Schulessen in der Praxis

Dezember 2014

Mag. Claudia Ertl-Huemer ist Ernährungswissenschafterin und Geschäftsleiterin für den Bereich Education & Care Catering bei der Firma Gourmet, einem der großen Anbieter in Österreich für Gemeinschaftsverpflegung. Mit dem Journal für Ernährungsmedizin hat Mag. Ertl-Huemer über Erfahrungen und Ziele in Zusammenhang mit der Verpflegung der Kinder in Schule und Kindergarten gesprochen.

JEM: Die Firma Gourmet beliefert 1.800 Schulen und Kindergärten mit Verpflegung. Gelingt bei diesen Mengen eine „gesunde“ Ernährung?

Ertl-Huemer: Ja, auf jeden Fall. Unsere Mittagsmenüs werden von ErnährungswissenschafterInnen, DiätologInnen und erfahrenen Köchen speziell für Kinder entwickelt und entsprechen den Empfehlungen der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE). Wir kochen mit den besten regionalen Zutaten, viele davon in BIO-Qualität. Wir sind uns der großen Verantwortung bewusst, die wir haben. Den MitarbeiterInnen von Gourmet ist es auch ein persönliches Anliegen, die Kinder mit gutem und gesundem Essen zu versorgen. Viele von uns haben ja selbst Kinder, die täglich im Kindergarten oder in der Schule von Gourmet verköstigt werden. In Wien sind zudem die Vorgaben und Auflagen in diesem Bereich besonders streng. Das Niveau für Kinderverpflegung ist bei uns im Europavergleich sehr hoch. Das ist vielen nicht bewusst.

JEM: Die Ursache für Fehlernährung wird häufig bei den in großem Maßstab produzierten Lebensmitteln bzw. bei „der Industrie“ gesehen.

Ertl-Huemer: Bei Gourmet arbeiten allein in meinem Bereich 15 ErnährungswissenschafterInnen und DiätologInnen. Sie garantieren, dass unsere Speisepläne und Gerichte die Kinder fit für den Alltag machen. Man darf also nicht alle Anbieter über einen Kamm scheren. Die Vorurteile entstehen vielleicht auch durch die vorhandene Distanz zwischen Anbietern und Verbrauchern. Aber wer sagt, dass ein kleines Unternehmen bessere Qualität liefert, nur weil man den Hersteller persönlich kennt? Wir versuchen die Distanz durch größte Transparenz abzubauen, z.B. indem wir Tage der offenen Tür in unserer Küche veranstalten. Bisher sind die Besucher noch immer beruhigt und zufrieden wieder heim gegangen.

JEM: Wie hat sich die Schulverpflegung in den vergangenen Jahren entwickelt?

Ertl-Huemer: Vor zehn Jahren etwa war es noch viel einfacher. Obwohl wir viel besser geworden sind, finden wir uns immer öfter im Zentrum der Kritik – zum Teil wohl auch, weil Essen zu einem beherrschenden Thema geworden ist und es viel Desinformation und Verunsicherung darüber gibt. Man hat auch bei Elternabenden den Eindruck, dass die Diskussionen um die Schulverpflegung von weit mehr Dingen getrieben werden als von der Ernährung allein. Denn Essen steht auch für Fürsorge. Sein Kind jemandem anderen anzuvertrauen, verunsichert viele Eltern und erzeugt bei vielen prinzipiell ein schlechtes Gewissen. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen wäre, dass es in Österreich noch nicht ganz selbstverständlich ist, dass Kinder in der Schule essen wie es zum Beispiel in Frankreich der Fall ist.

JEM: Wo stehen wir mit der Schulverpflegung heute?

Ertl-Huemer: Ich bin überzeugt, dass die meisten Kinder mit unserem Schulessen besser versorgt sind, als wenn sie sich unter Tags alleine zuhause versorgen würden. Unsere Speisen bieten dem jeweiligen Alter entsprechend die richtigen Nährstoffe. Wir verwenden keine Geschmacksverstärker, Konservierungs- oder Farbstoffe. Unsere Schulverpflegung hat einen Bioanteil von mindestens 40 Prozent. Wir haben ausgerechnet, dass ein Kindergartenkind mit unserem Essen etwa achtmal so viele Biolebensmittel verzehrt als in einem durchschnittlichen Haushalt in Österreich. Wir kaufen regional ein, alle Äpfel zum Beispiel stammen von steirischen Bioobstbauern, Erdäpfel kommen aus dem Wald- und Weinviertel, unser frisches Gemüse aus dem Marchfeld.

JEM: Sie haben die Zertifizierung der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung gemacht. Was bedeutet das konkret?

Ertl-Huemer: Die Regeln besagen, dass das Mittagessen im Schnitt ein Drittel der empfohlenen Nährstoffe unter Berücksichtigung des vorgeschriebenen Energiegehalts für die jeweilige Altersgruppe enthalten muss. Wir haben also die zwei Hauptmenülinien auf Nährstoffebene entsprechend optimiert. Das ist wirklich sehr schwierig, wir haben es aber geschafft. Im Zuge dessen haben wir über 150 Rezepte überarbeitet und optimiert. Wir haben zum Beispiel Fett so weit wie möglich reduziert, ohne den Geschmack zu beeinträchtigen.

JEM: Was sagen die Kinder zum Essen in der Schule?

Ertl-Huemer: Den meisten Kindern schmeckt es, wir haben überwiegend positive Rückmeldungen. Aber ihre Bedürfnisse und die Erwartungen der Eltern sind teilweise völlig verschieden. Ein Beispiel: Es hat an einer Schule Beschwerden der Eltern über die süße Hauptspeise gegeben. Die Kinder dieser Schule wiederum lieben diese in Österreich traditionellen süßen Hauptspeisen.

JEM: Um welche Süßspeisen ist es da gegangen?

Ertl-Huemer: Das waren Apfel- oder Topfenschmarrn, Milchreis, Reisauflauf oder Topfennockerl, zu denen es jeweils Kompott, Fruchtmus, Erdbeer-Pfirsich-Mark usw. gegeben hat.

JEM: Hat sich dann eine Erklärung für die Beschwerden der Eltern gefunden?

Ertl-Huemer: Es hat sich herausgestellt, dass viele Mütter bzw. Eltern offenbar möchten, dass die Kinder in der Schule ausschließlich „gesund“ essen – also nur jene Lebensmittel, für die Kinder tendenziell schwerer zu begeistern sind. Die Kinder mit „Süßem“ zu versorgen und ein bisschen zu „verwöhnen“, das möchten die Eltern lieber selbst machen. Das ist ein schwieriger Spagat, den wir täglich zwischen den Ansprüchen der Eltern und den Bedürfnissen der Kinder schaffen müssen. Unsere Aufgabe ist es, beide Seiten möglichst gut zufrieden zu stellen.

JEM: Könnte das eine Generationenfrage sein?

Ertl-Huemer: Häufig sind es gerade junge Eltern, die sich in einem extremen Ausmaß mit allen Details der Schulverpflegung auseinandersetzen. Wenn Gerichte von den Eltern – im Gegensatz zu den Kindern – schlecht bewertet werden, zeigt sich nicht selten, dass sie diese gar nicht kennen. Deshalb bieten wir regelmäßig Verkostungen im Rahmen von Elternabenden an, weil wir Eltern gerne die Möglichkeit geben möchten, sich selbst von der Qualität unserer Speisen zu überzeugen.

JEM: Kinder sind also kulinarisch interessierter und vielseitiger, als man meint?

Ertl-Huemer: Es ist schon so, dass viele Kinder nur sehr wenige Gerichte kennen, weil zu Hause oft nur gekocht wird, was sie verlangen oder gerne essen. Das klassische, abwechslungsreiche Familienessen für alle wird nur mehr selten gelebt. Unser Auftrag in der Schulverpflegung ist es aber, abwechslungsreich zu kochen, verschiedene Gemüsesorten anzubieten zum Beispiel. Abhilfe schafft dabei unser innovatives Mittagsbuffet mit zwei Menüs zur Auswahl und freier Beilagenwahl, das wir anbieten.

JEM: Wie kommt das Mittagsbuffet in der Schule an?

Ertl-Huemer: Die Kinder mögen es. Sie können sie können eigenverantwortlich wählen, nach ihrem Bedarf essen und manchmal probieren sie auch ungewöhnliche Kombinationen aus. Es schmeckt den Kindern besser, wenn sie die Wahl haben. So essen sie auch Speisen, die sie sonst vielleicht nicht so gerne haben – klassischerweise Gemüse. Biete ich nur Karotten an, werden die eher abgelehnt, weil „ich esse kein Gemüse“. Biete ich Karotten und Erbsen an, schmecken die Karotten besser. Dazu kommen dann noch der positive Gruppeneffekt: Kinder sind neugierig und kosten dann, was die Freunde essen.

JEM: Und die Eltern?

Ertl-Huemer: Es scheint, dass die Eltern das Bild vieler Erwachsener vor sich haben, die an Buffets ihre Teller ausufernd beladen. Den Kindern wird die Kontrolle über ihr Essverhalten gar nicht zugetraut. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass die Kinder dadurch sehr gut lernen, auf ihr Sättigungsgefühl zu hören. Sie nehmen nur soviel auf Ihre Teller, wie sie wirklich essen wollen und lernen dadurch auch, sorgsam mit Lebensmitteln umzugehen.

JEM: Man kommt beim Mittagsbuffet in der Schule also mit sehr wenigen Regeln aus.

Ertl-Huemer: Bei einigen Speisen schreiben wir die Portionsempfehlung auf eine Tafel, zum Beispiel wenn es Palatschinken gibt. Es ist aber auch die Kontrolle durch die Gruppe nicht zu unterschätzen. Die Kinder achten schon darauf, dass jeder etwas bekommt.

JEM: Was wäre Ihnen in Sachen Schulverpflegung noch ein besonders Anliegen?

Ertl-Huemer: Unter anderem müssen wir lernen, auch unter den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wieder ein entspannteres Verhältnis zum Essen zu finden. Ich wünsche mir einen genussvolleren Zugang zur Schulverpflegung. Dazu gehört auch, dass das Thema Ernährung in der Schule mehr Platz bekommt, die Speisenräume ansprechend gestaltet sind und die Kinder mehr Zeit zum Mittagessen haben, als es häufig der Fall ist.

JEM: Gibt es im Kindergarten spezielle Erfahrungen?

Ertl-Huemer: Im Prinzip sind die Erfahrungen ähnlich. Interessant dabei ist zum Beispiel, dass laut KindergartenpädagogInnen meist die allererste Frage der Eltern ist, wenn sie die Kinder abholen, was es heute zu Essen gegeben hat. Auch daran erkennt man, welchen Stellenwert die Ernährung der Kinder für die Eltern hat.

JEM: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Bio-Box

  • Geboren und aufgewachsen in Schärding/OÖ
  • Verheiratet, zwei Kinder im Alter von 11 und 16 Jahren
  • Studium der Ernährungswissenschaften in Wien
  • Berufliche Laufbahn: seit 16 Jahren in verschiedenen Positionen bei GOURMET (Marketing- und Produktmanagement, Vertriebsleitung)
  • Aktuell: Geschäftsleiterin für Education & Care Catering bei GOURMET

 

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