Obstipationsdominantes Reizdarmsyndrom

Juni 2013

Neue moti­li­täts­stei­gernde Medi­ka­mente. Beim obs­ti­pa­ti­ons­do­mi­nanten Reiz­darm­syndrom kann wie bei der chro­ni­schen Obs­ti­pation trotz Ernäh­rungs­the­rapie und anderer Maß­nahmen wie Laxantien wei­terer Hand­lungs­bedarf bestehen. Nachdem Cisaprid und Tega­serod wegen kar­dialer Neben­wir­kungen vom Markt genommen worden waren, bestand bezüglich moti­li­täts­stei­gernder Medi­ka­mente ein lang­jäh­riges The­ra­pi­evakuum. Diese Lücke kann jetzt von neuen Sub­stanzen geschlossen werden. 

Die chro­nische Obs­ti­pation ist mit einer Prä­valenz von ca. 20% in den Indus­trie­ländern eine häufige funk­tio­nelle Erkrankung und hat großen Ein­fluss auf die Lebens­qua­lität der Betrof­fenen. Vom Reiz­darm­syndrom sind in Europa über 10% der Bevöl­kerung betroffen, davon ein Drittel mit obs­ti­pa­ti­ons­do­mi­nantem Reiz­darm­syndrom (RDS‑O). Sie leiden zusätzlich unter oft sehr beein­träch­ti­genden abdo­mi­nelle Beschwerden und Mete­o­rismus. Bis zu 40% dieser Pati­en­ten­gruppen nehmen regel­mäßig Laxantien zu sich. Die Dun­kel­ziffer dürfte deutlich darüber liegen. Nachdem moti­li­täts­stei­gernde Medi­ka­mente wie Tega­serod und Cisaprid auf­grund kar­dialer Neben­wir­kungen vom Markt genommen werden mussten, scheint diese lang­jährige Lücke nun durch neue neben­wir­kungsarme und sichere ente­ro­ki­ne­tische Medi­ka­mente geschlossen werden zu können. Diese Medi­ka­mente haben unter­schied­liche Wirk­me­cha­nismen, sind bereits teil­weise ver­fügbar und zeigten in meh­reren Studien eine signi­fi­kante Bes­serung der chro­ni­schen Obs­ti­pation und des RDS‑O mit sehr gutem Sicher­heits­profil. Pru­ca­loprid wirkt pro­ki­ne­tisch und Lubi­proston sekre­to­risch, was zu einer Ver­kürzung der Kolon­tran­sitzeit führt. Beide Medi­ka­mente sind bereits ver­fügbar. Als dritter neuer Wirk­stoff wurde Linac­lotide kürzlich sowohl in den USA von der FDA (Food and Drug Admi­nis­tration) als auch in Europa von der EC (Euopean Com­mission) zuge­lassen. Linac­lotide wirkt einer­seits sekre­to­risch, zusätzlich ver­mindert es bei Pati­enten mit RDS‑O die vis­zerale Hyper­sen­si­ti­vität, was zu einer Lin­derung der abdo­mi­nellen Schmerz­sym­pto­matik führt. Bei Methyl­nal­trexon handelt es sich um ein potentes Medi­kament bei opio­id­in­du­zierter Obstipation. 

Prucaloprid

Pru­ca­loprid ist ein neuer selek­tiver 5‑HT4-Rezeptor-​Agonist. Es sti­mu­liert selektiv die 5‑HT4-Rezep­toren an den intra­mu­ralen Ner­ven­fasern und triggert somit über Frei­setzung von Ace­tyl­cholin den peris­tal­ti­schen Reflex und die Kolon­moti­lität. Das führt zu einer Beschleu­nigung des Kolon­transits. Die Bio­ver­füg­barkeit nach oraler Ein­nahme beträgt 90% mit einer Halb­wertszeit von 24 bis 30 Stunden. Eine ein­malige täg­liche Dosierung ist daher aus­rei­chend. Pru­ca­loprid ist seit Herbst 2009 in Europa und seit Sep­tember 2012 auch in Öster­reich unter dem Namen Resolor® erhältlich. Die Kosten für 28 Stück belaufen sich derzeit auf 84€ für 1mg- und auf 116€ für 2mg-​Filmtabletten. Pru­ca­loprid ist zurzeit nur für weib­liche Pati­enten zuge­lassen, bei denen her­kömm­liche Abführ­mittel zu keiner aus­rei­chenden Bes­serung der chro­ni­schen Obs­ti­pation führen. Aus per­sön­lichen Erfah­rungen ist zu berichten, dass durchaus auch bei männ­lichen Pati­enten eine gute Wirkung des Medi­ka­ments zu beob­achtet ist, auch wenn dies durch Studien nicht aus­rei­chend belegt ist. Die vor­lie­genden Studien konnten auf­grund der geringen Zahl männ­licher Pati­enten keine Signi­fikanz erreichen, wohin­gegen die weib­liche Stu­di­en­po­pu­lation groß genug war. Als Neben­wir­kungen treten vor allem Kopf­schmerzen, abdo­mi­nelle Beschwerden, Übelkeit und Durchfall auf. Diese Neben­wir­kungen legen sich zumeist nach zwei Tagen der Ein­nahme. Um die Com­pliance zu erhöhen, hat es sich nach per­sön­lichen Erfah­rungen bewährt, die Pati­enten gezielt auf diese Tat­sache hin­zu­weisen, um einen vor­zei­tigen The­ra­pie­ab­bruch zu ver­hindern. 5‑HT4-Rezeptor-​Agonisten haben prin­zi­piell ein pro­ar­rhyth­mo­genes Potential, das über spe­zielle Kali­um­kanäle ver­mittelt ist. Daher besteht ein erhöhtes Risiko für die Pati­enten, eine Torsade-​de-​Pointes mit Übergang zu Kam­mer­flimmern zu erleiden. Das aus dem Handel gezogene Cisaprid (Pre­pulsid®) hemmt diese K‑Kanäle dosis­ab­hängig. Die IC50 für Pru­ca­loprid liegt 20fach höher. In Studien mit 10mg Pru­ca­loprid führte selbst diese hohe Dosierung zu keiner signi­fi­kanten Hemmung der K‑Kanäle und wies kein pro­ar­rhyth­mi­sches Potential auf. Trotzdem wird emp­fohlen, mit Pru­ca­loprid keine QT-​Zeit-​verlängernden Medi­ka­mente zu kom­bi­nieren. Bei der Dosis von 2mg versus 4mg 1x täglich bestand weder in Wirkung noch bezüglich Neben­wir­kungen ein signi­fi­kanter Unter­schied. Auch über 18 Monate zeigte sich eine gute anhal­tende Wirkung von Pru­ca­loprid. In Lang­zeit­studien führten abdo­mi­nelle Beschwerden und Kopf­schmerzen in lediglich 5% zu The­ra­pie­ab­brüchen. Eine Bewil­ligung von Pru­calprid war auch vor der Zulassung in Öster­reich nach per­sön­lichen Erfah­rungen bei strenger Indi­ka­ti­ons­stellung sowohl durch die Ober­ös­ter­rei­chische als durch die Salz­burger Gebiets­kran­ken­kasse pro­blemlos möglich. 

Lubiproston

Lubi­proston akti­viert selektiv die Chlo­rid­kanäle und führt damit zu einer Sekretion von Chlorid und Flüs­sigkeit in das Darm­lumen. Die Wirkung ist rein lokal und die Resorption beträgt unter 1% der ver­ab­reichten Dosis. In Studien führte Lubi­proston bei Pati­enten in 61,3% vs. 31,4% unter Placebo innerhalb von 24 Stunden zu einer Stuhl­ent­leerung. Lubi­proston ist in den USA seit 2006 und der Schweiz seit 2009 zuge­lassen und unter dem Namen Amitiza® erhältlich. Im Sep­tember 2012 erfolgte die Zulassung auch durch die bri­tische Arz­nei­mit­tel­be­hörde. Die Dosierung beträgt 2 x 24mg täglich bei chro­ni­scher idio­pa­thi­scher Obs­ti­pation bei Erwach­senen. Die Kosten belaufen sich auf 220€ für 60 Stück. Bei weib­lichen RDS‑O Pati­enten wird eine Dosierung von 2 x 8mg emp­fohlen. Als häu­figste Neben­wirkung trat in den vor­lie­genden Studien vor allem dosis­ab­hängig Übelkeit (31%) auf, konnte aber durch gleich­zeitige Nah­rungs­auf­nahme deutlich ver­mindert werden. Als weitere Neben­wir­kungen kam es zu Diarrhoe (12%), Kopf­schmerzen (11%), abdo­mi­nellen Beschwerden und Mete­o­rismus (5%). Die hohe sys­te­mische Neben­wir­kungsrate erscheint für ein lokal wirk­sames Medi­kament erstaunlich hoch. Elek­tro­lyt­ver­schie­bungen wurden in einem Zeitraum von 48 Wochen nicht beob­achtet. Auch bei opiod-​induzierter Obs­ti­pation liegen positive Ergeb­nisse mit Lubi­proston vor. 

Linaclotide

Linac­lotide ist ein Agonist des Guanylatcyclase-​C-​Rezeptors, der sich an der lumi­nalen Seite der Ente­ro­zyten befindet und zu einer Akti­vierung des „cystic fibrosis trans­mem­brane con­duc­tance regu­lators“ führt. Linac­lotide bewirkt somit eine Erhöhung der intesti­nalen Flüs­sig­keits­se­kretion und beschleunigt den intesti­nalen Transit. Darüber hinaus ver­mindert Linac­lotide als eine wesent­liche Eigen­schaft die vis­zerale Hyper­sen­si­ti­vität bei RDS‑O Pati­enten. Das Medi­kament wird kaum resor­biert und wirkt lokal auf den Darm ohne sys­te­mische Effekte. Die häu­figste und prak­tisch einzige Neben­wirkung ist eine dosis­ab­hängige Diarrhoe. Seit kurzem liegen sowohl für chro­nische Obs­ti­pation als auch für RDS‑O Pati­enten positive Phase-​III-​Studien mit Linac­lotide vor, sodass das Medi­ka­mente Ende August 2012 von der FDA und Ende November 2012 von der EC zuge­lassen wurden. In den USA wird das Prä­parat unter dem Namen Linzess® mit 145µg für chro­nische Obs­ti­pation und mit 290µg für RDS‑O Pati­enten ver­marktet. Die Kosten belaufen sich auf 6–7$ pro Tablette. Linac­lotide ist in Öster­reich als erstes Land Europas für RDS‑O Pati­enten mit 290µg unter dem Namen Con­stella® ab Februar 2013 in der roten Box ver­fügbar. Das Medi­kament wird 1x täglich ver­ab­reicht; 10 Kapseln kosten 42,25€ und 28 Kapseln 110,95€. Gerade für RDS‑O Pati­enten stellt Linac­lotide auf­grund der Ver­min­derung der vis­ze­ralen Hyper­sen­si­ti­vität eine viel­ver­spre­chende Option dar. 

Methylnaltrexon

Methyl­nal­trexon ist ein µ‑Opioid Rezeptor-​Antagonist, der die Blut-​Hirn-​Schranke auf­grund der N‑terminalen Metyhlierung nicht pas­sieren kann und daher sehr spe­zi­fisch an den peri­pheren gas­tro­in­testi­nalen Opio­id­re­zep­toren wirkt. Als Relistor® 12mg/0,6ml erhältlich wird das Medi­kament jeden 2. Tag sub­kutan appli­ziert und erreicht nach ½ Stunde seine Haupt­wirkung. Die 7‑Stück-​Packung kostet ca. 300€. Methyl­nal­trexon ist für die opioid-​induzierte Obis­ti­pation bei unzu­rei­chender Wirkung üblicher Laxantien zuge­lassen. Bezüglich der Ver­hin­derung des post­ope­ra­tiven Ileus gibt es eben­falls erste positive Ergeb­nisse. Die häu­figsten Neben­wir­kungen sind abdo­mi­nelle Krämpfe (28%), Mete­o­rismus, Übelkeit und Benommenheit. 

 

Fazit 

Bezüglich moti­li­täts­stei­gernder Medi­ka­mente bestand, nachdem Cisaprid und Tega­serod wegen kar­dialer Neben­wir­kungen vom Markt genommen worden waren, ein lang­jäh­riges The­ra­pi­evakuum. Diese Lücke kann jetzt von neuen Sub­stanzen geschlossen werden. Pru­ca­loprid (Resolor®) ist ein neben­wir­kungs­armes und sicheres Pro­ki­ne­tikum, das in Europa bereits ver­fügbar ist. Lubi­proston (Amitiza®) ist zurzeit erst in den USA, der Schweiz und in Groß­bri­tannien zuge­lassen. Sehr viel­ver­spre­chend erscheint Linac­lotide ins­be­sondere für Pati­enten mit obs­ti­pa­ti­ons­do­mi­nantem Reiz­darm­syndrom, da es außer einem tran­sit­zeit­ver­kür­zenden Effekt auch eine Wirkung auf die vis­zerale Hyper­sen­si­ti­vität auf­weist. Das Prä­parat soll 2013 in Europa unter dem Namen Con­stella® auf den Markt kommen. Für Pati­enten mit opio­id­in­du­zierter Obs­ti­pation ohne aus­rei­chende Wirkung her­kömm­licher Laxantien stellt Methyl­nal­trexon (Relistor®) eine gute Option dar.

 

Autorin:

Dr. Christine Kapral, KH Eli­sa­be­thinen, Interne 4, Fadin­ger­straße 1, 4020 Linz, e‑mail: christine.kapral@elisabethinen.or.at

 

 

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