Gesundheitliche Aspekte von Tiermilchkonsum bis zum Ende des dritten Lebensjahres

August 2014

Im Kooperationsprojekt „Richtig essen von Anfang an!“ (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH, Bundesministerium für Gesundheit und Hauptverband der Sozialversicherungsträger) werden zielgruppenspezifische und lebensraumorientierte Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährung von Schwangeren, Stillenden und Kindern bis zum 3. Lebensjahr entwickelt.

Griebler U1, Bruckmüller MU2, Kien C1, Dieminger B2, Meidlinger M2, Seper K2, Hitthaller A2, Wuest N2, Froeschl N2, Buerger B2, Greisinger S2, Kiefer I2, Wolf A2, Gartlehner G1

Das Projekt verfolgt unter anderem das Ziel, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zum Thema Beikost aufzuarbeiten, um einen Grundstein zur Aktualisierung bestehender, zum Teil kontroverser Empfehlungen zu legen. Insbesondere die bestehenden Empfehlungen zum Konsum von tierischer Milch und Milchprodukten im Säuglings- und Kleinkindalter sind nicht konsistent und ausreichend evidenzbasiert.

Fragestellung

Die vorliegende systematische Übersichtsarbeit untersucht gesundheitliche Auswirkungen des Konsums von tierischer Milch, tierischen Milchprodukten und Folgemilch bei Säuglingen und Kindern bis zum Alter von 3 Jahren. Als weitere spezifische Fragestellungen behandelt die Arbeit die Relevanz des Alters bei der Einführung von Milch- und Milchprodukten, eventuelle Unterschiede in Abhängigkeit von der Art der Tiermilch bzw. der Art der Zubereitung sowie die Frage der Dosiswirkungsbeziehungen.

Methodik

Literaturrecherchen in den Datenbanken PubMed, EMBASE und der Cochrane Library mit Hilfe einer Kombination aus relevanten Schlüsselwörtern (in englischer Sprache) für den Zeitraum von 1960 bis April 2011 bildeten die Basis für die erste systematische Übersichtsarbeit 2012. Für dieses Update wurde die Suche für den Zeitraum von April 2011 bis Juli 2013 wiederholt. Eine Handsuche umfasste die Kontrolle von Referenzlisten von Schlüsselpublikationen sowie von bestehenden Leitlinien zum Konsum von tierischer Milch und Milchprodukten.

Bei der Analyse der Studien lag der Fokus auf patientenrelevanten Endpunkten, wie gastrointestinalen Blutungen und Erkrankungen, Eisenmangelanämie, Dehydrierung, Adipositas, Osteoporose, Gedeihstörungen, Diabetes mellitus Typ 1 (DM Typ 1), Entwicklungsstand und atopischen Erkrankungen. Waren diese Endpunkte nicht verfügbar, wählten wir auch Surrogat-Endpunkte mit kausalem Zusammenhang zu patientenrelevanten Endpunkten. Die gesundheitlichen Auswirkungen wurden bis ins Erwachsenenalter berücksichtigt.

Inkludiert wurden randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) mit einer Stichprobengröße von zumindest 40 Personen, sowie kontrollierte Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien und andere kontrollierte Studien (z.B. Querschnittsstudien mit einem Vergleich von mind. 2 Expositionsgruppen) mit einer Stichprobengröße von mindestens 100 Personen.

Der Review von Abstracts und Volltexten sowie die Extraktion der Daten und die Bewertung der internen Validität erfolgte unabhängig von zwei BegutachterInnen. Fehlende Übereinstimmungen wurden durch Diskussion oder durch Beiziehen einer dritten Person geklärt. Die Beurteilung der Stärke der Evidenz basiert auf den Richtlinien der US-amerikanischen Agency for Healthcare Research and Quality für Evidence-based Practice Center. Die Stärke der Evidenz lässt sich in hoch, moderat, niedrig und unzureichend einteilen.

Ergebnisse

Im Zuge dieses Updates wurde eine neue prospektive Kohortenstudie zu dem Thema atopische Erkrankungen identifiziert, die zu den bisherigen 26 Studien hinzugezählt wurde. Der Bericht umfasst nach dem Update insgesamt 27 Artikel. Durch den Einschluss dieser neuen Studie veränderten sich die Evidenzlage und die Schlussfolgerungen der systematischen Übersichtsarbeit 2012 nicht.

Davon untersuchten 8 Studien den Endpunkt Eisenmangel und Eisenmangelanämie an 1.670 Säuglingen und Kleinkindern im Alter zwischen 6 und 24 Monaten. Weitere 3 Studien, durchgeführt an insgesamt 1.093 Kindern bis zum Alter von 1 Jahr, untersuchten den Einfluss von Kuhmilchkonsum auf das Risiko von gastrointestinalen Blutungen bei Kindern. Außerdem sind 8 Fall-Kontroll-Studien mit insgesamt 2.767 Fällen und 10.326 Kontrollen inkludiert, die den Zusammenhang zwischen dem Konsum tierischer Milch und Milchprodukten und der Entstehung von DM Typ 1 analysierten. Daten von 100 Kindern bis zu einem Alter von 24 Monaten zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Konsum von Kuhmilch und dem Wachstum und der psychomotorischen Entwicklung der Kinder stammen aus 1 RCT. Weiters liefert 1 retrospektive Kohortenstudie mit rund 1.500 Kindern Daten zur Analyse des Zusammenhangs zwischen Wachstum und Konsum von Kuhmilch. Der Einfluss des Konsums von Kuhmilch bzw. anderen tierischen Milchprodukten auf die Entwicklung von Asthma und atopischer Dermatitis/Ekzemen* wurde in 4 prospektiven Kohortenstudien mit Daten von mehr als 7.300 Kindern untersucht.

Auf Basis der vorliegenden Evidenz sind keine Aussagen über die gesundheitlichen Auswirkungen bei Kindern in Abhängigkeit von der Art der Zubereitung und der Art der Tiermilch möglich. Die identifizierten Studien untersuchten ausschließlich die Auswirkungen von Kuhmilch und daraus hergestellten Produkten. Die Ergebnisse der Übersichtsarbeit sind in Tabelle 1 dargestellt.

Diskussion

Insgesamt werden in dieser systematischen Übersichtsarbeit 27 Studien beschrieben. Im Rahmen dieses Updates wurde eine Studie zu den ursprünglich 26 Studien hinzugefügt. Durch den Einschluss der neuen Studie veränderten sich die Schlussfolgerungen und die Evidenzlage der systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2012 nicht.

Sowohl durch die systematische Übersichtsarbeit 2012 als auch durch das Update 2014 konnte keine verlässliche Evidenz identifiziert werden, die nahelegt, dass der Konsum von Kuhmilch zum Entstehen von DM Typ 1, gastrointestinalen Blutungen oder negativen Auswirkungen auf sonstige Endpunkte (Wachstum, Entwicklung, atopische Erkrankungen) führt. Wenige Studien geben Hinweis darauf, dass frühkindlicher Kuhmilchkonsum im Zusammenhang mit Eisenmangelanämie steht. Interventionsstudien, die den Konsum von Kuhmilch mit eisenangereicherter Folgemilch vergleichen, zeigen, dass ein Kuhmilchkonsum zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat negative Auswirkungen auf den Eisenstatus und auf die Inzidenz von Eisenmangelanämie hat. Die Stärke der Evidenz dieser wenigen identifizierten Studien ist allerdings niedrig.

Die Evidenz zur Beantwortung der Frage der konkreten Altersgrenze zur Einführung von Kuhmilch ist unzureichend. In Bezug auf tierische Milchprodukte legt die identifizierte Evidenz nahe, dass aus allergologischer Sicht und aus Sicht von DM Typ 1 der Konsum unbedenklich ist. Die Datenlage bezüglich Dosiswirkungsbeziehungen des Konsums von Kuhmilch bzw. tierischer Milchprodukte ist unzureichend.

Der Großteil der Studien dieser Übersichtsarbeit weist methodische Schwächen wie Nicht-Berücksichtigung von Confoundern in den statistischen Analysen oder fehlende Intention-to-treat-Analysen auf. Deswegen ist die Mehrzahl der Studien mit unklarem Biasrisiko bewertet. Das Fehlen von Studien mit niedrigem Biasrisiko und der Mangel an RCTs führte dazu, dass die Evidenz generell als niedrig bewertet wird. Anzumerken sind die praktischen und ethischen Schwierigkeiten, Studien an Kindern durchzuführen.

Bei Studien zu gastrointestinalen Blutungen, die älter als 30 Jahre sind, entsprechen die als Kontrolle verwendeten Formulanahrungen nicht mehr den heutigen Vorgaben. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Nahrungen die Blutungsneigung mitbeeinflusst haben.

Zukünftige Studien sollten genaue Angaben zur Menge der konsumierten Milch und Milchprodukte beinhalten und außerdem das Stillen und die zugefütterte Beikost in ihren Studiendesigns berücksichtigen: Je nach Art und Menge der verwendeten Lebensmittel können diese wesentlich zur Deckung des Eisenbedarfs beitragen. Des Weiteren sollten Beobachtungsstudien vermehrt Confounder berücksichtigen (genetische Prädispositionen bei der Untersuchung von DM Typ 1, sozioökonomischer Hintergrund). Dringender Bedarf besteht auch an neueren Untersuchungen, die der genauen Ätiologie eventueller kuhmilchbedingter gastrointestinaler Blutungen auf den Grund gehen und dabei auf genauere Nachweismethoden setzen.

Conclusio

Die Verwendung von Tiermilch in der Ernährung des Säuglings im 2. Lebenshalbjahr ist – in begrenzten Mengen – unbedenklich. Jedoch ist anzumerken, dass die Stärke der Evidenz niedrig ist. Daher kann es sein, dass zukünftige Studien dieses Ergebnis noch beeinflussen und sich der Effekt möglicherweise ändert. Die zukünftige Forschung sollte sich den offenen Fragestellungen mit der notwendigen Komplexität widmen, um daraus langfristig altersspezifische Schwellenwerte ableiten zu können.

Die Übersichtsarbeit ist im Internet abrufbar:

http://www.richtigessenvonanfangan.at/Publikationen/Projektbezogene-Publikationen/Saeuglingsalter

* Bei der Beschreibung der Studien in diesem Bericht wurden jeweils die Begriffe verwendet, welche auch in der jeweiligen Studie benützt wurden.

1 Department für Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie, Donau-Universität Krems / Daten, Statistik, Risikobewertung – Zentrum Ernährung & Prävention

2 AGES – Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit

Korrespondenz:

Mag. Dr. Ursula Griebler, MPH, Ursula.Griebler@donau-uni.ac.at

Zitierweise:

Griebler U, Bruckmüller MU, Kien C, Dieminger B, Meidlinger M, Seper K, Hitthaller A, Wuest N, Froeschl N, Buerger B, Greisinger S, Kiefer I, Wolf A, Gartlehner G (2014): Gesundheitliche Aspekte von Tiermilchkonsum bis zum Ende des dritten Lebensjahres – Systematische Übersichtsarbeit (Update 2014).