500 Schwarze Schafe: Skandal um Nahrungsergänzungsmittel in den USA

August 2014

In den USA dürften mehr als 500 Nahrungsergänzungsmittel (NEM) mit Substanzen wie neuen Stimulanzien oder Anabolika, nicht zugelassenen Antidepressiva, verbotenen Schlankheitsmitteln oder ungeprüfter Analoga von Sildenafil (Viagra®) versetzt sein. Hundert Leberschäden infolge der Einnahme des Sportsupplements OxyElite Pro, von den drei zu einer Transplantation und einer sogar zum Tod geführt hat, könnten also nur die Spitze des Eisbergs sein.

Besonders dramatische – und tragische – Vorfälle in Zusammenhang mit einem als „Nahrungsergänzungsmittel“ deklarierten Präparat sorgen in den USA derzeit für Aufsehen und Diskussionen. In Hawai war eine Reihe schwerer Fälle von Hepatitis und auch Leberversagen mit dem populären Präparate OxyElite Pro in Verbindung gebracht worden – bestätigt von den Centers for Disease Control (CDC) in einem ihrer Weekly Reports1. Bei dem fraglichen Präparat handelt es sich um einen der relativ neuen „Preworkout Booster“, die als Sportsupplemente eingesetzt werden, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Als Auslöser der Leberschäden wird Aegeline genannt, ein Extrakt der Bengalischen Quitte (Aegle marmelos L.). Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat im Oktober 2013 vor Produkten gewarnt, die diesen Inhaltsstoff enthalten. Der Hersteller USPLabs hat laut FDA zugesichert, Lagerbestände im Wert von 22 Millionen US-Dollar zu vernichten. Bis Februar 2014 konnten von der FDA übrigens 97 Fälle von Leberschäden mit OxyElite Pro in Verbindung gebracht werden. Davon mussten 47 stationär behandelt werden, drei Personen benötigten eine Lebertransplantation – und ein Mensch ist daran gestorben. Abgesehen davon war der Hersteller laut Angaben der FDA den gesetzlichen Vorgaben nicht nachgekommen, die dazu verpflichten, neue Inhaltsstoffe von Nahrungsergänzungsmitteln 75 Tage bevor das Präparat auf den Markt gebracht wird, zu melden.

Bereits die Vorgängervariante von OxyElite Pro hatte vom Markt genommen werden müssen, weil es das Stimulans Dimethylamylamin (DMAA, Geranamin) enthalten hatte. DMAA wird seit 2010 auf der Dopingliste geführt und in Partydrogen gemischt. Auch die Verwendung von DMAA im „Nahrungsergänzungsmittel“ war nicht wie vorgeschrieben der FDA gemeldet worden. Das heißt aber nicht, dass DMAA aus den Nahrungsergänzungsmitteln – insbesondere Sportsupplementen – verschwunden wäre. Laut Cohen ist die Substanz in Dutzenden von Präparaten weiterhin enthalten. Auch Profis sind davor nicht gefeit. Bei den olympischen Winterspielen 2014 wurden drei Teilnehmer wegen der Verwendung von DMAA suspendiert. Alle gaben an, den Wirkstoff unwissentlich mit Sportsupplementen zu sich genommen zu haben.

Amerikanische Sichtweise

Die aktuelle – unbefriedigende – Situation in den USA und wie man sie verbessern könnte, wird in einer aktuellen Ausgabe des New England Journal of Medicine von Pieter A. Cohen2 (Cambridge Health Alliance, MA und Harvard Medical School, Bosten) diskutiert. In den USA werden jährlich 32 Milliarden US-Dollar für Nahrungsmittel ausgegeben, die 85.000 verschiedene Kombination verschiedener Inhaltsstoffe enthalten. Nahrungsergänzungsmittel gelten so lange als sicher, bis nicht das Gegenteil bewiesen ist. Laut Cohen sind in den USA aber auch zahlreiche potenziell gefährliche Substanzen weit verbreitet. Seinen Angaben zufolge wurde bei mehr als 500 Supplementen nachgewiesen, dass sie mit Substanzen wie neuen Stimulanzien oder Anabolika, nicht zugelassenen Antidepressiva, verbotenen Schlankheitsmitteln oder ungeprüfter Analoga von Sildenafil (Viagra®) versetzt waren. Allein im Jahr 2013 seien zwei neue Stimulanzien in weit verbreiteten Supplementen gefunden worden.

Cohen schlägt eine Reihe von Verbesserungen in den USA für mehr Sicherheit in Zusammenhang mit Nahrungsergänzungsmitteln vor. Dazu gehört eine Registrierung bei der FDA mit mehr Informationen zu den Produkten, insbesondere über mögliche nachteilige Wirkungen. Weiters sollte ein effektives System zur Erfassung nachteiliger Wirkungen installiert werden. Meldungen über Nebenwirkungen sollten möglichst rasch von einem Expertenteam bestehend aus Ärzten, Toxikologen, Pharmakologen und Chemikern bearbeitet werden können. Schließlich seien Gesetzesänderungen in Richtung strengerer Zulassungsverfahren für Nahrungsergänzungsmittel notwendig.

Europäische Sichtweise

Die europäische Sichtweise betreffend die rechtlichen Rahmenbedingungen für Nahrungsergänzungsmittel unterscheidet sich grundlegend von der US-amerikanischen. In den USA geht man davon aus, dass ein als Nahrungsergänzungsmittel deklariertes Produkt als sicher anzusehen ist. Besteht der Verdacht, dass dem nicht so sein könnte, muss die Behörde den Beweis dafür liefern. „In Europa folgt man einer völlig anderen Gesundheitsschutz- und Verbraucherschutzphilosophie“, so der Lebensmittelrechtsexperte Mag. Markus Zsivkovits von der Agentur für Ernährung und Lebensmittelsicherheit AGES „hier muss das Unternehmen beweisen, dass seine Produkte nicht schädlich sind.“ So benötigen neuartige Substanzen, die in Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt werden sollen, eine Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung, wobei das Verfahren eine umfassende Sicherheitsprüfung einschließt, erklärt Zsivkovits. Abgesehen davon unterliege Sildenafil dem Arzneimittelgesetz und DMAA/Geranamin der neuen Psychotropenverordnung. Beide Substanzen dürfen in Europa laut Gesetz nicht für Nahrungsergänzungsmittel verwendet werden.

Aufgrund der konträren Bestimmungen rät Zsivkovits generell davon ab, Nahrungsergänzungsmittel aus den USA zu importieren. „Produkte mit legalen Substanzen bekommt man nahezu unbeschränkt auch aus europäischer Quelle“, so der Rechtsexperte, „Anpreisungen amerikanischer Produkte sind im Regelfall unseriös und nicht durch das europäische Zulassungsverfahren gegangen.“ Besonders vorsichtig solle man bei Präparaten sein, die von der FDA nicht anerkannt sind („not approved“).

K. Gruber

Literatur:

Acute hepatitis and liver failure following the use of a dietary supplement intended for weight loss or muscle building: May – October 2013; MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2013; 62:817-819

Cohen PA: Hazards of Hindsight – Monitoring the Safety of Nutritional Supplements; N Engl J Med 2014; 370: 1277-1280

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