 35 Prozent der Befragten ange­geben, unter all­er­gi­schen Sym­ptomen zu leiden – jedoch nur bei drei Prozent konnte tat­sächlich eine All­ergie nach­ge­wiesen werden. Obwohl man immer wieder von einer Zunahme an Nahrungsmittel-​Allergien hört und liest – die Zahl an Neu­erkran­kungen bleiben euro­paweit offenbar stabil. Aller­dings scheint die Häu­figkeit ins­gesamt zuzu­nehmen. Eine wahr­schein­liche Erklärung dafür ist, dass sich in den letzten Jahren die dia­gnos­ti­schen Mög­lich­keiten deutlich wei­ter­ent­wi­ckelt haben, wodurch immer mehr All­ergien ent­deckt werden können.  Bei Kindern bis sechs Jahren sind All­ergien gegen Hüh­nerei und Kuh­milch am häu­figsten – bis zum Schul­alter werden diese Nah­rungs­mittel meist wieder ver­tragen. Schul­kinder reagieren vor­wiegend auf Nüsse, Jugend­liche und Erwachsene auf Samen, Fisch und Mee­res­früchte. Diese All­ergien bleiben meist ein Leben lang bestehen.

Allergie & Intoleranz: falsche Zwillinge

All­ergien können leicht mit den deutlich häu­fi­geren Into­le­ranzen gegen z.B. Histamin, Frucht- oder Milch­zucker ver­wechselt werden. „Eine Into­leranz wird meist durch einen Enzym­mangel ver­ur­sacht, wodurch Nahrungsmittel-​Bestandteile nicht abgebaut werden können. Sie sind zwar unan­genehm, werden aber in der Regel nicht zu einer ernsten Bedrohung wie eine All­ergie“, beschreibt die Wiener Haut­ärztin Dr. Nadine Mothes-​Luksch. Bei einer Nahrungsmittel-​Allergie hin­gegen reichen auf­grund der Über­re­aktion des Immun­systems bereits kleinste Mengen, um Reak­tionen wie starker Juckreiz, Rötungen und Nes­sel­aus­schlag am ganzen Körper, Übelkeit und Erbrechen, Bauch­schmerzen und Durchfall aus­zu­lösen. Im Extremfall kommt es zum all­er­gi­schen Schock mit einem Blut­druck­abfall und Kreis­lauf­zu­sam­men­bruch innerhalb weniger Minuten. Ohne Not­fall­be­handlung kann der All­er­gie­schock bekanntlich zum Tod führen. Mothes-​Luksch emp­fiehlt daher ein­dringlich: „Betroffene sollten immer Notfall-​Medikamente inklusive Adre­nalin, das als hand­liche Auto­in­jek­toren zur ein­fachen Selbst­in­jektion zur Ver­fügung steht, bei sich tragen!“ Eine andere Form der all­er­gi­schen Reaktion ist die pol­len­as­so­zi­ierte Kreuz­all­ergie. Sie tritt meist als Folge einer Pol­len­all­ergie auf und ist nur selten Aus­löser einer derart extremen Über­re­aktion des Körpers.

Diagnose: Spezialwissen und detektivischer Spürsinn

Die einzige the­ra­peu­tische Mög­lichkeit bei einer All­ergie ist, das unver­träg­liche Nah­rungs­mittel vom Spei­seplan zu streichen. Dazu muss man genau wissen, was das Immun­system derart ins Schleudern bringt. „Die Dia­gnose einer Nahrungsmittel-​Allergie ist meist kom­pli­ziert und erfordert spe­zi­fi­sches Wissen. Betroffene sollten daher aus­schließlich auf den  all­er­go­lo­gisch geschulten Facharzt ver­trauen“, rät Mothes-Luksch.

Beim soge­nannten Prick-​Test werden Tropfen von ver­schie­denen Aller­gen­ex­trakten auf den Unterarm auf­ge­bracht, die anschließend mit einer kleinen Lan­zette ober­flächlich in die Haut geritzt werden. Nach 15 bis 20 Minuten ver­raten Quaddeln eine über­schie­ßende Immun­abwehr. Für Nah­rungs­mittel sind relativ wenige All­ergene im Stan­dard­test­panel ent­halten und zeigen oft falsch negative Ergeb­nisse, weshalb auch häufig ein Prick-​to-​Prick-​Test zum Einsatz kommt. Dabei wird die Prick­lan­zette direkt in das Lebens­mittel ein­ge­stochen und anschließend in die Haut geritzt.

Nächster Schritt ist die Blut­un­ter­su­chung. Dazu wird eine Blut­probe ent­nommen und mit Hilfe unter­schied­licher immu­no­lo­gi­schen Methoden die Kon­zen­tration von IgE-​Antikörpern gemessen. Blut­tests haben den Vorteil, dass anti­all­er­gisch wir­kende Mittel das Ergebnis nicht beein­flussen. Besonders genau ist die soge­nannte Komponenten-​basierte Dia­gnostik. Dabei werden ein­zelne Eiweiß-​Bestandteile des Allergie-​Auslösers iden­ti­fi­ziert. Neben der von der Kran­ken­kasse bezahlten Ein­zel­testung (meist beschränkt auf 5 Ein­zel­tests pro Patient pro Quartal), gibt es auch die Mög­lichkeit, mit ein paar Tropfen Blut­serum eine Allergenchip-​Testung gegen 112 All­er­gen­kom­po­nenten aus 51 Aller­gen­quellen durchzuführen.

Poly­sen­si­bi­li­sierte Kinder und Erwachsene mit Ver­dacht auf eine Sen­si­bi­li­sierung gegen kreuz­re­agie­rende All­ergene sind am besten für die Allergenchip-​Testung geeignet, ins­be­sondere wenn sowohl Nahrungsmittel- als auch Inha­la­ti­ons­all­ergene eine Rolle spielen könnten.2 Dieser Test ist aller­dings nicht überall möglich, denn er erfordert spe­zi­elles Wissen für die Inter­pre­tation der Ergeb­nisse. Die Kosten für diese moderne Testung müssen Pati­enten selbst tragen.

Bevor die Dia­gnose „All­ergie“ gestellt wird, werden die Test­ergeb­nisse bei der Nach­ana­mnese über­prüft. Passen Sym­ptome und Test­ergebnis zusammen, kann eine Dia­gnose gestellt werden. Bei einer Typ-​I-​Allergie gegen ein Nah­rungs­mittel werden eine strikte Meidung, das Aus­stellen eines All­er­gie­passes und die Ver­schreibung eines Not­fallsets emp­fohlen. Bestehen am Ergebnis noch Zweifel, schafft ein Pro­vo­ka­ti­onstest letzte Gewissheit. Dafür nimmt der Patient den ver­meint­lichen All­er­gie­aus­löser unter kon­trol­lierten Bedin­gungen im spe­zia­li­sierten Zentrum zu sich.

Bei Hinweis auf eine Unver­träg­lichkeit  kann eine Eli­mi­na­ti­onsdiät mit kon­trol­lierter Wie­der­ein­führung bestimmter Nah­rungs­mittel sowie ein Ernäh­rungsplan mit Hilfe einer  Diä­to­login Klärung schaffen und Beschwerden verbessern.

Die schul­me­di­zi­ni­schen Dia­gno­se­me­thoden haben zwar ihre Grenzen, aber Methoden wie z.B. Bio­re­sonanz oder soge­nannte IgG-​Tests sind keine evi­denz­ba­sierte Alter­native. Seriöse Portale im Internet können hilf­reich bei der Suche nach Infor­mation sein. Die Infor­ma­ti­ons­quellen sollten aber kri­tisch hin­ter­fragt werden, denn kein Online-​Selbsttest kann eine ärzt­liche Dia­gnose ersetzen.

Verfeinerte Lebensmittelkennzeichnung

Auch der Gesetz­geber reagiert auf das hohe Gefah­ren­po­tenzial. Mit neuen Kenn­zeich­nungs­vor­schriften von Lebens­mitteln will er All­er­giker noch besser schützen. Schon vor ein paar Jahren wurde die Kenn­zeich­nungs­pflicht bestimmter Zutaten auf ver­packten Lebens­mitteln ein­ge­führt. „Die 14 wich­tigsten Pro­dukt­gruppen, die für den Großteil aller All­ergien ver­ant­wortlich sind, müssen auf ver­packten Lebens­mitteln ange­geben sein“, infor­miert Univ.-Doz. Dr. Ingrid Kiefer von der AGES, der Öster­rei­chi­schen Agentur für Gesundheit und Ernäh­rungs­si­cherheit GmbH. Für den Großteil aller All­ergien sind ver­ant­wortlich: glu­ten­hal­tiges Getreide, Eier, Krebs­tiere, Fische, Erd­nüsse, Soja, Milch, Nüsse, Sel­lerie, Senf, Sesam, Lupine, Weich­tiere sowie die Zusatz­stoffe Schwe­fel­dioxid und Sulfite.

Die neue EU-​Vorschrift will nun die Zusam­men­setzung eines Lebens­mittels für Kon­su­menten noch trans­pa­renter machen. Kiefer: „Sie besagt unter anderem, dass Stoffe, die All­ergien aus­lösen können, besonders her­vor­ge­hoben werden müssen. Das gilt ab Dezember des heu­rigen Jahres auch für lose Waren, da bis dato ein Einkauf bei­spiels­weise beim Bäcker für All­er­giker nach wie vor schwierig war.“ In Begut­achtung ist derzeit noch, wie Restau­rants ihre Gäste über all­er­gie­aus­lö­sende Stoffe infor­mieren müssen.

Neue europäische Leitlinie

17 Mil­lionen Nahrungsmittel-​Allergiker in Europa sind auch für die euro­päische Allergie-​Fachgesellschaft EAACI (European Academy of Allergy and Cli­nical Immu­nology) Anlass zum Handeln. Der bedeu­tende All­er­gie­verband hat sich in den letzten Jahren ver­stärkt dieses Themas ange­nommen. „Behan­delnde Ärzte werden über den aktu­ellsten Stand des all­er­go­lo­gi­schen Wissens infor­miert und Auf­klä­rungs­kam­pagnen sorgen dafür, dass Betroffene sowie die Gesund­heits­po­litik diese gefähr­liche Form der All­ergie ent­spre­chend wahr und ernst nehmen“, infor­miert Assoc.Prof. Dr. Karin Hoffmann-​Sommergruber vom Institut für Patho­phy­sio­logie und All­er­gie­for­schung der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­sität Wien und im board der Interest Group „food allergy“ der EAACI. Brandneu und top­ak­tuell sind Gui­de­lines, die für Ärzte und alle sons­tigen Berufs­gruppen, die zu diesem Thema arbeiten und Pati­enten betreuen, eine äußerst wert­volle Hil­fe­stellung und Richt­schnur in der täg­lichen Praxis dar­stellen. Im Rahmen des großen EAACI-​Kongresses im Juni wurde diese erste Leit­linie für die Dia­gnose, das Management und die Vor­beugung von Nahrungsmittel-​Allergien sowie Ana­phy­laxien prä­sen­tiert. Die Emp­feh­lungen stellen einen Konsens der füh­renden Experten in Europa dar und basieren auf einer Analyse aus 109 wis­sen­schaft­lichen Artikeln sowie 75 Studien – beinhalten also das der­zeitige Wissen und Ver­ständnis zu dieser kom­plexen Thematik.

Empfehlungen zur Prävention

Die Basis für eine All­er­gie­be­reit­schaft wird schon sehr früh geschaffen – sozu­sagen in die Wiege gelegt. Denn neben gene­ti­schen Fak­toren und Umwelt­ein­flüssen hat die Ernährung einer wer­denden bzw. stil­lenden Mutter bzw. des Babys Ein­fluss darauf, ob das Kind ein erhöhtes All­er­gie­risiko trägt. Die neuen Emp­feh­lungen der EAACI3 fassen daher auch die effek­tivsten Mög­lich­keiten zusammen und bringen so Klarheit, welche Rat­schläge für die Vor­beugung von Nahrungsmittel-​Allergien brauchbar sind, welche überholt und welche nur (zu) gut gemeint.

Aktuelle Emp­feh­lungen für Schwangere

  • Das strikte Ver­meiden poten­zi­eller All­er­gie­aus­löser ist nicht nötig, um das unge­borene Kind zu schützen.
  • Fischöl hat mög­li­cher­weise das Potenzial, eine spätere Sen­si­bi­li­sierung des Kindes zu verhindern.
  • Pro­biotika: Hier ist die Datenlage zu gering, sodass eine Emp­fehlung für einen pro­tek­tiven Effekt nicht aus­ge­sprochen werden kann.

Aktuelle Emp­feh­lungen für Stillende 

  • Eine spe­zielle Diät der Mutter hat keinen Ein­fluss auf das Allergie-​Risiko des Kindes.
  • Für eine Emp­fehlung von Pro­biotika ist die Datenlage eben­falls zu gering.
  • Fischöl hat zu diesem Zeit­punkt ver­mutlich keinen schüt­zenden Effekt mehr.

Aktuelle Emp­feh­lungen für Babys

  • Babys mit hohem Risiko sollten in den ersten vier Lebens­mo­naten keine Kuh­milch bekommen – statt dessen aus­schließ­liches Stillen oder Säug­lings­milch­nahrung (keine Esels- oder Stutenmilch!).
  • Feste Nahrung kann ab dem 4. Lebens­monat schritt­weise gegeben werden. Ein wei­teres Hin­aus­zögern von fester Nahrung hat keinen schüt­zenden Effekt.
  • Lebens­mittel mit erhöhtem All­er­gen­risiko (z.B. Fisch, Kuh­milch, Gluten) im ersten Jahr gänzlich zu ver­meiden, gilt als überholt. Eben­falls nach vier Monaten schritt­weise zufüttern.
  • Nah­rungs­er­gän­zungs­mittel haben keinen schüt­zenden Effekt.

IGAV; Red.

Lite­ratur:

1 Nwaru BI, Hick­stein L, Panesar SS, et al.: The epi­de­miology of food allergy in Europe: a sys­te­matic review and meta-​analysis; Allergy 2014; 69: 62–75

2 Canonica GW, Anso­tegui IJ, Pawankar R, et al.: A WAO-​ARIA-​GA2LEN con­sensus document on molecular-​based allergy dia­gno­stics; World Allergy Organ J 2013; 6: 17

3 de Silva D, Geromi M, Halken S, et al.: Primary pre­vention of food allergy in children and adults: sys­te­matic review; Allergy 2014; 69: 581–589

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