Eine kritische Replik

Juni 2013

Ratten-Studie: „Genetisch veränderter Mais und Roundup erhöhen Sterblichkeit“. Mehr als 37 staatliche Behörden und Wissenschaftsvereinigungen kamen nach eingehender Überprüfungen und Auswertung der wenigen in der Séralini-Studie (1) verfügbaren Daten zum Schluss, dass diese Studie in der vorliegenden Form wissenschaftlichen Kriterien nicht entspricht und die Ergebnisse nicht für eine Risikoneubewertung von gentechnisch verändertem Mais (gv-Mais NK603) und Glyphosat (Roundup) herangezogen werden können (2).

Das Vorgehen von Prof. Séralini und CRIIGEN (Committee for Research & Independent Information on Genetic Engineering) bei einer im September 2012 online veröffentlichten Langzeitfütterungsstudie (1) an Ratten mit gentechnisch verändertem Mais (gv-Mais NK603) und mit Roundup-Formulierungen war für eine wissenschaftliche Arbeit ungewöhnlich. Nach ihrer Ansicht sind die Ergebnisse so besorgniserregend, dass Öffentlichkeit und Politik in großangelegten PR-Events über die Gefahren des Verzehrs gentechnisch veränderter Produkte und der Anwendung von Roundup gewarnt werden müssen. Zusätzlich sollten den Zulassungsbehörden, insbesondere der EFSA (European Food Safety Authority), Unzulänglichkeiten bei der Sicherheitsbewertung transgener Pflanzen vor Augen geführt werden. Allein ergebnisgetrieben sahen hier Gentechnikkritiker und –gegner den lang ersehnten wissenschaftlichen Beweis für die Gefährlichkeit von Lebensmitteln aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO): Diese Produkte und transgene Pflanzen würden zu erhöhten Krebsraten und Todesfällen zumindest bei Ratten führen. Kurzum, gentechnisch veränderte Lebensmittel seien gesundheitsgefährdend und müssten verboten werden. Die Wissenschaft hingegen war schockiert, dass ein Manuskript trotz zweimaliger Begutachtung mit derart gravierenden methodischen Mängeln und fehlenden Daten, die die aufgestellten Behauptungen belegen sollten, überhaupt zur Publikation angenommen werden konnte. Das Vertrauen in das Gutachtersystem bzw. in die Fachkompetenz der Gutachter der Zeitschrift „Food and Chemical Toxicology“ war erschüttert.

Versuchsdesign

Die Arbeitsgruppe um Séralini von der Universität Caen hatte zwei Jahre lang unter größter Geheimhaltung Ratten (Harlan Sprague-Dawley) mit gv-Mais NK603 und Roundup im Trinkwasser gefüttert und die Ergebnisse mit einer Kontrollgruppe verglichen. Die Kontrollgruppe, jeweils 10 weibliche und 10 männliche Tiere, erhielt eine Diät mit 33% konventionellem Mais und „normalem“ Trinkwasser. Die Versuchsgruppen (ebenfalls jeweils 10 weibliche und 10 männliche Tiere) erhielten gv-Mais NK603 (11, 22, 33%), der mit Roundup (Glyphosat) behandelt war. Eine weitere Gruppe erhielt 33% konventionellen Mais, aber diesmal mit 1,1%x10-8, 0,09% und 0,5% Roundup im Trinkwasser. Nach Angaben von Séralini et al. entsprechen diese Prozentangaben Konzentrationen von 0,00005, 400 und 2.250 mg/l Glyphosat. Insgesamt wurden 200 Tiere in den Versuch einbezogen. Typischerweise erhielten sie die Nahrung ad libitum. Über die gesamte Versuchszeit wurde das Auftreten von Tumoren und/oder Erkrankungen beobachtet. Am Versuchsende wurden Tiere seziert und Tumore anatomisch/morphologisch analysiert. Nahrungs- und Wasseraufnahme sowie Gewichtszunahme der Tiere aller Versuchsgruppen wurden protokolliert. Zu 11 Zeitpunkten wurden 47 Blut- und Urinparameter bestimmt; mehr als 500 Datensätze wurden erstellt.

Methodische Unzulänglichkeiten

Ohne jede Berücksichtigung der OECD-Empfehlungen für Fütterungsversuche (3) werden in der Séralini-Studie als Vergleich zu den 180 Tieren in den Versuchsgruppen nur 20 Tiere als Kontrolle herangezogen. Diese Zahl ist für einen Langzeitversuch viel zu gering. Dies muss auch vor dem Séralini bekannten Hintergrund betrachtet werden, dass der verwendete Rattenstamm Harlan Sprague-Dawley vermehrt zur Bildung spontaner Tumoren neigt. Selbst der Züchter, von dem die Versuchsratten bezogen wurden, schreibt über Lebenserwartung und spontane Erkrankungen des Stammes: „… pituitary gland tumors were found in 20% of the males and 39% of the females. This relatively low incidence had little effect on the survival of the females (50%) due to the high incidence (76%) of mammary gland tumors (predominantly fibroadenomas)”. Schon deshalb werden die Befunde aus der zu kleinen Kontrollgruppe in Bezug auf die Versuchsgruppen fragwürdig. Séralini führte mehrmals aus, dass er eigentlich keine Tumore bzw. keine Kanzerogenität erwartet hatte und deshalb keine größere Anzahl von Tieren verwendet habe. Dies überrascht, untersucht er hier doch Roundup-Formulierungen, denen er in anderen Publikationen eine erhöhte Kanzerogenität zuschreibt, die er bei transgenen Pflanzen auch vermutet. Insgesamt muss aufgrund der literaturbekannten Fakten (4, 5) zu dem verwendeten Rattenstamm das von Séralini gewählte Versuchsdesign mit lediglich 10 Tieren pro Geschlecht und Gruppe als ungeeignet angesehen werden.

Die Kenntnis der stofflichen Zusammensetzung des Lebensmittels bzw. des Futters ist eine der Grundvoraussetzungen in Sicherheitsuntersuchungen durch Tierexperimente. Die Notwendigkeit solcher Untersuchungen wurde intensiv diskutiert und bewertet (6, 7, 8). Séralini et al. haben solche Analysen wahrscheinlich auch durchgeführt, machen in der Publikation aber keinerlei Angaben über Makro- und Mikronährstoffe. Vergleichende stoffliche Angaben zu Referenzmais und gv-Mais NK603 fehlen. Es ist somit nicht ersichtlich, ob die Nahrungsmittel ernährungsphysiologisch äquivalent sind. In der Publikation fehlen Angaben, inwieweit die 11, 22 und 33% Maiszumischungen zur Standarddiät tatsächlich in ihrer ernährungsphysiologischen Wertigkeit äquivalent sind; möglicherweise wurde entsprechend der konventionelle Mais zugemischt. Es ist von drei Testdiäten unterschiedlicher Zusammensetzung mit unterschiedlichem Nährwert auszugehen. Aus wissenschaftlicher Sicht dürften eigentlich nur die Ergebnisse der 33%-Mais-Versuchsgruppen verglichen werden. Die lückenhaften Angaben zu den Diätmischungen machen eine Interpretation der Versuchsergebnisse fast unmöglich.

Obwohl der Einfluss von Roundup in der Nahrung toxikologisch bewertet werden soll, wird der Gehalt an Glyphosat in dem mit Roundup behandelten gv-Mais NK603 verschwiegen. Es werden auch keine Informationen zur Anwendung oder dem (den) Behandlungszeitpunkt(en) des gv-Maises NK603 mit Roundup während des Anbaus gegeben. In der Studie werden zwei gänzlich unterschiedliche Roundup-Formulierungen verglichen. Im Trinkwasser-Versuch wird Roundup GT-Plus 450g/l Glyphosat (51% Wirkstoff, 7,5% einer Einzelsubstanz, Rest Wasser) eingesetzt, während beim gv-Mais NK603 das Herbizid Roundup Weather-Max 540g/ L Glyphosat (48,8% Wirkstoff und 51,2% andere Substanzen) verwendet wird. Ein Vergleich der Ergebnisse aus dem Trinkwasserversuch und dem Gv-Mais NK603 mit Roundup Behandlung ist deshalb nur eingeschränkt möglich. Die Versuchsergebnisse müssen separat betrachtet werden. Pro Versuchsgruppe wurden sehr viele biochemische Parameter erhoben (ca. 500 Datensätze). Eine klare und für solche Untersuchungen anerkannte statistische Auswertung wäre möglich gewesen, stattdessen wurde die OPLA-DA-Auswertung (Orthogonal Partial Least Squares Discriminant Analysis) durchgeführt.

Ergebnisse

In der Publikation werden kaum und nur sehr wenig ausverwertbare Daten wiedergegeben. Rohdaten können lediglich aus den Abb.1 und 2 entnommen werden. Aufgrund der Darstellungsweise kann die Lebenszeitdauer der Tiere nur geschätzt (±10 Tage) werden. Verlaufskurven zu Gewichtszunahme oder Nahrungsaufnahme der Tiere über den Zeitraum werden nicht gezeigt. Aber gerade diese Daten würden unterstützende Rückschlüsse auf den Gesundheitsstatus der Tiere liefern. Daten, die die Aussagen über frühzeitige und vermehrte Tumore unterstützen, fehlen und Angaben über Erkrankungen (Tab. 3) werden subjektiv wiedergeben. Eine Überprüfung der Daten aus der OPLA-DA Statistik zu den biochemischen Parametern in Abb. 5A ist nicht möglich. Die biochemischen Daten werden zwar zur Untermauerung der Erkrankungen herangezogen, aber auch hier werden weiterführenden Angaben über alle Versuchsgruppen nicht gemacht. Anstatt belastbare Daten zu veröffentlichen, werden aus populistischer Effekthascherei auf fast einer halben Seite Farbfotos von Tieren mit sehr großen Tumoren gezeigt. Verschwiegen wird, dass ähnliche Tumore auch in den Kontrollgruppen auftreten. Nicht verwunderlich ist, dass in der Séralini-Studie nahezu mit gleicher Frequenz genau die Tumore gefunden werden, die der Lieferant des Rattenstammes aus seinen Langzeiterfahrungen mit dem Stamm angibt.

Lebensdauer / Sterblichkeit

Recht lapidar beschreiben die Autoren, dass ca. 50% der männlichen und ca. 70% der weiblichen Tiere in den Versuchsgruppen gegenüber den Tieren aus der Kontrollgruppe vorzeitig vor dem Erreichen der normalen Lebenserwartung (ca. 2 Jahre) sterben. Sie werten dies als einen deutlichen Hinweis auf die Toxizität von gv-Mais NK603 und von Roundup (Glyphosat). Diese pauschalierende Betrachtungsweise ist aber nicht zulässig. Sie bezieht weder mögliche Dosiseffekte noch Unterschiede aus dem Trinkwasserversuch und den gv-Mais-NK603-Versuchen ein. Der Bezugspunkt zur Lebenserwartung der Tiere aus den Kontrollgruppen ist ebenfalls zu hinterfragen. In der Séralini-Studie treten bei der weiblichen Kontrollgruppe lediglich 2 Todesfälle auf, somit ist die Lebenserwartung der weiblichen Tiergruppe mit 80% außerordentlich hoch. Die historisch gefunden Werten liegen dagegen bei durchschnittlich 42%. Wahrscheinlich ist diese in der Séralini-Studie beobachtete hohe Lebenserwartung rein zufällig und ergibt sich lediglich aus der geringen Anzahl von Versuchstieren. Bei den männlichen Tieren dagegen liegt die Lebenserwartung der Kontrollgruppe im Bereich der historisch bekannten Werte. Eine separate Betrachtung der Sterblichkeit und Überlebensdauer in den Versuchsgruppen ist somit angebracht. In den hier vorgestellten Abbildungen (Abb. IA, IB) ist die Lebensdauer der Tiere aus den Trinkwasser- und den 33%-gv-Mais-NK603-Versuchen (mit und ohne Roundup) aus den Séralini-Daten einer etwas anderen Form dargestellt.

Roundup im Trinkwasser

Im Trinkwasserversuch werden Glyphosat-Konzentrationen von 50, 400 und 2.250mg/l eingesetzt. Bei diesen großen mehrere Zehnerpotenzen umfassenden Unterschieden in den Wirkstoffkonzentrationen sollten Dosiseffekte zu erwarten sein. Bei männlichen Tieren ist kaum ein negativer Einfluss auf die Lebensdauer feststellbar, vielmehr wirkt sich die höchste Glyphosat-Konzentration (2,25 g/l) sogar positiv auf die Lebenserwartung aus. Es ist eine Lebensverlängerung von fast 100 Tagen zu beobachten (Abb. IA). Diese hohe Glyphosat-Konzentration scheint auch der Krebsentstehung entgegen zu wirken. Bei den niedrigeren Konzentrationen sind weder auf Lebensdauer noch auf Todesfälle signifikante Einflüsse erkennbar. Diese Beobachtung bedeutet de facto, dass sich Roundup bei männlichen Ratten positiv im Sinn einer Tumorprotektion und längeren Lebenserwartung auswirkt. Eine Dosis-Wirkung-Beziehung ist hier nicht feststellbar.

Bei den weiblichen Tieren sterben die Tiere aufgrund der überraschend hohen Lebenserwartung in den Glyphosat-Gruppen früher, aber tatsächliche Dosiseffekte sind auch nicht ausmachbar. Die Lebensraten in den Versuchsgruppen entsprechen im Wesentlichen den historischen Daten für „unbehandelte“ Ratten. Die Menge des aufgenommenen Glyphosats ist nicht mit der Lebenserwartung korreliert. Sie hat hier offensichtlich keine biologische Relevanz.

Betrachtet man die Todesraten in den Trinkwasser-Versuchsgruppen, so sterben sowohl in der Kontrollgruppe als auch in der Versuchsgruppe mit der höchsten Konzentration an Roundup jeweils 5 Tiere (50%) (Tab. I). Bei den männlichen Tieren sterben fast alle – unabhängig von den Roundup-Konzentrationen – im Greisenalter nahezu ohne auffällige Krebsbefunde. Bei den weiblichen Tieren mussten alle sowohl in den Versuchs- als auch in der Kontrollgruppe ab etwa dem 300.Tag aufgrund gravierender Krebserkrankungen aus ethischen Gründen getötet werden. Bei den männlichen Tieren sterben in der Kontrollgruppe 3 Tiere spontan, in der Versuchsgruppe mit 2,25 g/l Roundup nur 1 Tier. Bei der geringsten Konzentration (50ng/l) sterben wie in der Kontrollgruppe 3 Tiere (2 spontan; 1 getötet), wobei die Lebensverlängerung immerhin zirka 50 Tage beträgt. Alles in allem ist hinsichtlich der Todesraten der Tiere keine Signifikanz oder biologische Relevanz von Roundup erkennbar.

Gv-Mais NK603 mit und ohne Roundup

Aufgrund der Unsicherheit bezüglich Vergleichbarkeit der Diäten werden zunächst die Ergebnisse aus den Diäten mit 33% Maisanteil betrachtet. In den Überlebensraten der Versuchstiere (männlich und weiblich) sind die Unterschiede nicht so ausgeprägt wie beim Trinkwasserversuch (Abb. IB). Aber auch bei den männlichen Tieren ist die Überlebensrate im Vergleich zur Kontrollgruppe höher (ca. 60 Tage), gleichgültig ob der Mais mit Roundup behandelt wurde oder nicht. Statistisch signifikante Unterschiede bei den Todesfällen gibt es nicht. In der Kontrollgruppe wie in der Versuchsgruppe gv-Mais NK603 mit Roundup sterben jeweils drei Tiere, wobei nur ein Tier in der Versuchsgruppe NK603 stirbt. Bei den weiblichen Tieren ergeben sich keine gravierenden Unterschiede in den Überlebensraten, allerdings treten bei der Versuchsgruppe gv-Mais NK603 mit Roundup früher Todesfälle auf als in der Kontrollgruppe. Insgesamt treten bei der Kontrollgruppe 2 Todesfälle auf, während es in der Versuchsgruppe gv-Mais NK603 4 und in der Versuchsgruppe gv-Mais NK603 mit Roundup 5 sind (Tab. II).

Bei den Fütterungsversuchen mit 11 und 22% Maisanteil könnten durchaus dosisabhängige Effekte vermutet werden, wobei gerade der 11%-Maisanteil mit oder ohne Roundup bei den männlichen Tieren den höchsten negativen Einfluss auf die Lebensdauer und Sterblichkeit ausübt. Bei den weiblichen Tieren sind diese Effekte nicht erkennbar, die 11%- und 22%-Maisanteile haben einen geringeren Einfluss als der aus dem 33%-Maisanteil beobachtbaren. Bei den männlichen Tieren könnte ein negativer Dosiseffekt abgeleitet werden. Je geringer die Maisanteile sind (mit oder ohne Roundup), desto größer ist ihr ein Einfluss auf die Lebensdauer und Sterblichkeit, während es bei den weiblichen Tieren umgekehrt erscheint.

Eine statistische Auswertung der veröffentlichten Daten nach Kaplan-Meier zeigt, dass die beobachteten Unterschiede in den Überlebensraten (Todesfällen) zwischen den Test- und Kontrollgruppen nicht signifikant sind. Die Rohdaten unterstützen die Aussagen von Séralini zur Sterblichkeit der Ratten durch die Aufnahme von gentechnisch verändertem Mais (Mais NK603) oder von Roundup nicht.

Tumore und Erkrankungen

Aus Abb. 2 der Séralini-Studie können die Rohdaten zum zeitlichen Auftreten und zur Anzahl nicht regressiver fühlbarer Tumore entnommen werden. In Tab. 3 sind die am häufigsten auftretenden pathologischen Befunde wiedergegeben. Aus der Abb. 2 ergibt sich, dass innerhalb von 420 Tagen in den Kontrollgruppen keine Tumore auftreten, während im gleichen Zeitraum bereits 10 bis 30% der weiblichen Tiere Tumore entwickelt haben. Bei männlichen Tieren treten dagegen z.B. bei Glyphosat im Trinkwasser (2,25 g/l) erst nach 520 Tagen Tumore auf. Diese verallgemeinernde Betrachtungsweise ist nicht zulässig. Auch hier müssten die Daten innerhalb der Versuchsgruppen separat geschlechtsspezifisch analysiert werden. Auffallend ist wieder, dass keine Dosis-Wirkungsbeziehung besteht. Fast durchgängig treten Tumore bei geringeren Maismengen oder geringeren Glyphosat-Konzentrationen im Trinkwasser früher auf als bei höheren Wirkdosen. Wie bei der Sterblichkeit sind die weiblichen Tiere aufgrund ihrer generell längeren Lebenserwartung empfindlicher gegenüber gv-Mais NK603 und Roundup im Futter als die männlichen Tiere. Diese erhöhte Empfindlichkeit gilt allerdings auch für andere Testsubstanzen und ist nicht spezifisch für Produkte aus der Gentechnik oder Roundup. Wiederum lässt sich keine Signifikanz für die beobachteten Tumore nachweisen, innerhalb der Versuchsgruppen variiert die Gesamtzahl der Tumore nur geringfügig gegenüber den Kontrolltieren. So weist die männliche Kontrollgruppe 13 Tumore auf, während in der Versuchsgruppe gv-Mais NK603 mit Roundup bei den Diäten mit 11, 22 und 33% Maisanteil und Roundup 9, 7 und 10 Tumore ertastet werden. Die Anzahl der großen Tumore, wie sie auch in der Tierabbildung gezeigt werden, schwankt zwischen 1 und 3. Bei den weiblichen Tieren treten mehr Tumore auf. Bei der Kontrollgruppe sind es 19, während bei den Diäten mit 11, 22 und 33% Maisanteil und Roundup über 21,19 und 24 berichtet wird.

Die Anzahl der großen Tumore schwankt insgesamt zwischen 6 und 9 (Abb. II). Diese geringfügigen Unterschiede können bei der geringen Anzahl von Versuchstieren nicht als signifikant betrachtet werden. Ein Einfluss auf die Entstehung und eine vermehrte Anzahl von Tumoren durch die Aufnahme von gv-Mais NK603 und Roundup lassen sich aus den veröffentlichten Daten nicht ableiten.

In Tab. 3 der Séralini-Studie sind die am häufigsten auftretenden Erkrankungen an Organen aufgelistet. Hier wird weder in der Schwere der Erkrankung noch in der Organspezifität unterschieden. Eine Dosisabhängigkeit ist nicht erkennbar, möglichweise sind es spontan zufällig auftretende Erkrankungen. In Abb. III wird eine Zusammenstellung für Brusttumore und Erkrankungen an Hypophyse und Niere über die Gesamtgruppe aufgezeigt. Die Schwankungsbreite der Erkrankungen der Tiere ist nur gering, sie variiert zwischen 1 und 3 Erkrankungen.

Eine gewisse Dosisabhängigkeit kann eventuell, auch wenn sie widersprüchlich ist, abgeleitet werden. Bei mit Roundup behandeltem gv-Mais NK603 könnte bei den Brusttumoren eine positive Dosisabhängigkeit gesehen werden, die aber bei allen anderen Erkrankungen nicht erkennbar ist. Für Erkrankungen an der Hypophyse könnte für gv-Mais NK603 und für Nierenerkrankungen bei Roundup im Trinkwasser eine inverse nicht lineare Dosisabhängigkeit, möglicherweise ein Schwellenwert zur Auslösung der Erkrankung vermutet werden. Insgesamt ist eine solche Interpretation sicherlich aufgrund der geringen Tierzahlen und den verwendeten Dosen wissenschaftlich nicht gerechtfertigt. Die aufgelisteten Erkrankungen sind wiederum genau diejenigen, die man bei diesem Rattenstamm auch bei Standard-Fütterungsversuchen über die gesamte Lebensdauer findet. Ein Einfluss der Versuchsdiäten auf eine erhöhte Tumorentstehung ist mit den publizierten Daten nicht hinreichend belegt.

Biochemische Parameter

In der Studie wurden 47 Blut- und Urinparameter zu 10/11 Zeitpunkten pro Tier und Kontroll- und Versuchsgruppen analysiert. Publiziert wird aber nur die Datenverrechnung für die weiblichen Tiere aus der 33%-gv-Mais-NK603-Versuchsgruppe und zum Zeitpunkt 15 Monate. Obwohl die Autoren gerade Veränderungen in den biochemischen Parametern zur Unterstützung ihrer Aussagen über Sterblichkeit und Tumorentstehung heranziehen, bleibt es unverständlich, warum lediglich der 15-Monate-Datensatz der weiblichen Tiere mit einer für diese geringe Datenanzahl ungeeigneten statistischen Methode abgebildet wird (Abb. 5A in der Séralini-Studie). Die eigentlichen Versuchsdaten sind nicht veröffentlicht. Somit ist eine Überprüfung der Auswertung nicht möglich. Aus der Abbildung 5A können nachvollziehbar keine statistischen Unterschiede zwischen Kontroll- und Versuchsgruppe abgeleitet werden. Ebenso ist die Aussage, dass die Erkrankungen auf Veränderungen im Testosteron-Östradiol- Serumspiegel zurückzuführen seien, durch die vorlegten Daten (Abb. 5B) nicht belegt. Die Aussage, dass ein Stoff im gv-Mais NK603 oder Roundup wie endokrine Disruptoren einen Einfluss auf die Hormonregulation habe, lässt sich aus den publizierten Daten nicht belegen.

Schlussfolgerungen

In der Fütterungsstudie von Séralini et al. (1) werden nur wenige Rohdaten veröffentlicht. Aus den wenigen Daten lassen sich die Aussagen der Autoren zur Sterblichkeit sowie zur Induktion von Tumoren und Nieren- und Lebererkrankungen durch die Aufnahme von gv-Mais NK603 oder von Roundup nicht oder nur sehr eingeschränkt nachvollziehen oder korrelieren. Die Publikation erlaubt in der gegenwärtigen Form keine Aussagen zur gesundheitlichen Bedenklichkeit von gv-Mais NK603 mit und ohne Roundup-Behandlung. Diese Publikation ist für eine erneute Risikobewertung von gv-Mais NK603 oder Roundup ungeeignet. Diese aus wissenschaftlicher Sicht unzulängliche Publikation rechtfertigt eine Neugestaltung (Ausweitung auf 2 Jahre) von Fütterungsversuchen zur Sicherheitsbewertung von transgenen Pflanzen oder komplex zusammengesetzten Lebensmitteln nicht.

Die Séralini-Studie zeigt aber, dass es bislang keine verbindlichen Vorschriften für die Durchführung von Fütterungsversuchungen für komplex zusammengesetzte Lebensmittel gibt. Die OECD-Vorschriften sind Empfehlungen und gelten eigentlich nur für Einzelsubstanzen. Séralini et al. haben sich aber weder an diesen Empfehlungen orientiert, noch haben sie ausreichend Daten zur Verfügung gestellt, die eine Überprüfung ihrer Aussagen ermöglichen. Unternehmen wenden die OECD-Empfehlungen teilweise auch variabel an, aber sie veröffentlichen ihre Untersuchungsergebnisse vollständig oder machen sie den Risikobewertern vollständig zugänglich. Es sind aber die veröffentlichten validen Daten, die eine Risikoabschätzung von Produkten ermöglichen.

Besonders kritisch ist anzusehen, dass sich Séralini weigert, die Rohdaten zur Verfügung zu stellen. Diese seien aber bei einem Notar hinterlegt. Diese strikte Geheimhaltung der Daten lässt fast vermuten, dass Séralini eine Überprüfung seiner Studie durch die Wissenschaft fürchtet und deshalb verhindern möchte. Soll allerdings Séralini von Politik und Regulierungsbehörden, aber auch von der Öffentlichkeit, in seinem Anliegen ernst genommen werden und als verantwortungsvoller Wissenschaftler angesehen werden, sollte er die Daten der Wissenschaft und den Regulierungsbehörden unverzüglich zugänglich machen. Es stellt sich die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, Daten zurückzuhalten, die die Bedenklichkeit von gentechnisch verändertem Mais NK603 und von Roundup (Glyphosat) belegen.

Korrespondenz:
Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany, Wadi-International-University

Kontakt: Nelkenstr. 36, 76351 Linkenheim-Hochstetten, Deutschland;
Telefon +49 7247 89611, E-Mail: kd.jany@t-online.de

Literatur:

(1) Séralini, G.-E.; Clair, E.; Mesnage, R. et al. (2012): Long term toxicity of a Roundup herbicide and Roundup-tolerant genetically modified maize. Food Chem Tox. 50, 4211-4231

(2) ESFA (2012) Final review of the Séralini et al.(2012a) publication on a 2.year rodent feeding study with glyphosate formulations and GM maize NK603 as published online on 19 September in Food and Chemical Toxicology. EFSA Journal 10(1) 2985 http://www.efsa.europa.eu/de/efsajournal/doc/2986.pdf , und Anhang 1 enthält wichtige Stellungnahmen als Volltext: http://efsa.europa.eu/de/efsajournal/doc/2986ax1.pdf

(3) OECD (1998) OECD guidelines for testing of chemicals – repeated dose 90day oral toxicity study in rodents, 408. http://browse.oecdbookshop.org/oecd/pdfs/free/9740801e.pdf

(4) Wahle, B.S.; Sangha, G.K.; Lake et al (1999): Chronic toxicity and cancerogenicity testing in the Sprague-Dawley rat of a prospective insect repellent (KBR) using the dermal route of exposure. Toxicology 142, 41-46

(5) Ross, M.H.; Brass, G. (1965) Tumor incidence patterns and nutrition in rat. J Nutrition 87, 245-251

(6) EFSA Panel on Genetically Modified Organisms (GMO) (2011): Scientific opinion on guidance for risk assessment of food and feed from genetically modified plants. EFSA J. 9(5), 2150-2186

(7) Flachowsky, G.; Schafft, H.; Meyer, U. (2012): Animal feeding studies for nutritional studies and safety assessments of feeds from genetically modified plants: a review. J Verbr Lebensm. 7, 179-194

(8) Herman, R. A. (2013): Unintended compositional changes in genetically modified (gm) Crops: 20 years of research. J Agri Food Chem. Dx.doi.org/10.1021/jf400135r