Lebensmittel sind heutzutage so sicher wie nie zuvor: 2012 mussten von knapp 31.000 Proben, die im Zuge der amtlichen Kontrolle untersucht wurden, lediglich 0,4% als gesundheitsschädlich (z. B. durch krankheitsbedingte Keime, toxische Inhaltsstoffe oder Kontaminanten sowie Sicherheitsmängel bei Spielzeug) beurteilt werden. Die häufigsten Beanstandungsgründe im Jahr 2012 waren, mit 8,7%, formale Kennzeichnungsmängel und Angaben, die KonsumentInnen in die Irre führen können, z. B. falsch deklarierte Zutaten, irreführende Angaben zu Ursprung oder Herkunft oder zu lange bemessene Mindesthaltbarkeit. 3,4% der im Jahr 2012 untersuchten Produkte wurden als für den bestimmungsgemäßen Gebrauch bzw. für den menschlichen Verzehr ungeeignet bewertet. Darunter versteht man Produkte, die infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ungeeignet sind. Für diese hohe Lebensmittelsicherheit sorgen hohe Qualitätsstandards und ein dicht geknüpftes Netz von Kontrollen, das bei den Erzeugern beginnt und bei EU-weiten Überwachungsprogrammen endet (Österreichischer Lebensmittelsicherheitsbericht 2012).
Trotzdem gibt es kaum ein Jahr ohne veritablen „Lebensmittelskandal“, wie 2008 Dioxin in Schweinefleisch oder Gammelfleisch, 2009 „Schummelschinken“, „Analogkäse“, „melaminverseuchte Babymilch“, 2010 „Listerienquargel“, 2011 „EHEC“, 2013 der „Pferdefleischskandal“ und die Dauerthemen Pestizide und Kontaminanten in Lebensmitteln. Blieben noch vor wenigen Jahrzehnten Informationen über Lebensmittelprobleme im kleinen Kreis der Betroffenen, verbreiten sich heutzutage Informationen zu riskanten Lebensmitteln schnell auf der ganzen Welt. Wobei Wahrnehmung und Umgang mit einer Krise und/oder einem Risiko unterschiedlich und individuell wie die Menschen selbst sind.
Gemäß VO (EG) 178/2002 handelt es sich bei einem Risiko um eine Funktion der Wahrscheinlichkeit einer die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkung und der Schwere dieser Wirkung als Folge der Realisierung einer Gefahr. Die wissenschaftliche Bewertung des Risikos unter Berücksichtigung der Gefahrenidentifizierung, Gefahrenbeschreibung, Expositionsabschätzung und Risikobeschreibung ist Teil der Risikoanalyse, die auch noch das Risikomanagement und die Risikokommunikation beinhaltet.
Öffentliche Wahrnehmung: Undifferenziert
In der öffentlichen Wahrnehmung wird nicht unterschieden, ob es sich um einen Lebensmittelskandal ohne gesundheitliches Risiko, ein tatsächliches oder nur vermeintliches Risiko handelt. Ein vermeintliches Risiko wird genauso bedrohlich empfunden wie ein reales. In der Risikowahrnehmung spielen interne Faktoren wie Werte, Einstellungen, Erfahrungen und Erinnerungen genauso eine Rolle wie die externen Faktoren Risikocharakteristika und Medienberichterstattung (Freese 2010). Berichte über unsichere oder ungesunde Lebensmittel werden zwar wahrgenommen und erregen mehr oder weniger Besorgnis, führen aber letztendlich zu keiner Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, um das Problem zu meiden. In Österreich haben laut einer Umfrage der Europäischen Kommission zu Lebensmittelrisiken lediglich 11% ihre Ernährungsgewohnheiten nach einer Information über ein unsicheres Lebensmittel dauerhaft umgestellt und 47% haben das erwähnte Lebensmittel zumindest eine Zeit lang gemieden, während fast ein Viertel der Befragten zwar besorgt war, aber nichts dagegen unternommen hat. 8% haben die Information einfach ignoriert und auch keine Verhaltensänderung initiiert (Eurobarometer 2010). Zu ähnlichen Ergebnissen kam das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bei der Evaluierung der Verhaltensänderung aufgrund von EHEC während und nach dem Ausbruch im Jahr 2011: 51% der Befragten in Deutschland haben während des EHEC-Ausbruchs ihr Verhalten geändert, aber nur 33% haben das auch nach dem Ende des Ausbruches beibehalten. Bei den Verhaltensänderungen kam es vorwiegend zum Verzicht auf bestimmte Lebensmittel, zum Verzicht auf den Verzehr von rohem Obst, Gemüse oder Sprossen insgesamt und in Restaurants, Imbissen, Kantinen und Mensen oder auch, dass häufiger die Hände gewaschen wurden, aber auch das Einkaufsverhalten geändert wurde (Hensel 2011).
Die Risikobewertung eines Individuums hängt von der subjektiven Wahrnehmung ab und das subjektiv eingeschätzte Risiko ist unabhängig von der messbaren Eintrittswahrscheinlichkeit. Eine Risiko-Nutzen-Analyse, die Betroffenheit, die Vertrautheit eines Risikos, aber auch die Kontrollierbarkeit, sind neben der Art und des Ausmaßes des Schadens und dem Zeitpunkt des Schadenseintrittes wesentliche Faktoren des subjektiven Risikos. Prinzipiell werden Risiken höher akzeptiert, wenn sie freiwillig eingegangen werden, ein direkter persönlicher Nutzen (Bequemlichkeit, Status) damit in Verbindung steht, aber auch wenn sie eine Herausforderung oder einen Nervenkitzel (Sport) darstellen und ihre möglichen Auswirkungen zeitlich verzögert auftreten. Bei Fremdbestimmung oder auch bei schwer verständlichen oder unnatürlichen Risiken (Gentechnik, ionisierende Strahlung) vermindert sich die Akzeptanz (Porzolt et al. 2012). Risiken werden aber auch von Laien und ExpertInnen unterschiedlich beurteilt. Es sind nicht immer die Themen, die aus wissenschaftlicher Sicht auch tatsächlich ein Risiko darstellen, die die Bevölkerung beunruhigen beziehungsweise besorgen. Je nach Risikosituation und -kontext bestehen unterschiedlich ausgeprägte Diskrepanzen zwischen einerseits der gesellschaftlichen bzw. der individuellen Risikowahrnehmung durch ExpertInnen, wobei auch beträchtliche Unterschiede in verschiedenen kulturellen Gruppen auftreten (Zwick und Renn 2002).
Lebensmittel: Unbehagen steigt
Im Vergleich zu anderen Risiken (wie Umweltverschmutzung, Gefahr eine ersthafte Krankheit zu bekommen) wird die Wahrscheinlichkeit, von gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Lebensmittel betroffen zu sein, in Österreich als weniger wahrscheinlich eingeschätzt. Wobei jedoch die Sorge über mögliche Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Lebensmittel steigt (Eurobarometer 2010).
An der Spitze der Besorgnisskala liegen in Österreich im Bereich der Lebensmittelrisiken Pestizidrückstände in Obst, Gemüse und Getreideprodukten, obwohl 2012 insgesamt lediglich bei 1,6% der in Österreich untersuchten Proben Überschreitungen der Grenzwerte für Pestizidrückstände feststellbar waren. Eine einzige der 2.302 Proben wurde wegen der Überschreitung des Rückstandhöchstgehaltes von Etephon, eines Pflanzenwachstumsregulators, als gesundheitsschädlich bewertet (AGES 2012). Hingegen ist die Besorgnis bezüglich Gesundheits- und Ernährungsaspekten wie beispielsweise eine Gewichtszunahme oder an Mangel an gesunder bzw. ausgewogener Ernährung geringer. Ein hohes Ausmaß an Beunruhigung findet man aber auch hinsichtlich Rückständen in Fleischwaren (wie Antibiotika oder Hormone). Auch hier deckt sich die Einschätzung der Bevölkerung nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten: Im Jahr 2012 wurden in 17 aus insgesamt 9.763 untersuchten Planproben Rückstände und Kontaminanten gefunden, die zu einer Überschreitung von Grenzwerten geführt haben bzw. bei denen nicht zugelassene oder verbotene Stoffe nachgewiesen werden konnten. Dies entspricht einem Anteil von nur 0,2% (AGES 2012). Auf der Besorgnisskala folgen der Angst vor Pestizidrückständen, gentechnisch veränderten Organismen in Lebensmitteln oder Getränken, Rückstände im Fleisch (Antibiotika, Hormone), die Verwendung von Zusatzstoffen oder auch das Klonen von Tieren zur Herstellung von Lebensmitteln oder Schadstoffe wie Quecksilber in Fisch oder Dioxine in Schweinefleisch.
Ein mittleres Ausmaß der Beunruhigung wird bei Lebensmittelvergiftungen durch Bakterien wie Salmonellen in Eiern oder Listerien im Käse, bei der Qualität und Frische von Lebensmitteln gesehen, oder auch bei Inhaltsstoffen, die in Plastik oder anderen Materialien erhalten sind.
Am wenigsten beunruhigend sind ernährungsbedingte Erkrankungen, eine Gewichtszunahme, neue Viren, aber auch Mangel an gesunder und ausgewogener Ernährung und allergische Reaktionen auf Lebensmittel und Getränke genauso wie Nanopartikel in Lebensmitteln (Eurobarometer 2010).
Neue Technologien: beängstigend
Aber auch neue Technologien und Entwicklungen auf dem Lebensmittelsektor – Schlagwort „Schummelschinken“, „Analogkäse“, „Klebefleisch“ oder „Sauerstofffleisch“ – wecken diffuse Ängste vor unbekannten Gefahren. Diese Gefahren existieren zwar nicht – Schummelschinken und Analogkäse sind nicht gesundheitsschädlich –, allerdings erfüllen derartige Erzeugnisse häufig auch nicht die Erwartungen der VerbraucherInnen oder man fühlt sich getäuscht, wie jüngst beim Pferdefleischskandal.
Gerade für die Einschätzung von neuartigen Risiken fehlt oft das Wissen. Hier werden vor allem Aussagen und Ansichten von ExpertInnen sowie anderen involvierten AkteurInnen als Basis für die Einschätzung von Risiko und Nutzen verwendet. Hier kommt dem Vertrauen in solche Personen, aber auch Institutionen, einen wichtige Funktion zu, wobei laut Siegrist (2001) das Vertrauen in involvierte Behörden und Wirtschaft negativ mit den wahrgenommenen Risiken korreliert. In Österreich wird dem Internet, Supermärkten und Geschäften, aber auch Lebensmittelherstellern am wenigsten vertraut. Am zuversichtlichsten hingegen sind die ÖsterreicherInnen, dass ihr Arzt/Doktor oder andere Fachleute aus dem Gesundheitswesen sie korrekt über Lebensmittelrisiken informieren würden, gefolgt von Familie und Freunden, Verbraucherorganisationen, Umweltschutzgruppen, Landwirten und nationalen und internationalen Behörden für Lebensmittelsicherheit. Das Vertrauen gegenüber Wissenschaftler ist auch hoch, liegt in Österreich aber unter dem der Landwirte oder den Umweltschutzgruppen.
Die Informationsquellen Medien (Fernsehen, Zeitungen und Radio) werden für eine vertrauenswürdige Quelle gehalten. Über zwei Drittel der ÖsterreicherInnen sind sehr zuversichtlich, dass sie korrekt über die Gefahr informieren und vertrauen den Aussagen. Jeder/e zweite schätzt aber auch noch das Internet als vertrauenswürdige Informationsquelle in Bezug auf Lebensmittelsicherheit ein (Eurobarometer 2010).
Fazit
Aufgabe der Kommunikation von Risiken und Gefahren muss es künftig sein, verstärkt die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung zu berücksichtigen, um einerseits bei wirklichen Risiken das Bewusstsein dafür zu schaffen und entsprechende VerbraucherInnentipps anzubieten, und andererseits bei vermeintlichen Risiken mitzuhelfen, Ängste abzubauen und qualitätsgesicherte Informationen zielgruppenspezifisch anzubieten. |
Korrespondenz:
Univ.-Doz. Dr. Ingrid Kiefer
AGES – Österreichische Agentur für
Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH
Spargelfeldstraße 191
A-1220 Wien
Telefon +43 (0) 50 555 – 25000
E-Mail ingrid.kiefer@ages.at
Literatur:
Porzolt F., Polianski I., Clouth J., Burkart W., Eisemann M. Entscheidungen zwischen gefühlter Sicherheit und bestehendem Risiko. In: Daase C. et al. (Hrsg.). Sicherheitskultur. Soziale und politische Praktiken der Gefahrenabwehr. Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2012: 325
Zwick M., Renn O. Wahrnehmung und Bewertung von Risiken. Ergebnisse des „Risikosurvey Baden-Württemberg 2001. Gemeinsamer Arbeitsbericht der Akademie für Technikfolgenabschätzung und der Universität Stuttgart, Lehrstuhl für Technik- und Umweltsoziologie. Nr. 202 / Mai 2002
Europäische Kommission. Eurobarometer spezial 354. Lebensmittelrisiken. Durchgeführt von TNS Opinion & Social im Aufrag der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Brüssel 2010
Siegrist M., Die Bedeutung von Vertrauen bei der Wahrnehmung und Bewertung von
Risiken. Arbeitsbericht. Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart 2001
Hensel A. Sicherheit und Risiko in der staatlichen Risikovorsorge – Lehren aus der EHEC-Krise. Vortrag Fachtagung Risikokommunikation bei der AGES, 2011
Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit.
Bundesministerium für Gesundheit: Österreichischer Lebensmittelsicherheitsbericht 2012. Zahlen, Daten, Fakten. Bericht nach § 32 Abs. 1 LMSVG, Juni 2013
AGES: Bewertung der Ergebnisse des österreichischen Rückstandskontrollplanes 2012. http://www.ages.at/ages/ernaehrungssicherheit/rueckstaende-kontaminanten/arzneimittel-und-hormonrueckstaende/bewertung-rueckstandskontrollplan/