Probiotika in der Gastroenterologie: Gesicherte und nicht gesicherte Evidenz

August 2014

Dem Darm-Mikrobiom kommt eine immer größere Rolle bei der Entstehung und Prävention zahlreicher funktioneller und infektiöser Erkrankungen zu. Anti-, Pro- und Präbiotika können sich gegenseitig beeinflussen und stellen, gemeinsam mit der Nahrungsaufnahme, einen bedeutenden Einflussfaktor hinsichtlich der Zusammensetzung des Mikrobioms und der damit verbundenen Darmgesundheit dar.

Gesicherte Indikation

Wissenschaftliche Evidenz (Evidenzklasse A und B) gibt es für den Einsatz von Probiotika in folgenden gastroenterologischen Bereichen:

Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhoe

Antibiotika werden bei sehr vielen Erkrankungen, teilweise auch über lange Zeiträume, eingesetzt. Dadurch kann die Balance der Bakterienflora im Darm gestört und Diarrhoe verursacht werden. Vor allem Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhoe (CDAD) tritt sehr häufig auf und kann u.a. zu asymptomatischen Infektionen, Durchfällen, Colitis oder bis zum Tode führen. In diesem Fall können Probiotika helfen, die verlorene Balance des Darms wiederherzustellen, und das Risiko einer Kolonisation mit pathogenen Bakterien verringern. Probiotika kommen sowohl bei der Therapie als auch Prävention von CDAD immer häufiger zum Einsatz. Studien ergaben, dass das Risiko für CDAD sowie mögliche Nebenwirkungen um bis zu 64% gesenkt werden können. (Goldenberg et al, 2013).

Reizdarmsyndrom

Bei 9 bis 20% der Patienten mit funktionellen gastrointestinalen Störungen (FGIS) liegt ein Reizdarmsymdrom (RDS) vor. Alle FGIS haben eine Gemeinsamkeit: es fehlen organpathologische Befunde. Weltweit gesehen steigt die Prävalenz mit sinkendem soziodemografischem Status. Die Lebensqualität ist stark beeinträchtigt, die Selbstmordrate höher. Bezüglich des Einsatzes von Probiotika beim RDS gibt es eine Reihe von randomisierten Kontrollstudien, die durchaus günstige Wirkungen beweisen. Am effektivsten sind Bifidobakterien, vor allem hinsichtlich der Schmerzlinderung (Tab. 2). Laut der ROME-Forschungsgruppe soll die Wirksamkeit von Probiotika bei RDS jeweils einen Monat lang getestet und dann bewertet werden.

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Bei der Entstehung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) spielt eine Kombination aus Genen, Umweltfaktoren, Immunsystem und Ernährung eine Rolle. Auch für viele CED scheinen Probiotika eine effektive Therapiemöglichkeit zu sein. Es gibt einige Studien, die sich mit der Effektivität von Pro- und Präbiotika bei CED beschäftigen (Tabelle 3). Das perfekte Probiotikum bei CED sollte die Biodiversität der Mikrobiota wiederherstellen, pathogene Mikroorganismen bekämpfen, die Schleimproduktion verbessern, die epitheliale Ausbreitung stimulieren, die intestinale Permeabilität modulieren sowie anti-inflammatorische und anti-fibrotische Effekte vermitteln.

Nicht gesicherte Indikation

Keine randomisierten Studien, lediglich Ansätze aus experimentellen Tierstudien bzw. „Erfahrungsberichte“ liegen zu folgenden Indikationen vor:

Übergewicht und Adipositas

Es gibt erste Hinweise, dass die Darmmikrobiota mit Hilfe von Probiotika derart verändert werden können, dass es damit verbunden zu einer günstigen Veränderung der Körperzusammensetzung kommen kann. Auch der Energiemetabolismus bei übergewichtigen oder adipösen Personen kann dadurch günstig beeinflusst werden. Dieser Effekt kann auf eine Verbesserung Adipositas-assoziierter Parameter zurückgeführt werden. Vor allem der HDL-Level zeigt bei Gabe von Probiotika eine positive Veränderung, sowie auch die Endotoxin-Produktion. Dies kann eine Dysbiose der Darmmikrobiota verhindern und damit das Risiko für Adipositas vermindern. Weitere Studien sind in diesem Zusammenhang noch nötig. (Lee et al, 2014).

Virale Infektionen des Respirationstrakts

Prä- und Probiotika verändern die Mikrobiota und spielen auch mit der angeborenen und erworbenen Immunität zusammen. Damit können sie bei der Prävention von Rhinovirus-Infektionen eine Rolle spielen. Es gibt erste Hinweise dafür, dass eine Modifikation der Mikrobiota mit Hilfe von Probiotika das Immunsystem von Säuglingen aus Frühgeburten im ersten Lebensjahr deutlich stärken und somit das Risiko für virale Infektionen des Respirationstraktes vermindern kann. (Luoto et al, 2013).

Vaginale Infektionen

Eines der Hauptsymptome einer vaginalen Infektion bei Schwangeren ist die Reduktion bzw. das Fehlen wichtiger Laktobazillen in der Vaginalflora und eine gleichzeitige Zunahme anaerober Mikroorganismen. Eine Antibiotika-Therapie kann dieses Problem verstärken. Durch die Gabe von Laktobazillen wird der Wiederaufbau einer gesunden Vaginalflora unterstützt und ein Wiederauftreten der Infektion verhindert. (Kiss et al, 2007). Auch bei Frauen in der Menopause kommt es zu Veränderungen der Vaginalflora. Östrogen regt die Produktion von Laktobazillen an. Durch die abnehmende Östrogenproduktion in der Menopause werden weniger Laktobazillen produziert, und es besiedeln vermehrt Enterobakterien die Vaginalflora. Durch Gabe von Probiotikapräparaten mit Laktobazillen kann die Aufrechterhaltung einer gesunden Vaginalflora unterstützt und die urogenitale Gesundheit verbessert werden. (Petricevic L., 2008).

Helicobacter-pylori-Infektionen

Helicobacter pylori ist ein Stäbchenbakterium, das vor allem Magenerkrankungen verursachen kann. Es gibt erste Hinweise dafür, dass Probiotika die damit assoziierten Symptome mildern kann, bisher aber keine Hinweise für die Beseitigung der eigentlichen Erkrankung. Die Datenlage ist noch sehr uneinheitlich. (O’Connor et al, 2013).

Probiotika bei Säuglingen

Der Einsatz von Probiotika bei Säuglingen wird immer mehr diskutiert, allerdings fehlt derzeit noch die wissenschaftliche Evidenz für die Effektivität und Sicherheit bei diversen Erkrankungen.

„Dreimonatskoliken“

Koliken betreffen ca. 25% der Säuglinge während der ersten drei Lebensmonate. Bei betroffenen Säuglingen liegt eine verminderte Mikrobiota-Diversität vor. Der Einsatz von L. reuteri als Therapiemöglichkeit ist im Gespräch, allerdings gibt es keine wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit.

Diarrhoe

Evidenz gibt es für den Einsatz von L. reuteri bei Diarrhoe von Säuglingen. So können die Episoden verkürzt und vermindert werden, ohne Effekte auf respiratorische Infekte. Es zeigt sich daneben auch eine fiebersenkende Wirkung.

Frühgeborene

Frühgeborene haben einen „unreifen Darm“, weshalb viele wichtige immunologische Funktionen nicht vollständig ausgereift sind. Darüber hinaus erfahren sie im Spital eine andere Darmbesiedelung als zu Hause, und damit auch eine andere als ihre Mutter. Die über die Muttermilch weitergegebenen Immunglobuline sind an das Keimspektrum der Mutter angepasst. Daher sind Frühgeborene besonders anfällig für Darminfektionen. Evidenz für den Einsatz von Probiotika bei Frühgeborenen gibt es für L. reuteri und L. rhamnosus bei der Prävention gastrointestinaler Candida-Infektionen. Zusätzlich kann vor Sepsis geschützt werden.

Conclusio

Für eine Reihe von Erkrankungen gibt es für den Einsatz von Probiotika bereits gesicherte Indikationen. Vor allem beim Reizdarmsyndrom, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und Clostridium-difficile-assoziierter Diarrhoe sind Probiotika hinsichtlich der Schmerz- und Symptomlinderung effektiv. Probiotika stellen einen völlig neuen ernährungsmedizinischen Ansatz in der Therapie zahlreicher Erkrankungen dar. Die klinische Forschung auf diesem Gebiet ist schwierig und besonders aufwändig. Mögliche Indikationen in der Zukunft sind hoffnungsvoll und faszinierend, mögliche Effekte jedoch noch nicht ausreichend erforscht.

ÖAIE; K. Gattering, K. Widhalm

Literatur:

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