Mangelernährung in der Geriatrie

April 2013

Analyse der ver­zehrten Nah­rungs­mittel – Lösungs­an­sätze auf ente­ralem Weg

Katrin Mösen­bacher

Der alte Mensch rückt immer mehr in den Vor­der­grund, die The­rapien für mul­tipel erkrankte und betagte Men­schen werden kom­plexer und nehmen einen immer wich­ti­geren und grö­ßeren Teil in der Diae­to­logie ein. Trotz des Über­flusses an Lebens­mitteln in westlich ori­en­tierten Ländern steigt bei älteren Men­schen die Prä­valenz der Man­gel­er­nährung. So sind etwa 50 bis 80% der Pati­en­tInnen in ger­ia­tri­schen Ein­rich­tungen man­gel­er­nährt. Man­gel­er­nährung im Alter hat nicht nur Aus­wir­kungen auf die Ent­stehung, Ent­wicklung und Genesung von Krank­heiten, sondern auch betriebs­wirt­schaft­liche, volks­wirt­schaft­liche, soziale und gesund­heits­öko­no­mische Folgen. (Löser, 2011)

Ziel der vor­lie­genden Studie ist es, bei Per­sonen mit Risiko für Man­gel­er­nährung in ger­ia­tri­schen Ein­rich­tungen mit Lang­zeit­pflege zur Ver­bes­serung der Ernäh­rungs­si­tuation bei­zu­tragen. Die Studie wurde durch­ge­führt, um die Mög­lich­keiten einer indi­vi­du­ellen diä­to­lo­gi­schen Beratung und Umsetzung der Emp­feh­lungen für die enterale Ernährung im Hin­blick auf eine optimale Nähr­stoff­ver­sorgung aus­zu­loten. Ein wei­teres Ziel der Arbeit ist es, Maß­nahmen zu benennen, die ältere Men­schen zum Essen moti­vieren können.

Studiendesign

Es handelt sich um eine kleine qua­li­tative Studie mit Hilfe eines Foto­pro­to­kolls. Da es für den Einsatz eines Foto­pro­to­kolls bisher nur wenige Erfah­rungen und keine Leit­fäden gibt, wurde dieses Instrument zur Daten­er­hebung nur in kleinem Umfang ein­ge­setzt. Das Stu­di­en­kol­lektiv umfasste drei Pro­ban­dinnen über 75 Jahren und einem BMI zwi­schen 20,0 und 21,9 in einer ger­ia­tri­schen Ein­richtung mit Lang­zeit­pflege in Wien. Die Auf­nahme von Speisen und Trink­nahrung wurde qua­li­tativ und quan­ti­tativ ausgewertet.

4 Tage lang wurden alle Speisen und ener­gie­reichen Getränk anhand des Foto- und Ernäh­rungs­pro­to­kolls erfasst. Jene Foto­pro­to­kolle, die weder 0 noch 100 % (Prozent) Verzehr auf­wiesen, wurden von 11 Per­sonen beur­teilt, wobei der ver­zehrte Anteil mit 10, 25, 50, 75 oder 90 % beziffert werden konnte. Anschließend wurden die Pro­to­kolle mit dem com­pu­ter­ge­stürzten Nähr­wert­be­rech­nungs­pro­gramms nut­ri­tional software v.31.39 quan­ti­tativ aus­ge­wertet. Für den Soll/​Ist-​Vergleich wurden der Ener­gie­bedarf (Harris & Benedict-​Formel x PAL) und der Pro­te­in­bedarf indi­vi­duell berechnet. Die sons­tigen Para­meter wurden mit den D‑A-​CH Refe­renz­werten verglichen.

Durch die Ein­bindung der Pro­ban­dinnen in den Prozess der Daten­er­hebung (WIE? Ich konnte mit den Pro­ban­dinnen sprechen und nach­fragen, z.B. wie viel sie von der Trink­nahrung getrunken haben. Weiters unter­stützten sie mich beim Durch­führen des Foto­pro­to­kolls, indem sie mit dem Essen ein paar Sekunden war­teten und den Teller nach Verzehr der Speisen solange „bewachten“ bis ich wie­derum ein Foto gemacht hatte) konnten die Ergeb­nisse des Foto- und Ernäh­rungs­pro­to­kolls prä­zi­siert werden.

Ergebnisse

Es hat sich gezeigt, dass es in Betreuung und The­rapie von ger­ia­tri­schen Pati­en­tinnen mit dem Risiko einer Man­gel­er­nährung besonders wichtig ist, auf jede Pati­entin einzeln ein­zu­gehen und indi­vi­duelle Ursachen, Wünsche, Geschmacks­vor­lieben und Gewohn­heiten zu berück­sich­tigen. In der ger­ia­tri­schen Lang­zeit­ein­richtung, wo die Daten­er­hebung statt­ge­funden hat, haben alle Pati­en­tInnen bei Bedarf eine diae­to­lo­gische Betreuung und The­rapie erhalten. Die Ernäh­rungs­the­rapie erfolgt z.B. durch Einsatz von Trink­nah­rungen und ange­rei­cherten Spezialprodukten.

Bei den Geschmacks­prä­fe­renzen zeigt sich eine deut­liche Bevor­zugung von süß. Im Mittel wurden 68 % der Speisen mit süßem Geschmack und 32 % pikante/​salzige Speisen aus­ge­wählt (Abb. 1).

Die qua­li­tative Aus­wertung der Ver­zehrs­daten zeigt eine zu geringe Zufuhr von Obst, Gemüse, fein­ver­mah­lenen Voll­korn­pro­dukten, Fleisch und Fleisch­waren sowie Fisch. Dies wird durch die quan­ti­ta­tiven Ergeb­nisse bestätigt. Der Bedarf an Energie, Eiweiß, Vitamin B12, Eisen und Zink kann durch die ver­zehrten Speisen gedeckt werden, wobei der Konsum von Trink­nahrung eine wichtige Rolle spielt. Die Zufuhr von Vitamin B6, C, D und Fol­säure hin­gegen war unzureichend.

  • Die durch­schnitt­liche Vitamin‑B6-Zufuhr von 0,9 mg pro Tag liegt um 25 % unter der laut D‑A-​CH-​Referenzwerten emp­foh­lenen Menge von 1,2 mg (Abb. 2). Als Ursachen werden auf Basis der qua­li­ta­tiven Analyse die süße Geschmacks­prä­valenz und der geringe Verzehr von Fleisch, Fisch und fein­ver­mah­lenen Voll­korn­pro­dukten angenommen.
  • Die durch­schnitt­liche Vitamin-​C-​Zufuhr von 78,1 mg täglich unter­schreitet den emp­foh­lenen Refe­renzwert von 100 mg um 21,9 % (Abb. 3). Dies dürfte auf den man­gelnden Verzehr von Obst und Vitamin-​C-​hältigem Gemüse zurück­zu­führen sein.
  • Die in den D‑A-​CH-​Referenzwerten emp­fohlene durch­schnitt­liche Vitamin-​D-​Zufuhr von 4 µg über die Nahrung konnte nicht erreicht werden. Das Mittel liegt bei 2,8 µg und damit 30 % unter der Emp­fehlung (Abb. 4). Aus­schlag­gebend dafür dürfte der man­gel­hafte Verzehr von Fisch (Lachs, Thun­fisch) und Hüh­ner­eiern sein.
  • Das Mittel der Fol­säu­re­zufuhr durch Nahrung liegt bei 156,7 µg und somit 60,8 % unter den emp­foh­lenen 400 µg (Abb.5). Ver­ant­wortlich dafür dürfte der zu geringe Verzehr von Gemüse (v.a. Tomaten, Gurken), Wein­trauben, fein­ver­mah­lenen Voll­korn­pro­dukten, Fleisch, Käse und Eiern sein.

Conclusio

Anhand des Ein­satzes des Instru­mentes Foto­pro­tokoll wurde erstmals ersichtlich, wieviel und vor allem welche Spei­sen­kom­po­nenten ger­ia­trische Pati­en­tinnen täglich ver­zehren. Die Ergeb­nisse zeigen, dass die Pro­ban­dinnen zu wenig Obst, Gemüse, fein­ver­mahlene Voll­korn­pro­dukte, Fleisch, Fleisch­waren und Fisch kon­su­mieren. Eine kleine Portion Obst täglich könnte den Pro­ban­dinnen viele wichtige Vit­amine und Mine­ral­stoffe liefern und das Risiko, eine Man­gel­er­nährung zu ent­wi­ckeln, mini­mieren. Weiters konnte beob­achtet werden, dass die ger­ia­tri­schen Pati­en­tInnen täglich von Neuem von Pfle­ge­per­sonal, Diae­to­lo­gInnen und Ärz­tInnen moti­viert werden müssen, um den Bedarf an Energie, Makro- und Mikro­nähr­stoffe über die enterale Auf­nahme zu decken.

Die gemeinsame Her­stellung von kleinen Gerichten mit den Pati­en­tInnen, wie in der aus­ge­wählten ger­ia­tri­schen Ein­richtung, kann durch die Gerüche (z.B. frisch geba­ckenes Brot oder Kekse) die Lust am Essen bzw. den Appetit erhöhen. Die indi­vi­duelle Betreuung ist die Basis für die Umsetzung von Maß­nahmen zur Ver­min­derung des Risikos einer Mangelernährung.

Fazit

Das Problem der Man­gel­er­nährung im ger­ia­tri­schen Bereich ist bekannt. Dennoch ist es wichtig, immer wieder die aktuelle Situation auf­zu­zeigen, um zu erkennen, an welchen Punkten noch gear­beitet werden muss, um den Kampf gegen Man­gel­er­nährung zu gewinnen. Die quan­ti­tative Analyse zeigt, dass der Bedarf an Vitamin B6, C, D und Fol­säure durch die auf­ge­nommene Nahrung nicht gedeckt wird. Die qua­li­tative Analyse der während des Beob­ach­tungs­zeit­raums von 4 Tagen ver­zehrten Speisen zeigt eine zu geringe Zufuhr von Obst, Gemüse, fein­ver­mah­lenen Voll­korn­pro­dukten, Fleisch und Fleisch­waren sowie Fisch.

Kor­re­spondenz:

Katrin Mösen­bacher, BSc

Tel. 0664 4185138

E‑Mail: katrin@b‑eat-it.at

W: www.b‑eat-it.at

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Lite­ratur:

LÖSER, Christian. „Unter-​/​Mangelernährung in Deutschland-​Warum und für wen relevant?“ In Unter- und Man­gel­er­nährung, von J. ARENDS, J. M. BAUER und S. C. BISCHOFF, Her­aus­geber: Christian LÖSER, 1–5. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2011.